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Wahl zwischen Krieg und Frieden

Kolumbien: Verhandlungen mit Guerilla stehen im Fokus der Präsidentschaftswahl am Sonntag

Von Lena Kreymann *

In Kolumbien wird am Sonntag ein neuer Präsident gewählt. Mit der Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, die in der ersten Runde am 25. Mai die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten, wird insbesondere darüber entschieden, inwiefern die derzeit laufenden Friedensverhandlungen mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) in Havanna fortgesetzt werden können.

Während sich der amtierende Präsident Juan Manuel Santos von der »Partei der Einheit« präsentierte, machte Oscar Iván Zuluaga von der rechten Partei »Demokratisches Zentrum« in seinem Wahlkampf deutlich, daß er ein Ende der Kampfhandlungen von seiten der Guerilla zur Bedingung für einen weiteren Dialog machen würde. Dies käme aller Wahrscheinlichkeit nach einem Ende des Friedensprozesses gleich und würde dann zu einer erneuten Verschärfung der bewaffneten Auseinandersetzung führen.

In aktuellen Umfragen zeichnet sich ein sehr knapper Wahlausgang ab. Laut einer Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut Gallup vom Donnerstag vergangener Woche unterstützen Zuluaga derzeit 48,5 Prozent, Santos 47,7. Schon im ersten Wahlgang war das Ergebnis knapp gewesen. 29,3 Prozent votierten für Zuluaga, Santos erzielte lediglich 25,7 Prozent. In der Stichwahl sind deshalb insbesondere die Stimmen der Parteien ausschlaggebend, die jetzt nicht mehr selbst antreten. Beide Kandidaten versuchten deshalb in den vergangenen drei Wochen, diese auf ihre Seite zu ziehen.

Santos’ Taktik, das Land über Parteiengrenzen hinweg in Gegner und Befürworter des Friedensprozesses zu spalten, scheint dabei aufgegangen zu sein. Selbst in der Konservativen Partei, um die insbesondere Zuluaga geworben hatte, bildete sie eine Fraktion von Unterstützern für Santos. Auch die kolumbianische Linke ist sich in der Frage uneins. Bereits vor dem ersten Wahlgang hatte Gustavo Petro, Bürgermeister von Bogotá, Santos seine Unterstützung ausgesprochen und mit ihm eine Persönlichkeit, die in den sozialen Bewegungen bekannt und beliebt ist. Zwar erfuhr er wegen seines Eintretens für eine Wiederwahl des amtierenden Präsidenten in seiner eigenen »Fortschrittlichen Bewegung« viel Kritik, für den zweiten Wahlgang gründeten dem lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur zufolge allerdings Mitglieder, die seiner Position zustimmten, das »Bündnis für den Frieden«, um die Unterstützer von Santos zusammenzuführen. Diesem hat sich inzwischen auch die linke Partei Unión Patriótica angeschlossen, nachdem sie dem Sender RCN Radio zufolge bereits seit Ende Mai Santos offiziell unterstützt.

Der Alternativ-Demokratische Pol (PDA), der mit Unión Patrótica gemeinsam zur Wahl angetreten war, ließ Ende Mai verlautbaren, keinen der beiden Kandidaten zu unterstützen. Das Exekutivkomitee überließ aus Uneinigkeit den Mitgliedern die freie Entscheidung, schlug aber vor, nicht oder ungültig zu wählen. PDA-Mitglied und Ex-Präsidentschaftskandidatin Clara López allerdings, die bei der Wahl immerhin auf 15,2 Prozent kam, erklärte der kolumbianischen Zeitung El Espectador zufolge am Mittwoch vergangener Woche ihre Unterstützung für Santos. Zustimmung erfährt sie darin von zahlreichen Führungspersönlichkeiten der Partei, die am vergangenen Dienstag ein Schreiben dazu veröffentlichten, in der sie ebenfalls die Bedeutung der Verhandlungen zwischen Regierung und FARC hervorhoben.

Zudem war es von Santos sicherlich wahlpolitisches Kalkül, kurz vor der Abstimmung bekanntgeben zu lassen, daß auch mit der Guerillaorganisation »Nationale Befreiungsarmee« (ELN) Verhandlungen geplant seien. Dies erklärten am vergangenen Dienstag ein Regierungssprecher und die linke Politikerin Piedad Córdoba, die von der ELN zu ihrer Sprecherin ernannt worden war. Demnach befinden sich Unterhändler beider Seiten seit Januar in Gesprächen über die genauen Bedingungen und die Agenda.

