Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Politikverbot für linke Senatorin in Kolumbien

Staatsanwaltschaft feuert Piedad Córdoba

Von Harald Neuber *

Fünf Tage nach der Tötung des Militärchefs der kolumbianischen FARC-Rebellen durch die Streitkräfte hat die Guerilla Félix Muñoz alias Pastor Alapa als Nachfolger ernannt. Der Senatorin Córdoba, bekannteste Vermittlerin zwischen Rebellen und Staat, wurde unterdessen das Mandat entzogen.

Gut ein Jahr nach Beginn der Ermittlungen hat Kolumbiens Oberstaatsanwalt Senatorin Piedad Córdoba am Montag aus dem Oberhaus des Kongresses ausgeschlossen. Zugleich erkannte Alejandro Ordóñez der 55-jährigen Politikerin und Friedensaktivistin der Liberalen Partei für 18 Jahre das passive Wahlrecht ab. Córdoba ist eine der bekanntesten politischen Akteure des südamerikanischen Landes. Innerhalb und außerhalb des Parlaments setzt sie sich seit Jahren für eine Verhandlungslösung des Jahrzehnte währenden sozialen und bewaffneten Konflikts in Kolumbien ein. Sie stellt sich damit entschieden gegen die Militärpolitik des früheren Präsidenten Alvaro Uribe und seines Nachfolgers Manuel Santos.

Generalstaatsanwalt Alejandro Ordóñez wirft Córdoba nun vor, enge Kontakte mit der Rebellenorganisation FARC unterhalten zu haben. So habe sie der FARC unter dem Decknamen »Teodora« politische Informationen zukommen lassen, etwa über mögliche Spenden ausländischer Regierungen an den kolumbianischen Staat. Dies gehe aus Informationen hervor, die auf einem Laptop des FARC-Kommandanten Raul Reyes gefunden wurden. Reyes wurde Anfang März 2008 bei einem Bombenangriff im Grenzgebiet zu Ecuador getötet. Die Beweiskraft der Informationen auf den mutmaßlich im Lager gefundenen Speichermedien ist jedoch umstritten. Kritiker vermuten, dass der Militärgeheimdienst die Festplatten manipuliert hat.

Córdoba widersprach den Vorwürfen am Montag (27. Sep.). Die Anschuldigen seien weder durch Beweise gedeckt noch juristisch haltbar. Die Maßnahme des Oberstaatsanwaltes sei »ein weiterer Beleg für die politische Verfolgung« gegen sie. Die Beschuldigung durch Ordóñez erklärte Córdoba, die seit 1994 für die Liberale Partei im Senat sitzt, mit ihrem Veto gegen seine Berufung. Die linksgerichtete Politikerin hatte den Oberstaatsanwalt zudem scharf kritisiert, nachdem er die ehemaligen Minister Sabas Pretelt und Diego Palacio vom Vorwurf der Korruption freigesprochen hatte. Beide Spitzenpolitiker sollen Abgeordnete bestochen haben, damit sie 2006 für eine Verfassungsreform stimmen, die Alvaro Uribe die Möglichkeit einer weiteren Amtszeit als Präsident eröffnete.

Córdoba und die nun an der Regierung von Präsident Manuel Santos beteiligte Liberale Partei wiesen in ersten Reaktionen darauf hin, dass die Kontakte zur FARC von der Regierung Uribes erlaubt worden waren. Mit Córdobas Hilfe waren zahlreiche Gefangene der Guerilla freigekommen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. September 2010


Frieden verboten

Kolumbien: Kriegsgegnerin wurde Parlamentsmandat entzogen. Guerilla bestätigt Tod des Comandante Jorge Briceño

Von Santiago Baez **


Kolumbiens Generalstaatsanwaltschaft hat der liberalen Senatorin Piedad Córdoba das Parlamentsmandat und für die nächsten 18 Jahre auch das passive Wahlrecht entzogen. Córdoba wird vorgeworfen, die Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) unterstützt zu haben. So heißt es in einer Erklärung von Generalstaatsanwalt Alejandro Ordóñez, die liberale Politikerin haben »zwischen dem 15. August und 20. November 2007« sowie zu bestimmten Zeitpunkten in den Jahren 2007, 2008 und 2010 »mit den FARC zusammengearbeitet und für diese geworben«.

