Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Santos bringt Schlagkraft nach Europa

Kolumbianischer Präsident will mit Kanzlerin Merkel zivil-militärische Zusammenarbeit besprechen

Von David Graaff, Bogotá *

Kolumbianische Sicherheitskräfte sollen an EU-Missionen am Horn von Afrika und in der Ukraine teilnehmen. Kritik kommt vor dem Berlin-Besuch von Präsident Juan Manuel Santos von der deutschen LINKEN.

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel am heutigen Mittwoch in Berlin Kolumbiens Präsidenten Juan Manual Santos empfängt, soll es um den Frieden in dem südamerikanischen Land gehen. Santos reist derzeit durch Europa, um um Unterstützung für die Friedensverhandlungen zu werben, die seine Regierung seit mehr als zwei Jahren mit der Rebellengruppe FARC führt.

Ein Thema des Gesprächs mit der Kanzlerin dürfte aber auch die geplante Beteiligung von kolumbianischen Sicherheitskräften an den Krisenbewältigungsoperationen der EU am Horn von Afrika und in der Ukraine sein. Denn wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag hervorgeht, die »nd« exklusiv vorliegt, hat die EU vor wenigen Tagen beschlossen, Kolumbien einzuladen, sich an der zivilen Polizeimission EUAM in der Ukraine zu beteiligen. Bei dem EU-Außeneinsatz sollen Experten aus verschiedenen Ländern die örtlichen Behörden bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Reform des Sicherheitssektors beraten. Außerdem prüft die EU derzeit, ob die kolumbianische Marine die Anti-Piraten-Mission Atalanta unterstützen könnte, die die EU seit 2008 am Horn von Afrika durchführt. Nach Auffassung der Bundesregierung wäre die von Kolumbien angebotene Bereitstellung einer Fregatte eine Entlastung für die rund 1200 europäischen Soldaten, die derzeit vor Ort im Einsatz sind.

Die Beteiligung Kolumbiens an Atalanta und EUAM könnte der Startschuss für die Zusammenarbeit zwischen der EU und Kolumbien im Bereich der zivilen und militärischen Missionen sein. Beide Seiten hatten im August dieses Jahres ein entsprechendes Rahmenabkommen unterzeichnet. Es soll 2015 in Kraft treten.

Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN im Bundestag, kritisierte die Entscheidung der EU, Kolumbien als Drittstaat an Auslandsmissionen zu beteiligen. Dies sei nicht die adäquate Maßnahme, um einen möglichen Friedensschluss zu stärken, so Hänsel. Auch deutsche Hilfswerke und Menschenrechtsorganisationen, die Partner in Kolumbien begleiten, lehnen die Vereinbarung ab.

Die Weste der kolumbianischen Militärs ist alles andere als weiß. Mehrere hochrangige Militärs arbeiteten in den vergangenen Jahrzehnten nachweislich eng mit rechten Paramilitärs zusammen und ermöglichten es den Todesschwadronen, unter dem Deckmantel der Aufstandsbekämpfung zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung zu verüben. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hat Kolumbien deshalb bereits mehrfach verurteilt. Berüchtigt ist zudem die Praxis der außergerichtlichen Hinrichtungen: Um Prämien zu kassieren, entführten und töteten Armeeangehörige Zivilisten und präsentierten sie dann als im Kampf gefallene Guerilleros. Mindestens 3400 solcher Fälle hat die kolumbianische Staatsanwaltschaft registriert. »Bei der überwiegenden Zahl der Fälle wurden die Täter bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen«, sagt der Geschäftsführer von MISEREOR, Martin Bröckelmann-Simon. Die EU könne sich nicht darauf verlassen, dass das kolumbianische Militär internationale Menschenrechtsstandards einhalte.

Mit Sorge beobachten nicht nur Menschenrechtler und Oppositionspolitiker, sondern auch die Vereinten Nationen in diesem Zusammenhang eine von der Regierung Santos geplante Ausweitung der Militärgerichtsbarkeit, die derzeit im Parlament diskutiert wird. Sie befürchten, dass die ohnehin hohe Zahl ungesühnt gebliebener Menschenrechtsverbrechen weiter steigen könnte, sollten Militärgerichte für die Verurteilung der eigenen Soldaten zuständig sein.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 5. November 2014


Zurück zur Kolumbien-Seite

Zur Kolumbien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik" (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage