Venezuela und Kolumbien ausgesöhnt
Treffen der Präsidenten Chávez und Uribe
Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *
Es war ein Treffen zum freundlichen Händeschütteln. »Heute beginnt eine neue Ära«, sagte Hugo
Chávez. Und Álvaro Uribe erklärte: »Wir sind Brüder.« Damit hatten die Präsidenten von Venezuela und Kolumbien ihren elfmonatigen Streit beigelegt.
Knapp drei Stunden hatten Chávez und Uribe bei ihren Treffen im venezolanischen
Ölraffineriezentrum von Paraguaná, rund 500 Kilometer östlich von Caracas in dem Küstenort Punto
Fijo, hinter verschlossenen Türen miteinander gesprochen. Wie sie ihre Streitpunkte aufgearbeitet
haben, darüber wurde nichts bekannt. Uribe sagte anschließend, die Begegnung habe »in
freundlichem Klima«, aber auch mit gegenseitigen Vorwürfen stattgefunden. Auf der gemeinsamen
Pressekonferenz vermieden es beide, ihre Ansichten zu den Auffassungen des jeweils anderen
kundzutun. Chávez bekannte lediglich, er habe seinem Amtskollegen zu der Befreiung von Ingrid
Betancourt aus den Händen der FARC gratuliert. Vorab angekündigte Wirtschaft- und
Handelsvereinbarungen wurden nicht unterzeichnet und auf den Text einer gemeinsamen
Abschlusserklärung konnten sich beide Seiten nicht verständigen. Das Verhältnis zwischen Uribe
und Chávez war mehr als angespannt.
Uribe hatte sich noch Ende August 2007 mit den Vermittlungsbemühungen seines Amtskollegen zur
Freilassung von Geiseln aus der Hand der Guerillaorganisation FARC einverstanden erklärt, ihm
aber am 21. November weitere Verhandlungen mit der FARC verboten. Chávez hatte darauf Uribe
einen Lügner geschimpft. Den Tiefpunkt der Beziehungen markierte Anfang März der Angriff der
kolumbianischen Armee auf ein Rebellenlager der FARC auf ecuadorianischem Staatsgebiet.
Sowohl Ecuador als auch Venezuela verlegten daraufhin Militäreinheiten an die Grenze zu
Kolumbien und brachen ihre diplomatischen Beziehungen zu dem Nachbarland ab. Uribe hatte
Chávez daraufhin vorgeworfen, die FARC zu unterstützen und gedroht, seinen venezolanischen
Amtskollegen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuklagen.
Das Säbelrasseln hatte die Region tagelang in Atem gehalten. Bei dem Treffen im venezolanischen
Punto Fijo hat Uribe angekündigt, er wolle auch die Beziehungen zu Ecuador normalisieren.
Ecuadors Präsident Rafael Correa lehnte ab: »Solange es in Kolumbien keine anständige Regierung
gibt, mit der dies verhandelbar ist, werden die diplomatischen Beziehungen nicht wieder
aufgenommen.«
* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2008
Boom mit sozialem Gefälle
Kolumbiens Wirtschaft wächst, doch die Armen leiden unter der Inflation
Von Knut Henkel *
Kolumbiens Wirtschaft wächst seit Jahren auf hohem Niveau. Hauptursachen sind steigende
Rohwarenpreise, ein zunehmender Binnenkonsum sowie mehr Sicherheit für Investoren. Doch
nachhaltig ist das Wachstum nicht und bei vielen kommt es nicht an.
In den Hitlisten der Weltbank ist Kolumbien weit vorn als ökonomischer Musterschüler, der viele
Hürden für Investoren abgetragen hat und deshalb kräftig wachse. Die nackten Daten geben den
Bankern in Washington recht, denn auch 2008 wird die Wirtschaft wohl um sechs bis sieben Prozent
wachsen. Für Analysten wie den Ex-Chefvolkswirt der Dresdner Bank Lateinamerika, Heinz Mewes,
gehört das Land zu den latent unterschätzten Volkswirtschaften der Region. Der Rohstoffreichtum,
vor allem Kohle, Eisenerz, Nickel, Erdöl, Gold und Smaragde, macht Kolumbien genauso attraktiv
wie seine Biodiversität, die Fülle an Agrarprodukten und das Angebot an Facharbeitern. Investoren
wissen das zu schätzen. So flossen 2007 neun Milliarden US-Dollar nach Kolumbien.
Die in dortigen Wirtschaftskreisen umjubelte Rückkehr der Investoren ist auch ein Erfolg der
Sicherheitspolitik der Regierung von Präsident Álvaro Uribe Vélez. Weniger Entführungen und
weniger Überfälle in der Hauptstadt dank massiver Polizei- und Militärpräsenz haben das
Sicherheitsgefühl verbessert. Das macht sich auch ökonomisch bemerkbar. Seit 2002 präsentiert
sich die Ende der 90er Jahre stark kriselnde Wirtschaft deutlich dynamischer. 6,8 Prozent Wachstum
in 2006 und 7,5 Prozent im letzten Jahr sind genauso ein Beleg dafür wie der stark steigende
Binnenkonsum. Zum kolumbianischen Boom hat jedoch auch die Hausse der Rohwarenpreise
beigetragen. Die steckte in erster Linie hinter dem 23-prozentigem Plus der Exporte 2007. Doch das
positive Wirtschaftsklima, das durch die spektakuläre Befreiung von Ingrid Betancourt und einem
Dutzend weiterer Geiseln der FARC-Guerilla weiter beflügelt wird, hat auch für einen beachtlichen
Investitionsschub gesorgt. Der belief sich 2007 auf 29 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).