* Aus: junge Welt, Samstag 14. Juni 2014


Entscheidung zwischen rechts und extrem rechts

Alirio Uribe über Kolumbiens Stichwahl um die Präsidentschaft **

Am Sonntag entscheiden die Kolumbianer über ihren neuen Präsidenten. Die Wahl ist vor allem eine Abstimmung über die Fortsetzung der Friedensgespräche mit der Guerilla – glaubt die Linke und ruft fast geschlossen zur Wahl des konservativen Amtsinhabers Juan Manuel Santos auf. Mit dem Menschenrechtsanwalt und Kongressabgeordneten der Linksparte PDA Alirio Uribe sprach für »nd« David Graaff in Bogotá.


Haben Sie keine Bauchschmerzen, wenn sie am Sonntag für Juan Manuel Santos stimmen?

Wir haben ein tragisches Problem, denn wir müssen uns zwischen einem Kandidaten der Rechten, Präsident Santos, und der extremen Rechten, Oscar Iván Zuluaga, entscheiden. Beide vertreten das gleiche Wirtschaftsmodell. Wir entscheiden uns aus zwei Gründen für das kleinere Übel. Erstens weil es durch die Verhandlungen mit der FARC und der ELN-Guerilla das erste Mal in der Geschichte eine wirkliche Chance auf Frieden gibt. Die würden wir bei einem Sieg Zuluagas vergeben. Zweitens hat Santos die Beziehungen zu unseren Nachbarländern besser gehandhabt als vor ihm Uribe. Wir haben eine Verantwortung für den Frieden. Deshalb haben wir mit anderen linken Parteien und Organisationen vor ein paar Tagen die Breite Front für den Frieden ins Leben gerufen, um dem Teil der Bevölkerung, der am stärksten unter dem Konflikt leidet, noch mehr Leid und Tote zu ersparen.

Sie haben sich selbst viele Jahre als Anwalt für Opfer von Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien eingesetzt. Was würde eine Rückkehr des »Uribismo« an die Macht bedeuten?

Álvaro Uribe hat während seiner achtjährigen Amtszeit mehrfach den Rechtsstaat missachtet und es gab unzählige Menschenrechtsverletzungen. Wir fürchten, dass im Falle eines Sieges des Uribe-Kandidaten Zuluaga die Friedensverhandlungen scheitern werden, weil er Bedingungen für Verhandlungen stellt, die die Guerillas nicht akzeptieren werden. Aber da ist noch eine andere Angst: Seit die Friedensverhandlungen mit der FARC-Guerilla vor zwei Jahren begonnen haben, hat es in Kolumbien mehr Proteste gegeben als in den 35 Jahren zuvor. Es hat Raum für Diskussion über gesellschaftliche Missstände gegeben, die die sozialen Konflikte ans Tageslicht gebracht haben. Unser Land könnte mit den Friedensverhandlungen eine Art »Kolumbianischen Frühling« erleben. Mit dem durch Zuluaga vertretenen Uribe wäre Repression und Terror die Antwort. Unsere Breite Front für den Frieden würde zu einer Breiten Front gegen den Faschismus werden.

Wenige Tage vor der Wahl hat die Regierung eine Einigung mit der FARC über den Umgang mit den Opfern des Konflikts und die Aufnahme von Gesprächen mit der ELN bekannt gegeben. Ist es richtig, solche Themen politisch zu instrumentalisieren?

Es scheint in der Tat eine Strategie der Regierung zu sein, so kurz vor den Wahlen Fortschritte bei den Friedensgesprächen vorweisen zu können. Doch unabhängig davon ist es wichtig, dass der Prozess vorankommt. Wenn die Wahlen dazu beitragen, dass der Frieden näher rückt, dann ist das gut. Und auch die FARC haben erneut ein wichtiges Zeichen gesetzt: Die Tatsache, dass sie auch für diesen Wahltag einen einseitigen Waffenstillstand erklärt haben, ist eine Botschaft an die Menschen, den Frieden zu wählen.

Clara López, die Präsidentschaftskandidatin Ihrer Partei, unterstützt in der Stichwahl offen Präsident Santos. Damit aber sind in Ihrer Sammlungspartei Polo Democratico nicht alle einverstanden. Droht die Partei an dieser Frage zu zerbrechen?

Nicht nur ein Teil des Polo Democrático, auch Organisationen wie der nationale Indigenenverband ONIC und die Sammelbewegung Marcha Patriótica haben dazu aufgerufen, für den Frieden und damit für Santos zu stimmen. Natürlich hat die Unterstützung für Santos gewisse politische Risiken. Wir müssen jetzt erst einmal die Wahlen abwarten. Danach wird es sicherlich eine innerparteiliche Debatte geben.

** Aus: neues deutschland, Samstag 14. Juni 2014


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