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Die Europäische Union verlässt Kongo, die Probleme bleiben

Bunia für drei Monate befriedet, doch der Krieg in der Provinz Ituri hält an

Mit der Resolution 1501 (2003), die der UN-Sicherheitsrat am 26. August 2003 verabschiedete, wurde die geplante Beendigung des Mandats der EU-Truppe in Bunia beschlossen. Der folgende Artikel, den wir dem "Neuen Deutschland" vom 1. September 2003 verdanken, versucht eine erste Bilanz des Einsatzes zu geben.


Von Martin Ling

Heute endet der erste Militäreinsatz der Europäischen Union (EU) außerhalb Europas. Mehr als eine relative Befriedung der Provinzhauptstadt von Ituri, Bunia, wurde nicht erreicht. Nun zieht die EU aus der Demokratischen Republik Kongo ab, und der Verdacht, dass es sich um einen Probelauf für künftige Militäroperationen gehandelt hat, bleibt für einige Beobachter weiter bestehen.

Aus offizieller Sicht ist sie eine Erfolgsstory: die mit humanitär-sicherheitspolitischen Motiven begründete Militärintervention der EU in Kongo. Die französische Verteidigungsministerin Michčle Alliot-Marie urteilte bereits Anfang August, dass sich der Einsatz der etwa 1500 Soldaten gelohnt habe. Dies sei die »Geburtsstunde der europäischen Sicherheitspolitik«, sagte sie bei einem Besuch in Ituri. »Ein humanitäres Drama ist verhindert oder zumindest begrenzt worden«, ergänzte sie. Doch selbst während ihrer Reise hielten die Berichte über Massaker im Umkreis von Bunia an.

»Was sich verbessert hat, ist die Sicherheitslage in und 15 Kilometer rund um Bunia«, beschreibt Christoph Klitsch-Ott die Situation vor Ort. Deswegen sei es Caritas International möglich gewesen, während der EU-Präsenz zwei Projekte in Bunia und Butembo zu realisieren. »Unterm Strich hat der punktuelle EU-Einsatz punktuell etwas gebracht«, meinte der Kongo-Referent der Hilfsorganisation gegenüber ND. Mit massiver Militärpräsenz, modernstem Gerät und mit robustem Mandat ausgestattet, hätten die EU- Soldaten Bunia halbwegs befriedet. Der Vorgänger, die UNO-Mission MONUC, war mit einem solch robusten Mandat nicht ausgestattet. Deswegen, so Klitsch, konnte sie bestenfalls sich selbst, aber nicht die Zivilbevölkerung schützen. Der EU sei dies freilich auch nur in Bunia und naher Umgebung gelungen. Für hilfsbedürftige Flüchtlinge und Zivilisten außerhalb des EU-gesicherten Territoriums hätte sich nichts an der katastrophalen Lage geändert. Hinzu käme, dass die EU kein politisches Konzept entwickelt hätte, um die dem Konflikt zu Grunde liegenden Ursachen anzugehen, kritisiert Klitsch-Ott. Beispielsweise die Verwicklung Ruandas und Ugandas in die illegale Rohstoffausbeutung in der Region.

Ein fehlendes politisches Konzept moniert auch der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski. »Grundsätzlich müsse die Politik sich angewöhnen, nicht mit militärischen Mitteln ranzugehen«, schildert er seine Skepsis gegenüber der Vorgehensweise der EU. Dem Argument mancher kritischer Interventionsbefürworter, dass die EU-Mission nur dann erfolgreich hätte sein können, wenn sie zeitlich und räumlich größer angelegt worden wäre, vermag Strutynski nichts abzugewinnen. »Flächendeckende Intervention bedeutet flächendeckender Krieg.« Ohnehin nimmt Strutynski die humanitär-sicherheitspolitische Begründung von Frankreich, Belgien und Deutschland nicht für bare Münze. Andernfalls, so Strutynski gegenüber ND, hätten die genannten Staaten sowie die EU als Ganzes die Mission der Vereinten Nationen in Kongo (MONUC) unterstützen und die Mittel zur Verfügung stellen müssen, die der UNO-Generalsekretär Kofi Annan seit langem forderte. Doch weder von der Bundesregierung noch von der EU wurden Angebote unterbreitet, die unterbesetzten UNO-Kräfte aufzustocken – auch nicht für die Zeit nach dem eigenen Abzug. Auch die PDS-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann teilt die Einschätzung, dass die EU bisher zu wenig unternommen habe, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu fördern. Allein in der Region Ituri sind seit Beginn der offenen Feindseligkeiten 1998 rund 50000 Menschen bei Kämpfen und Massakern ums Leben gekommen. Nicht einmal überprüft wurde, inwieweit europäische Firmen, auch deutsche, am kriminellen Handel der Milizen im Nordosten Kongos mit strategisch wichtigen Rohstoffen wie Diamanten oder Coltan verwickelt sind. Mehr als ein Probelauf für die EU-Interventionsarmee sei die Mission in Kongo nicht gewesen, konstatiert Kaufmann nüchtern.

Dass »viele Menschen in der Region Angst haben, wenn die Franzosen abziehen«, wie der Sprecher der MONUC verlauten ließ, ist durchaus glaubhaft. Denn die nun antretenden Soldaten der MONUC unter der Führung von Bangladesch kommen überwiegend vom indischen Subkontinent und haben weder Afrika-Erfahrung noch französische Sprachkenntnisse. Und auch militärtechnisch werden sie die Milizen weit weniger beeindrucken können als die High-Tech-EU. Dass nun selbst Bunia wieder einen Rückfall in offen kriegerische Zeiten erlebt, ist so unwahrscheinlich nicht. Denn politisch ist die Provinz Ituri von einer Konfliktlösung so weit entfernt wie vor der EU-Mission.


Code »Artemis«

Der Konflikt in Kongo zählt laut UNO zu den furchtbarsten der Gegenwart: Allein in den letzten vier Jahren sollen rund 2,5 Millionen Menschen in Kämpfen ums Leben gekommen sein. Die erste gemeinsame Militäraktion der Europäischen Union außerhalb des eigenen Kontinents wird unter Berufung auf die UNO-Resolution 1484 vom 30. Mai 2003 durchgeführt. Darin hatte der Sicherheitsrat die Verlegung einer multinationalen Eingreiftruppe nach Bunia gebilligt. In der Region Ituri waren im Mai und Juni Hunderte Menschen massakriert worden. Die Soldaten der UNO-Mission MONUC, deren Mandat den Einsatz von Gewalt nur zur Selbstverteidigung zuließ, hatten der Gewalt tatenlos zusehen müssen.

Am 5. Juni dieses Jahres machte der Europäische Rat per Beschlussfassung den Weg für die sieben Tage später eingeleitete Operation mit dem Codenamen Artemis frei. Frankreich übernahm als »Rahmennation« die Führung des EU-Einsatzes und stellte die militärische Leitung (Operation Commander). Die Bundesrepublik hat sich an der Operation mit logistischer Unterstützung vom Nachbarland Uganda aus beteiligt.

Ab 1. September übernimmt erneut die UNO-Mission MONUC den Schutz der Bevölkerung – allerdings mit gestärktem Mandat und mit bis zu 3800 Soldaten, die auch – anders als die EU-Truppe – außerhalb Bunias aktiv werden.


Aus: ND, 01.09.2003


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