Kolumbien: FARC-Offensive in der Provinz Cauca
Indígenas leisten zivilen Widerstand
Die Nachrichten aus Kolumbien dringen nur spärlich zu uns. Mit dem Ende des Waffenstillstands haben sich die Kämpfe im Land verschärft. Den folgenden Bericht haben wir dem "Neuen Deutschland" vom 16. Juli 2002 entnommen.
Von Gerhard Dilger, Porto Alegre
...
Es war eine jener Attacken, wie sie die Bewaffneten Revolutionären
Streitkräfte Kolumbiens (FARC)
schon oft praktiziert haben: Am helllichten Tag dringen Hunderte von
Guerilleros in eine abgelegene
Kleinstadt ein. Dort nehmen sie die Polizeistation und die
Sparkassenfiliale mit Maschinengewehren
und selbst gebastelten Gaszylindern unter Beschuss. Als
"Kollateralschäden" bleiben verwüstete
Straßenzüge und häufig auch tote Polizisten und Zivilisten zurück.
Letzte Woche traf es die
Indígena-Gemeinde Toribío in der südwestkolumbianischen Provinz Cauca.
Dort hatten 8000 Menschen gegen die Bedrohung ihres Bürgermeisters durch
die FARC demonstriert.
Die Antwort der Guerilleros ließ nicht auf sich werten: Tags darauf
rückte die Eliteeinheit »Jacobo
Arenas« in Toribío ein. Das Gefecht in der zentralen Andenkordillere
hielt die ganze Nacht über an,
zwischendurch nahmen Armeehubschrauber die Angreifer unter Beschuss. Als
die 14 Polizisten ihre
Munition verschossen hatten, gaben sie auf. Daraufhin wagten sich
Dutzende von Bürgern mit weißen
Tüchern aus ihren Häusern. Die Sprecher der Indígenas mit ihren
traditionellen »Befehlsstäben« und der
Gemeindepfarrer baten die Rebellen um Gnade für die Polizisten. Nach
kurzer Beratung sagte
"Comandante Christian" voller Anerkennung: "Das sind ganze Kerle" – und
übergab sie der
Gemeinschaft.
Trotz der "ritterlichen" Geste des FARC-Kommandanten sind die
Beziehungen zwischen den indigenen
Gemeinschaften in Cauca und der Guerilla nachhaltig zerrüttet. Die
starke Organisation der Paéz,
Guambianos und Yanaconas stellt seit Jahren ein Ärgernis für die FARC
dar. Toribío ist ein Symbol für
die Autonomiebestrebungen der Indianer: Dort hatten sie 1971 den
Regionalen Indígena-Rat Caucas
(CRIC) gegründet, die wichtigste Organisation ihrer Art in Kolumbien.
Seither erlangten sie in einem
zähen Kampf gegen die lokalen Großgrundbesitzer einen Großteil ihres
traditionellen Landes zurück,
das sie nun kollektiv bewirtschaften. Die Gouverneurswahl im Oktober
2000 gewann der indigen
geprägte "Alternative Sozialblock" gegen das Parteienestablishment. Nun
regiert in Cauca der
Guambiano Floro Tunubalá, der sich gegen die Militarisierung durch den
"Plan Colombia", den
Vormarsch der Paramilitärs und die Guerilla gleichermaßen zur Wehr
setzt. Doch der Krieg lässt ihm
keinen Spielraum für basisorientierte Politik. Fast alle Bürgermeister
der Provinz haben ihre Gemeinden
verlassen.
Selbst nach dem Angriff der FARC, bei dem der zehnjährige William
Achicué getötet wurde, halten die
Indígena-Gemeinschaften von Toribío, Jambaló und Silvia am "zivilen
Widerstand" gegen sämtliche
bewaffneten Gruppen fest. "Auf keinen Fall werden wir unsere
Bürgermeister allein lassen," sagte
Camilo Ulcué Castro aus Jambaló nach einer Versammlung der indigenen
Gemeinschaften von Nord-
und Ostcauca am Wochenende. Vom CRIC kam der Ruf nach "internationaler
Präsenz".
Unterdessen hat Carlos Castańo, der Chef der rechtsextremen
Paramilitärs, einen taktischen Rückzug
angetreten. Auf der Homepage der Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen
Kolumbiens (AUC)
distanzierte er sich von der Entführung des venezolanischen
Unternehmersohnes Richard Boulton. Für
Boulton, den die Paramilitärs im Juni 2000 verschleppt hatten, wurde
kürzlich ein Lösegeld in
unbekannter Höhe gezahlt, seine baldige Freilassung kündigte Castańo nun
an. Wegen »solcher
Vorfälle« und der Verwicklung in den Drogenhandel wolle er »die AUC
nicht mehr politisch
repräsentieren, denn da macht jeder, was er will«, so Castańo wörtlich.
In den Methoden unterscheide
man sich kaum noch von der "barbarischen" Guerilla, der einzige
Wachstumssektor sei der
Drogenhandel. Er wolle sich fortan nur noch um die Kerngruppe der Paras
in den Karibikregionen
Córdoba und Urabá kümmern.
Für den Politologen Alejo Vargas ist dies ein Beleg für "sich
zuspitzende Spannungen" bei den
Todesschwadronen. Zugleich versuche Castańo, sich für kommende
Friedensverhandlungen als
"politischer Akteur" zu profilieren.
Aus: Neues Deutschland, 16. Juli 2002
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