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Uribe schiebt unbequeme Paramilitärs ab

Auslieferung an die USA blockiert Aufarbeitung hunderter Massaker in Kolumbien

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Mit der Auslieferung von 14 inhaftierten Paramilitärchefs an die USA hat die kolumbianische Regierung die laufende Aufarbeitung hunderter Verbrechen der rechten Todesschwadronen durch die kolumbianische Justiz nahezu unmöglich gemacht.

In einer Nacht- und Nebelaktion versammelte die Regierung am vergangenen Dienstag die in verschiedenen Gefängnissen des Landes einsitzenden Paramilitärs auf dem Militärflughafen in Bogotá und übergab sie den Beamten der US-amerikanischen Antidrogenbehörde DEA. Noch bevor die Nachricht der Auslieferung überhaupt die Runde machte, waren die Paramilitärchefs bereits unterwegs gen Miami, Washington und New York, wo ihnen der Prozess wegen Drogenhandels gemacht werden soll.

Der Schritt kam überraschend, passt jedoch in die Geschehnisse der letzten Wochen, in denen besonders die Regierungskoalition und die Familie von Präsident Álvaro Uribe Vélez für Schlagzeilen gesorgt hatten. So ließ die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft den Abgeordneten Mario Uribe Escobar, einen Vetter des Präsidenten, vor drei Wochen wegen Verbindungen zu den Paramilitärs festnehmen. Neben diesem befinden sich bereits 30 weitere Kongressabgeordnete in Untersuchungshaft, die allesamt der Zusammenarbeit mit den rechten Milizen bezichtigt werden und der Regierungskoalition nahestehen. Die Machenschaften weiterer 31 Kongresspolitiker werden derzeit vom Verfassungsgericht und der Generalstaatsanwaltschaft aus gleichen Gründen untersucht.

Die Übergabe der Paramilitärs an die USA-Justiz lässt sich daher als bequemer Ausweg der Regierung werten, den anhaltenden Skandal einzudämmen. Sie erklärte die Auslieferung zwar damit, dass die Inhaftierten trotz Gefängnishaft weiter kriminelle Aktivitäten koordinieren würden und kein Interesse an einer ernsthaften Entschädigungszahlung an ihre Opfer offenbarten. Zudem hätten sie bisher trotz mehrfacher Anhörung nur einen Bruchteil ihrer Verbrechen vor der Justiz offengelegt. Doch genau daran hat die Regierung kein Interesse, folgt man dem Verdacht von Beobachtern. Bereits die Auslieferung des Para-Chefs Carlos Marío Jiménez alias »Macaco« an die USA Mitte letzter Woche hatte Zweifel aufkommen lassen. »Kann es sein, dass die Regierung nicht will, dass ›Macaco‹ in Kolumbien aussagt?«, fragte der Chef der Kolumbianischen Juristenkommission, Gustavo Gallón, der die engen Beziehungen »Macacos« zu regierungsnahen Parteien als Grund sieht.

Einige Anwälte der Paramilitärs erklärten in der Presse, dass die Regierung mit der Massenauslieferung neuen Enthüllungen zuvorkam, die besonders Kolumbiens Armee betroffen hätten. So wollten mehrere ihrer Mandanten bei kommenden Anhörungen die Verstrickung zahlreicher Armeeangehöriger in Massaker offenlegen.

Waren Auslieferungen an die USA-Justiz in den Neunzigern für berüchtigte kolumbianische Drogenbarone noch Horrorszenarien, gelten sie mittlerweile als angenehme Alternative. »Die tun ihnen einen Gefallen«, bestätigte ein anderer Paramilitär-Anwalt und betonte, dass nur wenigen Ausgelieferten in der Vergangenheit der Prozess in den USA gemacht wurde. Während in Kolumbien vor allem die schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Paramilitärs juristisch untersucht werden sollten, die jahrzehntelange Haftstrafen nach sich ziehen würden, haben sich die Angeklagten in den USA allein wegen des Delikts Drogenhandel zu verantworten. »Dort können sie die Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm beantragen, womit sie vor zukünftigen Prozessen in Kolumbien geschützt wären«, beklagt Iván Cepeda, Jurist und Sprecher einer Opfervereinigung.

Dennoch wollen die Vertreter der Opfer nicht aufgeben und wenden sich nun an den Internationalen Gerichtshof, der die Verbrechen untersuchen soll. Bereits 2006 reichten sie in Den Haag eine Klage ein, da sie den Prozess gegen die Paramilitärs unter dem kritisierten Sondergesetz »Gerechtigkeit und Frieden« als »Simulation« beanstandeten. Nicht zu unrecht: Eine große Zahl der Abgeordneten, die 2005 das Gesetz verabschiedeten, befinden sich heute wegen Komplizenschaft mit den Paramilitärs in Untersuchungshaft.

* Neues Deutschland, 15. Mai 2008


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