EU soll in Kongo auf "Blut und Eisen" setzen
Die Lage nach den Wahlen in dem afrikanischen Staat gerät zunehmend außer Kontrolle
Von Tobias Pflüger und Christoph Marischka *
Wenn es ein treffendes Bild gibt, das die so genannte Europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik (ESVP) zeigt, dann ist es dieses: EU-Botschafter, die von der Präsidialgarde
ihres Verbündeten Joseph Kabila in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa beschossen wurden
und stundenlang im Keller des Hauptquartiers seines Rivalen Jean-Pierre Bemba ausharren
mussten, bis sie von der eigenen EU-Truppe gerettet wurden.
Jetzt aber stellt sich heraus, dass alles noch grotesker ist als bisher dargestellt. Denn nach Angaben
der »Denkfabrik« International Crisis Group wurden die Gefechte in Kinshasa Mitte August auch
noch von kongolesischen Polizeieinheiten ausgelöst, die von der Europäischen Union trainiert und
mit Mitteln des EU-Entwicklungsfonds ausgerüstet wurden.
Am Tag nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des ersten Wahlgangs in der Demokratischen
Republik Kongo kamen die Soldaten der EUFOR das erste Mal zum Einsatz, nachdem die Truppen
Kabilas mit schwerem Gerät Bembas Residenz angegriffen hatten, in der sich gerade verschiedene
EU-Botschafter aufhielten. Nach einem mehr als sechsstündigen Gefecht gelang es den EUFORSoldaten,
die Botschafter zu evakuieren. Die Gefechte zwischen den Anhängern Kabilas und
Bembas hatten etwa eine Stunde vor der Verkündung der Wahlergebnisse begonnen, nachdem
Kabila-treue »Integrierte Polizeieinheiten« (IPU) einen Fernsehsender Bembas umstellt hatten.
Während des anschließenden Waffenstillstands rüsteten beide Seiten auf. Unter anderem sind 42
Panzer und gepanzerte Fahrzeuge in Kinshasa »verloren gegangen«, die unter den Augen der UNOMission
MONUC im Juli ins nahe gelegene Matadi geliefert wurden und für die »Integrierte Armee«
(FARDC) gedacht waren.
Vor den Wahlen und dem so genannten Friedensprozess konzentrierte sich die EU darauf, die
Soldaten der zahlreichen Milizen in eine neue nationale Armee zu integrieren und insbesondere in
der Hauptstadt eine neue Polizei – bestehend eben aus IPU – aufzubauen.
Die EU unterstützte diesen Neuaufbau des Sicherheitsapparates der DR Kongo durch zwei
eigenständige ESVP-Missionen. EUPOL KINSHASA hatte zum Ziel, 1000 Polizisten der IPU in
Kinshasa auszurüsten und zu trainieren. Nachdem im Juni 2005 Demonstrationen in der Hauptstadt
niedergeschossen worden waren, gab es den Vorwurf, diese wären an der Niederschlagung des
friedlichen Protests beteiligt gewesen. Eine Untersuchung wurde bislang blockiert. Dazu kommt die
Mission EUSEC DRCongo, in deren Rahmen EU-Militärberater dem Verteidigungsministerium und
den Hauptquartieren der FARDC zur »Unterstützung« beigestellt sind. Sowohl integrierte Polizei als
auch FARDC verhalten sich überwiegend loyal gegenüber Kabila. Es ist davon auszugehen, dass
viele Einheiten im Falle einer Wahlniederlage weiterhin für Kabila und nicht für die neue Regierung
kämpfen würden.
Die International Crisis Group (ICG) schlägt deshalb in ihrem unmittelbar an die EUEntscheidungsträger
gerichteten Papier vor, sofort die EUFOR-Truppen in Kinshasa zu verstärken
und außer der MONUC alle anderen bewaffneten Einheiten in ihre Kasernen zu verbannen. Dazu
reicht ihre Stärke natürlich nicht annähernd aus. Mehrfach wurden die EUFOR-Soldaten bislang von
Menschenmengen mit Steinen attackiert, auch ihre Fahrzeuge wurden angegriffen und etliche davon
zerstört. Der Tod einer Kongolesin durch den Absturz eines unbemannten Flugzeugs der EUFOR in
Kinshasa hat die Lage nicht gerade zum Besseren gewendet.
Jetzt empfiehlt die ICG, den EUFOR-Soldaten vor dem zweiten Wahlgang Ende Oktober die
eindeutige Anweisung zu geben, »Gewalt anzuwenden, um Gewalt zu verhindern«. Die Europäer
lehren Afrika mit Blut und Eisen Mores. Eine Devise, die auch die dortige Bevölkerung fatal an längst
vergangene Kolonialzeiten erinnern könnte.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2006
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