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Wahlprozess auf dünnem Fundament

Wichtigste zivile Oppositionspartei in Kongo nicht auf der Liste – Kriegsparteien favorisiert

Von Martin Ling

Die im Februar von Präsident Joseph Kabila unterzeichnete Verfassung ebnete den Weg für die im Sommer anstehenden Wahlen.

Das Übergangsabkommen zur Befriedung der Demokratischen Republik Kongo endet am 30. Juni 2006. Nach dem angekündigten Wahlboykott der größten zivilen Oppositionspartei UDPS stehen die davor geplanten Provinz-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen unter keinem guten Stern. Noch nicht einmal der Termin steht endgültig fest: wie zuletzt geplant am 18. Juni, wie vermutet frühestens am 25. Juni oder gar erst am 2. Juli? Die Wahlkommission in Kinshasa hält den neuen Ablaufplan für die ursprünglich bereits für den Sommer 2005 anvisierten Wahlen noch unter Verschluss.

An Kandidaten wird es bei der Präsidentschaftswahl, die zeitgleich mit Provinz- und Parlamentswahlen stattfinden werden, nicht fehlen, auch wenn unklar ist, wie viele der offiziell 72 Kandidaten die 50 000 US-Dollar Startgebühr auftreiben können. Doch auf alle Fälle fehlt Etienne Tshisekedi, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Union für Demokratie und sozialen Fortschritt (UDPS).

Tshisekedi ist nicht irgendwer. Er symbolisierte den gewaltfreien Widerstand in den 90er Jahren gegen den langjährigen Diktator Mobutu Sese Seko, der schließlich 1997 von den Truppen des Vaters des amtierenden Präsidenten Joseph Kabila, Laurent Desire Kabila, gestürzt wurde.

Dabei ist die Wahlkommission formal im Recht. Die UDPS hatte letztes Jahr die Wählerregistrierung boykottiert, weil sie mangelnde Transparenz, Unsicherheit und staatliche Willkür als Gefahren für den Wahlprozess monierte. Schließlich besann sie sich eines anderen, doch zu spät. Ihre Forderung nach einer weiteren Verlängerung der Wählerregistrierung über den 2. April hinaus wurde von der Wahlkommission abschlägig beschieden. »Eine Verlängerung ist nicht mehr denkbar oder gerechtfertigt«, heißt es in einer Erklärung der Wahlkommission von letzter Woche. Die Folge: Viele UDPS-Anhänger stehen nicht auf der Liste, vor allem in ihrer Hochburg Ostkasai östlich der Hauptstadt Kinshasa, wo Tshisekedi ebenfalls über einen starken Rückhalt verfügt. Unter diesen Umständen weigert sich die UDPS kategorisch, an den Wahlen teilzunehmen, kündigte gestern ihr Sprecher Jean-Baptiste Bomanza in Kinshasa an.

Auch wenn die Wahlkommission formal im Recht ist, werden Wahlen ohne die größte zivile Oppositionspartei von vornherein mit einem Makel versehen sein, der der Akzeptanz des Ergebnisses bei der Bevölkerung gewiss nicht förderlich ist.

Prägen werden die Präsidentschaftswahlen Kandidaten aus der seit dem 17. Juli 2003 amtierenden Allparteienregierung, in der die bisherigen Kriegsparteien den Ton angeben, auch wenn Vertreter der Zivilgesellschaft mit im Kabinett vertreten sind. Der amtierende Staatschef Joseph Kabila (34), der nach der Ermordung seines Vaters im Januar 2001 die Amtsgeschäfte übernahm, gilt als Favorit. Am Sonntag reichte auch der Chef der Kongolesischen Bewegung für Demokratie (RCD Goma), Azarias Ruberwa, seine Kandidatur ein. Er ist einer von vier Vizepräsidenten in der Übergangsregierung und gilt als stärkster Gegner Kabilas – wie schon im Bürgerkrieg. Die RCD rekrutiert sich vor allem aus Tutsi und hatte im Krieg (1998-2003) mit ruandischer Unterstützung weite Teile des Ostens erobert und terrorisiert. Und auch der andere Rebellenchef, der es zum Vizepräsidenten gebracht hat, Jean-Pierre Bemba von der ugandisch unterstützten Kongolesischen Befreiungsbewegung (MLC) tritt an.

Mit der Allparteienregierung konnten die Kriegsherren ihre Pfründe wahren, durch Wahlen werden die Karten neu gemischt. Bemba hat allein nach Kinshasa 5000 seiner Soldaten mitgebracht, Präsident Kabila stützt sich in der Hauptstadt auf 15 000 Mann seiner Präsidialgarde und Ruberwas Milizen stehen in Ostkongo Gewehr bei Fuß. Welches Wahlergebnis wie von wem akzeptiert wird, ist eine offene Frage. Parlaments- und Provinzwahlen sind da ohnehin nur nebensächlich.

* Aus: Neues Deutschland, 5. April 2006

EU Gewehr bei Fuß

Kritik an Afrika-Einsatz

Von Olaf Standke


Im Bundeswehr-Standort Potsdam geben sich in diesen Wochen Militärs aus den EU-Staaten die Klinke in die Hand. Wie jene aus Belgien, die jetzt erwartet werden, sollen sie im Einsatz-Führungskomando die Mission in der DR Kongo vorbereiten. Das Hauptquartier in Kinshasa stellen die Franzosen. Die Union hat Ende März die umstrittene Entsendung von rund 1500 Soldaten beschlossen, vorausgesetzt, die nationalen Parlamente stimmen zu. Belgien etwa stellt Kräfte in den Bereichen Logistik und Sanitätsdienst sowie unbemannte Aufklärungsdrohnen. Die EU will 450 Soldaten für wenige Monate in Kinshasa und Umgebung stationieren. Weitere rund 800 würden außerhalb des Landes für den Ernstfall zur Verfügung stehen, die Bundeswehr mit 450 bis 500 Soldaten vor allem in Gabun und auf See. Hinzu kämen bis zu 200 Marinesoldaten auf einem möglichen Lazarettschiff. Ihr Einsatz wird laut Verteidigungsministerium mit 64 Mio. Euro über drei Mal so teuer wie vermutet. Nach Ansicht der außenpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE., Monika Knoche, will die EU in Kongo vor allem ihre militärische Handlungsfähigkeit demonstrieren. Kritiker halten die Verbände mit Blick auf eine mögliche Konfrontation mit den verfeindeten Rebellengruppen und Kindersoldaten aber für schlecht vorbereitet. Nicht zuletzt geht es auch um handfeste geostrategische Interessen, wie CDU-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff unverhohlen zugibt, wenn er an die reichen Ressourcen des Landes erinnert. Kongo verfüge über Rohstoffe, »die für Europa wichtig sind«, Kobalt etwa, Uran und Coltan.

Aus: Neues Deutschland, 5. April 2006




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