Unterstützt wurde dies durch die Senkung der Unternehmenssteuern und den Bürokratieabbau,
meint die Weltbankanalysten in ihrer Studie. Dem gegenüber steht die steigende Inflation, die im
Juni um 7,2 Prozent über dem Vergleichsmonat 2007 lag. Unter ihr haben die Armen, immerhin rund
die Hälfe der 45 Millionen Kolumbianer, überproportional zu leiden. Viele schlagen sich als
Tagelöhner durch, denn trotz des Booms fehlt es an Arbeitsplätzen. Besonders betroffen ist die
Jugend, so Konfliktforscher Bernardo Pérez Salazar. Und pro Jahr drängen rund 300 000
Jugendliche auf den Arbeitsmarkt. Eine Herausforderung, der sich die Regierung in Bogotá bisher
kaum gestellt hat, so Salazar. Ein Beispiel dafür, dass das Wachstum nicht nachhaltig ist.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2008
FARC zum Dialog bereit
Von Harald Neuber **
Knapp zwei Wochen nach der Befreiung der franko-kolumbianischen Politikerin Ingrid Betancourt haben die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) zu der Militäraktion Stellung genommen. Am Freitag abend (11. Juli) veröffentlichte die Bolivarische Presseagentur im Internet ein Kommuniqué, in dem der Generalstab der FARC zwei Rebellen für die Aktion verantwortlich macht. »Die Flucht der 15 Kriegsgefangenen am 2. Juli war die direkte Folge des verwerflichen Verhaltens von César und Enrique, die ihr revolutionäres Versprechen und das in sie gesetzte Vertrauen verraten haben«, heißt es in dem Text. Die beiden Rebellen waren für die Bewachung Betancourts verantwortlich. Sie sollen sich seit der Befreiungsaktion in Haft befinden.
Die Erklärung des Generalstabs der FARC stützt Vermutungen, nach denen Betancourt und 14 weitere Gefangene -- darunter drei US-amerikanische Söldner -- nicht militärisch befreit wurden, sondern nach einer Zahlung von Lösegeld freikamen. Die Regierung in Bogotá behauptet nach wie vor, die Führung der FARC-Guerilla unterwandert und so die Befreiung erreicht zu haben. Schon in der vergangenen Woche hatten dem entgegen der Schweizer Radiosender RSR und das französische Onlinemagazin Mediapart.fr berichtet, daß bei der Aktion mehrere Millionen US-Dollar geflossen sind.
»Unabhängig von den Geschehnissen setzen wir uns weiter für humanitäre Abkommen ein, die einen Gefangenenaustausch ermöglichen und die Zivilbevölkerung vor den Folgen des Konfliktes schützen«, heißt es nun in der FARC-Erklärung, die auf den 5. Juli datiert ist. Der für Kolumbien notwendige Frieden müsse das Ergebnis von Abkommen zugunsten der Mehrheiten sein, »und nicht die Friedhofsruhe, die angesichts der Korruption, des Staatsterrors, des Treuebruchs und des Verrats herrscht«.
Gegenüber der deutschen Presse-Agentur dpa bestand die kolumbianische Senatorin Piedad Córdoba indes weiter auf der Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung im kolumbianischen Konflikt. Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch mit den FARC könnten dazu beitragen, »auf demokratischem Weg weitere Verbesserungen zu erreichen, etwa die Beseitigung von Antipersonenminen oder Hilfe für Kindersoldaten. Unter sozialen und demokratischen Gesichtspunkten lohnt sich das mehr als eine gewaltsame Befreiungsaktion.« Zugleich forderte Córdoba, die dem linken Flügel der Liberalen Partei Kolumbiens angehört, die FARC auf, von bestimmten Praktiken abzulassen, »die auf breite Ablehnung stoßen«. Sie spielte damit auf die politischen und Kriegsgefangenen in den Händen der FARC an. Auf lange Sicht, so Córdoba, sei der Konflikt mit den FARC aber nur durch die Bekämpfung der »tiefgreifenden sozialen Ungleichheit und mit demokratischen Reformen« zu lösen.
Am Freitag (11. Juli) legten die Präsidenten von Kolumbien und Venezuela, Alvaro Uribe und Hugo Chávez, ihren Streit über den Umgang mit den FARC bei. Nach dem zweistündigen Treffen in Punto Fijo im Nordwesten Venezuelas sprach Chávez von einer »neuen Ära« in den Beziehungen. Zugleich bot er an, erneut zwischen den Konfliktparteien im Nachbarland zu vermitteln. Uribe erklärte indes, zu Verhandlungen mit der Rebellenorganisation bereit zu sein.
** Aus: junge Welt, 14. Juli 2008
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