Gemeint ist damit offenbar die Vermittlungstätigkeit Córdobas in den vergangenen Jahren, durch die mehrere Gefangene der Guerilla freigelassen wurden, zuletzt Ende März der zwölf Jahre lang festgehaltene Armeeoffizier Pablo Emilio Moncayo. Die Senatorin hatte dabei immer darauf geachtet, für ihre Aktionen eine Genehmigung durch die Regierung zu erhalten. Durch ihr Eintreten für eine friedliche Verhandlungslösung des bewaffneten Konflikts in Kolumbien und ihre entschiedene Ablehnung militärischer Aktionen gegen die FARC, bei denen das Leben der von der Guerilla festgehaltenen Gefangenen gefährdet wird, wurde sie jedoch trotzdem zu einer wichtigen Gegnerin für die Regierung in Bogotá und ihre Kriegspolitik. Nun erfuhr sie offenbar aus den Medien von der Entscheidung gegen sie. »Derjenige, der mich so ängstlich anklagt und bestraft, steht selbst unter Druck wegen seiner Handlungen gegen die Rechte der Frau, die homosexuelle Bevölkerung und seiner Beteiligung an illegalen Operationen des Geheimdienstes DAS«, reagierte sie in einer am Montag verbreiteten Erklärung. Die disziplinarischen Ermittlungen gegen sie hätten weder Beweiskraft noch juristischen Bestand, »und noch viel weniger moralischen und ethischen Wert«.

Unterdessen haben die FARC in einer am Montag abend von der alternativen Nachrichtenagentur ANNCOL verbreiteten Erklärung erstmals den Tod ihres führenden Comandante Jorge Briceño bestätigt. In einer auf den vergangenen Sonnabend datierten Erklärung schreibt das Sekretariat der FARC, die oberste Führungsebene der Organisation, Briceño sei »in Folge eines feigen Bombenangriffs im Stil der Blitzkriege der Naziarmee an seinem Kampfplatz an der Seite seiner Männer gefallen«. Nachfolger Briceños in der Spitze der Guerilla soll demnach der Comandante Pastor Alape werden.

Schon am Wochenende war eine von der Redaktion der FARC-Zeitschrift Resistencia unterzeichnete Erklärung bekannt geworden, in der diese vor den Folgen des Vorgehens der kolumbianischen Armee für die Gefangenen der Guerilla warnt: »Wir wissen, daß die Kriegstreiber des Regimes keinen Augenblick daran denken, daß ihre Splitterbomben auch ihre Soldaten und Polizisten treffen können, die sich als unsere Kriegsgefangenen im Urwald befinden.« Der linke Rundfunksender Radio Centenario aus Uruguay hatte berichtete, das Gebiet, in dem sich das Lager von Jorge Briceño befunden hatte, sei mit 500-Kilo-Bomben attackiert worden. Entscheidend waren dabei offenbar Geheimdienstinformationen, die von einem in die Reihen der Guerilla eingesickerten Offizier stammen sollen.

Jorge Briceño Suárez war als Víctor Julio Suárez Rojas am 5. Februar 1953 in Cabrera im Departamento Cundinamarca geboren worden, schloß sich 1975 der Guerilla an und galt zuletzt als eines der wichtigsten Mitglieder der obersten Führungsebene der Organisation, der unabhängige Beobachter derzeit bis zu 10000 Kämpfer zurechnen. Nachdem im Jahr 2008 der als Sprecher der Guerilla auftretende Raúl Reyes beim Angriff der kolumbianischen Armee auf ein Lager in Ecuador ermordet worden war und wenige Wochen später auch der legendäre oberste Comandante Manuel Marulanda einer Krankheit erlag, rückte Briceño in der Rangfolge unmittelbar hinter Marulandas Nachfolger Alfonso Cano.

** Aus: junge Welt, 29. September 2010


Zurück zur Kolumbien-Seite

Zurück zur Homepage