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Den Attacken schutzlos ausgeliefert

Im Osten der Republik Kongo leidet die Bevölkerung unter gewalttätigen Überfällen

Von Kristin Palitza, Bukavu *

Frieden und Stabilität im Osten der Demokratischen Republik Kongo, bleiben Wunschdenken. Zivilisten leiden täglich unter Gewalt. Die Situation wird Präsident Joseph Kabila bei der Wahl am 28. November Zehntausende Stimmen kosten.

Die Stimmung ist angespannt. Arme vor der Brust verschränkt, Beine gespreizt, Kampfstiefel fest auf dem Boden platziert - in den Gesichtern der Offiziere spiegelt sich eine Mischung aus Misstrauen, Arroganz und Frustration wider. Die Armee der Demokratischen Republik Kongo ist harsch kritisiert worden, seit Präsident Joseph Kabila im Mai 2009 begann, die Hälfte der auf 330 000 geschätzten Milizen zu demobilisieren und in die nationale Armee einzugliedern. Zuvor führten sie einen langjährigen blutigen Krieg um politische und ethnische Dominanz sowie die Kontrolle über die Bodenschätze des Landes.

Zwei Jahre später ist offensichtlich, dass diese Strategie fehlgeschlagen ist. Interne Machtkämpfe entlang ehemaliger Milizenlinien, mangelnde Kontrolle der Truppen, fehlendes Training und geringe oder unausgezahlte Gehälter haben die Moral der kongolesischen Armee zerstört. Ihr Ruf ist der korrupter Mörder, Vergewaltiger und Diebe - Feinde statt Beschützer der Bevölkerung.

Soldaten als Feinde statt Beschützer

»Wir haben noch immer keine professionelle Armee. Es gibt Elemente, die plündern und gewalttätig sind«, gibt Oberstleutnant Muhima Busanga, stationiert in Bukavu, der Regionalhauptstadt der Provinz Süd-Kivu im Osten Kongos, zögernd zu. Eine Situation, die seiner Ansicht nach schwer zu beheben sei, solange Soldaten kein angemessenes Gehalt bekommen.

Kongos Soldaten verdienen durchschnittlich 50 Dollar im Monat, und selbst dieser niedrige Betrag wird nicht regelmäßig ausgezahlt, so Busanga. »Ein vernünftiges Gehalt würde Soldaten stabilisieren. Dann wären sie nicht darauf angewiesen, von Zivilisten zu stehlen«, erklärt der Oberstleutnant, während er sich unbehaglich auf seinem Stuhl zurechtsetzt.

Der Zustand von Bukavus Kaserne zeigt deutlich, dass Soldaten alles andere als komfortabel leben: Heruntergekommene Backsteindomizile stehen inmitten klappriger, aus Holz und Plastik zusammen gehämmerter Hütten. Darin leben die Soldaten mit ihren Frauen und Kindern auf engstem Raum und oft ohne fließendes Wasser oder Strom.

Politische Analysten glauben, Kabilas Entscheidung, bewaffnete Gruppen zu vereinigen, sei schlecht durchdacht gewesen. »Die Regierung hat einfach angeordnet, die unterschiedlichen Gruppen zusammenzubringen, ohne stichhaltigen Integrationsmechanismus«, sagt Professor Gustave Nachigera, politischer Analyst und Rektor der Evangelischen Universität Afrikas in Bukavu. »Männer, die andere Soldaten und Zivilisten gefoltert, vergewaltigt und getötet haben, sollen von einem Tag auf den anderen in die Armee eingegliedert werden und die Bevölkerung schützen. Das ist völlig unmöglich«, sagt er.

Offiziell herrscht in Kongo zwar seit Dezember 2002 Frieden, dem die Bildung einer Übergangsregierung unter Präsident Joseph Kabila Mitte 2003 und drei Jahre später demokratische Wahlen folgten. Doch widerstreitende nationale und internationale Interessen an seinen reichhaltigen Bodenschätzen scheinen Kongo zu Krieg und Stagnation zu verdammen.

