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Keine Freunde des Friedens

Kolumbiens Militär torpediert die Verhandlungen von Havanna und wird von Skandalen eingeholt

Von David Graaff, Bogotá *

Ein massiver Korruptionsskandal in Kolumbiens Armee überschattet das Wahljahr 2014, bei dem im März der Kongress und im Mai die Präsidentschaft neu bestimmt wird.

Es scheint ein Fass ohne Boden zu sein. Mitten im Wahlkampf wird das kolumbianische Militär von einer Serie von Skandalen erschüttert. Nach Berichten über bespitzelte Verhandlungsführer der Friedensgespräche in Havanna und abgefangenen Emails ausländischer Journalisten fegt nun ein Korruptionsskandal durch die Armee. Hintergrund sind von der Wochenzeitschrift »Semana« veröffentlichte Mitschnitte, in denen der Oberbefehlshaber der Streitkräfte Leonardo Barrera dem inhaftierten Oberst Robinson González riet, eine »Mafia« zu gründen, um die gegen ihn ermittelnden Staatsanwälte und, so wörtlich, »diesen Haufen Scheiße« in Misskredit zu bringen. Gegen den Soldaten laufen Ermittlungen, weil er in zwei Fällen unschuldige Bauern ermordet und sodann als im Kampf getötete Guerilla-Mitglieder deklariert haben soll. General Barrero wurde inzwischen wegen »respektloser« Äußerungen über die Staatsanwaltschaft in den Ruhestand versetzt, so Kolumbiens Staatspräsident Juan Manuel Santos. Das Gespräch war im Rahmen von Korruptionsermittlungen gegen denselben Oberst aufgezeichnet worden. Weitere fünf Generäle wurden wegen des Korruptionsskandals in den Ruhestand versetzt.

In hunderten von »Semana« ausgewerteten Gesprächen geht es außerdem um die Abzweigung von Geldern bei Ausrüstungsverträgen. Militärs sollen sich bis zu 50 Prozent der jeweiligen Vertragssumme zugeschanzt haben. Das Gesamtvolumen der 86 fraglichen Verträge beläuft sich laut zuständiger Staatsanwaltschaft auf rund 20 Millionen Euro.

Die kolumbianische Justiz vermutet allerdings nicht nur Geldgier hinter der Korruption. Es besteht der Verdacht, dass die abgezweigten Summen als Schweigegeld für diejenigen Soldaten dienten, die wie Oberst González der Ermordung von Zivilisten und deren Präsentation als im Kampf gefallene Guerilleros beschuldigt werden. Diese Praxis der sogenannten »falsos positivos« war seit 2005 in der kolumbianischen Armee gang und gäbe, die Staatsanwaltschaft ermittelt in mehr als 2000 solcher Fälle. Hochrangige Militärs könnten ein Interesse daran haben, dass ihre inhaftierten Subalternen über das wahre Ausmaß schweigen. Bisher wurden lediglich in etwas mehr als einem Drittel der Fälle Urteile gefällt und Strafen verhängt.

Ins Rollen gebracht hatte den Korruptionsskandal der Enthüllungsjournalist Ricardo Calderón. Die Recherchen des 43-Jährigen haben schon oft ranghohe Würdenträger zu Fall gebracht. In den vergangenen Jahren hatte er mehrfach Ungereimtheiten bei Polizei, Militär und ihren Geheimdiensten aufgedeckt und sich damit mächtige Feinde gemacht. Vergangenes Jahr entkam er nur knapp einem Mordanschlag, nachdem er über laxe Haftbedingungen in Militärgefängnissen berichtet hatte.

Das kolumbianische Militär präsentiert sich in der Öffentlichkeit gerne als Verteidiger der Demokratie vor den »Narco-Terroristen« der Guerilla. Dabei waren Angehörige des Militärs in der Vergangenheit für unzählige Menschenrechtsverbrechen verantwortlich. Dank Milliardenhilfen aus den USA und den zweithöchsten Militärausgaben in Lateinamerika konnte sich der riesige Militärapparat mit fast einer halben Millionen Soldaten seit der Jahrtausendwende nicht über mangelnde Finanzierung beklagen. Als Freunde des Friedens gelten die Militärs nicht, ihr Selbstverständnis rührt aus dem jahrzehntelangen Kampf gegen die Guerilla. Wenngleich ein Armeevertreter Teil der Verhandlungsdelegation bei den Gesprächen in Havanna ist, sehen nicht wenige Generäle den Dialog mit den Bewaffneten Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) als Verrat an ihrer vaterländischen Mission und hegen Sympathien für den Ex-Präsidenten Álvaro Uribe, ein Verfechter der militärischen Lösung des Konfliktes. Sollte es zu einem Friedensschluss mit der Guerilla kommen, so kündigte Finanzminister Mauricio Cardenas bereits an, würde das Verteidigungsbudget von derzeit rund neun Milliarden Euro jährlich deutlich gekürzt.

Oppositionelle forderten rund zwei Wochen vor den Kongresswahlen angesichts der neuesten Enthüllungen diese Woche den Rücktritt des immer wieder durch populistische Kritik an den FARC auffallenden Verteidigungsministers Juan Carlos Pinzón. Doch das scheint derzeit unwahrscheinlich: Präsident Santos braucht einen Hardliner in den eigenen Reihen, um die skeptischen Militärs bei Laune zu halten.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. Februar 2014


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