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Startschuss für den "Kolumbienplan"

Wenig Begeisterung bei den Nachbarstaaten (24. Oktober 2000)

Mit Beginn des Fiskaljahres in den USA am 1. Oktober ist der Weg frei für die umfassendste Drogenbekämpfungskampagne, die je auf dem lateinamerikanischen Subkontinent stattgefunden hat. Ziel des von den USA inspirierten und mit 1,3 Milliarden Dollar finanzierten Schlachtplanes sind die Verknappung der Drogenproduktion und die Unterbrechung der Handelswege zu den Kokain- und Heroindealern in aller Welt, vornehmlich in Nordamerika. So ganz nebenbei, aber davon spricht man in Washington nicht gern, hofft man, der ungestüm wachsenden kolumbianischen Guerilla militärisch den Garaus zumachen und Kolumbien vor einem Zusammenbruch des Staates à la Libanon, Somalia oder Afghanistan zu bewahren. Die Möglichkeit, dass sich nur drei Flugstunden von Miami entfernt ein Narkostaat einnisten könnte, zeige mit aller Deutlichkeit, dass nationale Sicherheitsinteressen der USA auf dem Spiel stehen, hatte noch vor kurzem Benjamin Gilman, der Präsident der aussenpolitischen Kommission des amerikanischen Repräsentantenhauses, verkündet.

Rückkehr der Gringos

Der amerikanische Verteidigungsminister William Cohen und sein kolumbianischer Kollege sahen sich letzte Woche am vierten Treffen der Verteidigungsminister Nord-, Mittel- und Südamerikas im brasilianischen Manaus einem kontinentalen Unbehagen gegenüber. Die Aussicht, dass sich in den nächsten Monaten in Kolumbien die militärischen Operationen gegen Guerilleros, zivile Selbstverteidigungsgruppen und die Drogenmafia intensivieren, hat nicht nur bei Menschenrechtsorganisationen in Kolumbien und den um Unterstützung angefragten Regierungen der EU, sondern vor allem auch in den umliegenden Staaten Alarm ausgelöst. Ein neuer Interventionismus der gleichermassen gehassten wie bewunderten Weltmacht USA im alten Hinterhof Lateinamerika wird befürchtet. Die einen erinnert die militärische Unterstützung für Kolumbien an den Beginn der Einmischung in El Salvador, andere wiederum sprechen unumwunden von einem zweiten Vietnam. Ein Krieg ohne Ende mit eskalierender Präsenz der USA wird prophezeit.

Cohen versuchte die Gespenster zu bannen, die das neue Drogenbekämpfungsszenario hervorgerufen hat. Er betonte, die USA hätten keinerleiAbsicht, sich militärisch in Kolumbien einzumischen. Man wolle dem Land helfen und verhindern, dass dessen Probleme auf die Nachbarstaaten übergriffen. Brasiliens Staatschef Cardoso,der in Lateinamerika eine neue Führungsrolle anstrebt, ging auf Distanz. Wohl sei die interneSituation in Kolumbien sehr delikat, doch Brasilien - der wichtigste Anrainerstaat Kolumbiens -werde sich in keiner Art und Weise in kolumbianische Angelegenheiten einmischen, sagte er. Brasilien arbeitet zurzeit an einem technologisch ausgeklügelten Überwachungssystem für das Amazonastiefland, das helfen soll, das weite Urwaldgebiet dem Zugriff von Drogenhändlern und Umweltsündern zu entziehen.

Helikopter und Militärberater

Der neue Drogenkrieg ist Teil des umstrittenen «Plan Colombia». Kolumbien allein produziert 80 Prozent des auf der Welt konsumierten Kokains und versorgt drei Viertel des Heroinmarktes in den USA. Via den militärischen Teil des Plans werden für knapp 40 Millionen Dollar drei Luftwaffenstützpunkte im ecuadorianischen Manta sowie auf den Karibikinseln Aruba und Curaçao ausgebaut. Dort werden in Zukunft amerikanische Aufklärungsmaschinen starten und landen, um Flugzeuge der Drogenmafia frühzeitig zuentdecken und terrestrische Bewegungen auszumachen.

Ende Jahr werden die kolumbianischen Streitkräfte ein erstes Kontingent von insgesamt 60 amerikanischen Kampfhelikoptern des Typs Black Hawk und Huey zur Bekämpfung der Narkoguerilla erhalten. In den darauf folgenden Monaten werden die Ausbildung und die Ausrüstung von zwei weiteren Einheiten abgeschlossen sein, die das bereits bestehende, 950 Mann starke Antidrogenbataillon ergänzen werden. Dazu kommt eine Schnell-Eingreiftruppe, welche der obersten Armeeführung direkt unterstellt ist. Hunderte von amerikanischen Militär- und Geheimdienstberatern werden vor Ort zum Einsatzkommen, ohne sich allerdings direkt an Operationen zu beteiligen.

Überschwappen in die Region

Befürchtet wird, dass in den Grenzregionen zu Ecuador, Venezuela, Brasilien, Peru und Panama Unruhe entsteht. Aufständische sind versucht, vor allem in den militärisch schwach gerüsteten Nachbarländern temporär Schutz zu suchen, wie sie dies bereits seit langem im schwer zugänglichen Gebiet des Darién, auf der Landbrücke zwischen Kolumbien und Panama, tun. Bauern und Tagelöhner, die von den Kokafeldern vertrieben werden oder unschuldig zwischen die schwer durchschaubaren Kampffronten geraten, setzen sich in friedlichere Gefilde ab, ohne staatliche Grenzen zu berücksichtigen. Davon betroffen ist vor allem Ecuador, das an die Koka-Hochburg Kolumbiens, das Departement Putumayo, grenzt. Auf dieses Gebiet, das etwa halb so gross wie die Schweiz ist, wird sich der erste Schlag der Antidrogenoffensive konzentrieren. In den letzten Wochen haben bereits über 1000 Bewohner als Folge eines bewaffneten Streiks der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Farc) die Flucht nach Ecuador ergriffen.

Sobald mit massiven Sprühaktionen aus der Luft die riesigen Plantagen im kolumbianischen Amazonastiefland und entlang der Andenausläufer dezimiert werden, müssen jenseits der Grenzen alternative Produktionsstandorte für Koka- und Mohnpflanzen erschlossen werden. Die Rückkehr der Drogenmafia beunruhigt zu Recht andere Andennationen. Lateinamerikas Drogenproblematik wird gerne mit einem luftgefüllten Gummiballon verglichen. Knautscht man diesen an einer Stelle, dehnt er sich an einer anderen wieder aus.

Eine Hand wäscht die andere

In der Tat ist der Kokaanbau in den beiden traditionellen Produzentenländern Bolivien undPeru im Verlaufe der letzten zehn Jahre zurückgegangen. Kolumbien hat ihn an sich gezogen.Denn kooperationswillige Guerillas und Paramilitärs sowie bestechliche Offiziere bieten ein günstigeres Umfeld. Für einen kleinen Aufpreis ist hier der ungestörte Nachschub des Rohmaterials sichergestellt, das für die Kokain- und Heroinherstellung notwendig ist. Man schätzt, dass dieMafia-Organisationen Kolumbiens Guerillas jährlich gegen eine Milliarde Dollar in die Kriegskasse einbezahlen. Dies geschieht mittels einessubtilen, mit Gewalt erzwungenen Besteuerungssystems entlang der verschiedenen Etappen derDrogenproduktion. Vor allem für die dezentralisiert operierenden Farc bilden die Einnahmen aus dem Drogengeschäft die eigentliche Lebensader.


Aus: Neue Zürcher Zeitung, 24. Oktober 2000

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