Der zentralafrikanische Staat, dessen Fläche der Größe Westeuropas entspricht, besitzt ein Drittel der globalen Kobalt- und Diamantenvorkommen, 70 Prozent der weltweiten Coltanreserven, die für die Herstellung von Computerteilen und Handys notwendig sind, sowie Gold und Kupfer. Viele der Bodenschätze liegen in Nord- und Süd-Kivu, doch die Bevölkerung hier ist über die Jahrzehnte kaum an den Profiten beteiligt worden. So verschlechtert sich die humanitäre Situation im Osten des Landes, an der Grenze zu Ruanda, zunehmend. Attacken von Rebellengruppen stehen auf der Tagesordnung. Dörfer werden regelmäßig geplündert, ihre Bewohner getötet, entführt, vergewaltigt.

In Katana etwa, einem Dorf rund 50 Kilometer nördlich Bukavus, müssen Frauen aus Angst vor Attacken nachts in den Bananenplantagen Schutz suchen. »Es gibt fast niemanden hier im Dorf, der keine Gewalt erfahren hat«, sagt Angelique Rusumba, eine der Dorfvorsitzenden. »Vergewaltigung und Folter werden als psychologische Kampfstrategie genutzt.« Milizen stehlen die Ernten und Vieh und bringen die Dörfler so in größte Armut, sagt Rusumba. Laut einem UN-Bericht von 2009 über menschliche Entwicklung leben fast 80 Prozent aller Kongolesen unter der Armutsgrenze von zwei Dollar pro Tag.

Auflösung der Milizen brachte keinen Frieden

Bis vor wenigen Jahren hatten Dörfer Schutz durch ihre eigenen Milizen, die Maï-Maï. Doch diese wurden seit Kongos ersten demokratischen Wahlen 2006 demobilisiert. Der versprochene Frieden kehrte jedoch nicht ein. Stattdessen verstärkte sich die Schutzlosigkeit der Bevölkerung - unbewaffnete Männer müssen nun hilflos zusehen, wie ihre Familien attackiert, ihre Häuser und Felder geplündert werden. »Wir sind schutzlos, doch die Übergriffe währen fort. Gerade letzte Woche fielen bewaffnete Milizen in unser Dorf ein, beraubten uns und entführten acht Männer, die ihre Beute schleppen mussten«, sagt Claude Nyemwemera, ein 25-jähriger ehemaliger Maï-Maï-Soldat aus Kahungu, dem Nachbardorf Katanas. »Die meisten werden nie wieder gesehen.«

Dass der Friedensprozess nicht vorankommt, einschließlich gesetzlicher Verfolgung von Gewalttätern, ist von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert worden. »Die Unfähigkeit Kongos, seine eigene Armee und bewaffnete Gruppen für Straftaten, die gegen internationales Recht verstoßen, zur Rechenschaft zu ziehen, hat eine Kultur der Straffreiheit geschaffen. Sie verursacht Attacke über Attacke auf Zivilisten«, klagt Erwin van der Borght, Direktor von Amnesty Afrika.

Auch auf den Schutz durch Polizisten kann die Bevölkerung nicht hoffen. »Die Polizei terrorisiert die Bevölkerung genau wie das Militär«, sagt André Dah Lokonon, Ausbildungsleiter der Polizeikräfte der Vereinten Nationen, die im Juni ein Pilotprogramm startete, um Kongos Polizeibeamte auf internationales Niveau bringen.

Unterbezahlte und schlecht ausgebildete Polizei

Bislang wurden 219 hochrangige Offiziere allein im Raum Bukavu ausgebildet, in der »Hoffnung, dass die gehobenen Standards sich schließlich auf alle Polizeikräfte auswirken«, erklärt Lokonon. Dies werde allerdings Jahre dauern. Und ohne angemessene Bezahlung sieht der Ausbildungsleiter wenig Chancen auf nachhaltige Verbesserungen. Denn Polizisten verdienen genauso wenig wie Soldaten. »Geringe Gehälter bleiben das grundlegende Problem. Ohne guten Lohn kann man Korruption nicht ausrotten«, meint Lokonon. Ein Polizeibeamter aus Bukavu, der sich nur anonym äußern will, bestätigt: »Wie soll ich meine Familie ernähren, meine Miete zahlen, mit 50 Dollar? Ich muss meine eigenen Mittel finden, um Geld zusammen zu bekommen.«

Solange die Grundbedingungen für Frieden und Stabilität im Osten Kongos nicht erfüllt werden, bleibt es äußerst unwahrscheinlich, dass die geschätzten neun Millionen Einwohner von Nord- und Süd-Kivu in wenigen Wochen ihre Stimme für Kabila abgeben werden.

* Aus: neues deutschland, 5. November 2011


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