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Paramilitärs und Geheimdienst Hand in Hand

Alirio Uribe kritisiert die repressive Politik gegen Menschenrechtler in Kolumbien


Hunderte Menschenrechtsaktivisten wurden in den vergangenen Jahren in Kolumbien Opfer von Gewalt. Der Staat spielte dabei eine aktive Rolle. Gegen die Senatorin Piedad Córdoba wurde gerade ein Haftbefehl wegen angeblicher Verbindungen zur FARC-Guerilla erlassen. Alirio Uribe setzt sich als Rechtsanwalt für die Wahrung der Menschenrechte in Kolumbien ein. Er ist Mitglied der Anwaltsvereinigung »José Alvear Restrepo«. Mit ihm sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Harald Neuber.



ND: In Berlin haben Sie eine Kampagne zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien vorgestellt. Was bedeutet es, sich in Ihrem Land für die Wahrung der Menschenrechte einzusetzen?

Alirio Uribe: Unter Präsident Álvaro Uribe Vélez hat sich die Situation stetig verschlechtert. Der Präsident hat uns Menschenrechtsverteidiger seit seinem Amtsantritt im August 2002 in mehreren Reden als Unterstützer des Terrorismus bezeichnet, weil wir unter anderem die nachgewiesenen Hinrichtungen von Zivilisten durch die Streitkräfte angeklagt haben. Uribe bezeichnete das als Unterstellung und sah sich als Opfer eines »juristischen Krieges« gegen den Staat.

Die verbalen Angriffe könnte man als schlechten Stil abtun.

In Kolumbien folgen darauf aber konkrete, physische Attacken. Menschenrechtsaktivisten wurden in zunehmender Zahl entführt, ins Exil vertrieben oder ermordet. Von 2002 bis 2008 wurden 610 Fälle von Repression dokumentiert, darunter 60 Morde. Diese Politik wurde auch durch den Geheimdienst DAS unterstützt ...

... von dem Sie überwacht wurden.

Meine Kollegen und ich wussten im Grunde immer, dass wir observiert wurden. Den Beweis bekamen wir, als der Geheimdienst auch gegen den Obersten Gerichtshof vorging. Die Richter schalteten daraufhin die Staatsanwaltschaft ein und es fand eine Hausdurchsuchung beim DAS statt. In den Akten fanden sich auch Angaben über unsere Überwachung.

Mit welchem Inhalt?

Von meiner Organisation, dem Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo, wurden alle überwacht. Ich stand im Zentrum dieser Aktion. Mein Telefon wurde abgehört, die E-Mails wurden gelesen, die Konten überwacht. Der DAS legte Protokolle an: Wer wann aus dem Haus ging und kam, was ich esse, welche Musik ich höre. Mein Müll wurde durchsucht und der Geheimdienst ließ sogar unsere Haushaltshilfe verführen, um an die Schlüssel zu kommen. Meine Frau und meine Kinder wurden bis zur Arbeit und in die Schule verfolgt. All das erfuhren wir, weil wir im Verfahren gegen den DAS als Nebenkläger auftreten und Einsicht in die Akten nehmen können.

Stellte die Observation ein Risiko für Sie dar?

Absolut, denn die Verbindungen zwischen dem Geheimdienst und paramilitärischen Verbänden ist nachgewiesen. Der ehemalige DAS-Chef Jorge Noguera sitzt deswegen in Haft. Er hatte laut Anklage Verbindungen zu mehreren Anführern der Paramilitärs und er hat Listen von sozialen und politischen Akteuren erstellen lassen, die später von diesen Milizen ermordet wurden. Diese Vorwürfe wurden von mehreren DAS-Mitarbeitern in Verhören bestätigt.

Ist nach den Präsidentschaftswahlen ein Wandel zu erwarten?

Es gibt in Kolumbien immer wieder Überraschungen. So hätte niemand geglaubt, dass Uribe juristisch eine weitere Kandidatur untersagt wird. Zudem wurde gegen 130 Parlamentarier Anklage wegen deren Zusammenarbeit mit Paramilitärs erhoben, 50 von ihnen sitzen in Haft. Auf politischer Ebene aber ändert sich wenig. Vor den Parlamentswahlen im März glaubten viele, dass die Parteien des Regierungslagers bestraft werden. Aber sie haben gewonnen.

Genießt Uribe tatsächlich breite Unterstützung? Oder hat er das politische System in der Hand?

Es gab in den vergangenen Jahren eine Legalisierung und Institutionalisierung des Paramilitarismus und der Drogenkriminalität. Beobachter berichten von Stimmenkauf bei den Parlamentswahlen. Geld dafür haben nur Drogenhändler. Andernorts wurden die Wähler offen bedroht, damit sie das »Richtige« wählen. Diese Situation ist schwer zu verändern, zumal 60 Prozent des Parlaments in der Hand des Uribe-Lagers sind. Neben der Wahlmanipulation wurden Hilfs- und Sozialprogramme aufgelegt. Wenn die Regierung wechselt, hieß es, würden diese Programme eingestellt werden. Der gleiche Politikstil ist von Perus Ex-Machthaber Alberto Fujimori bekannt, der inzwischen wegen verschiedener Verbrechen in Haft ist.

* Aus: Neues Deutschland, 22. April 2010


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