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Powerplay

Während der Westen in Nordkoreas zweitem Atomwaffentest eine "Bedrohung für den Frieden" sieht, will das Regime Kim Jong Ils eine Sicherheitsgarantie erwirken

Von Rainer Werning *

»Die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK)«, meldete Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA am vergangenen Montag (25. Mai), »hat am 25. Mai 2009 erfolgreich einen weiteren unterirdischen Atomtest vorgenommen als Teil der Maßnahmen mit dem Ziel, seine abschreckende atomare Selbstverteidigung in jeder Weise zu stärken, so wie es von seinen Wissenschaftlern und Technikern gefordert wird. (...) Der Test wird dazu beitragen, die Souveränität des Landes und der Nation und den Sozialismus zu verteidigen und Frieden und Sicherheit auf der koreanischen Halbinsel und in der umliegenden Region zu garantieren mit der Macht der Songun«.

Atomklub

»Songun« - »das Militär(ische) zuerst!« - ist die oberste politische Maxime der herrschenden Nomenklatur in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang. Demnach genießt das Militär unangefochten hegemoniale Stellung in Staat und Gesellschaft. Und militärische Belange haben Vorrang vor allen anderen - schon allein um des staatlichen Überlebens willen. Aus einer solchen etatistischen Perspektive war dieser nach dem Anfang Oktober 2006 gezündeten Sprengsatz der zweite geglückte Versuch, die DVRK nunmehr endgültig als neuntes Mitglied in den internationalen Klub der Atommächte zu katapultieren. Neben den fünf ständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat und »offiziellen« Atommächten China, Rußland, USA, Großbritannien und Frankreich zählen dazu Indien, Pakistan und Israel, die allesamt nicht den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben haben. Nach russischen Angaben war die Explosion der am 25. Mai gezündeten Bombe 20mal so stark und technologisch ausgereifter als beim ersten Test vor drei Jahren und entsprach etwa der Sprengkraft der von den USA im Zweiten Weltkrieg über Nagasaki abgeworfenen Atombombe. Außerdem feuerte Nordkorea nach südkoreanischen Berichten von Montag bis Mittwoch ein halbes Dutzend Kurzstreckenraketen mit weniger als 200 Kilometern Reichweite ab.

Überraschend kam dieser Doppelschlag keineswegs. China und die USA waren vorgewarnt, und bereits Ende April hatte die Führung der DVRK mit diesen Maßnahmen gedroht. Pjöngjang zeigte sich verärgert darüber, daß der UN-Sicherheitsrat den Test seines am 5. April gestarteten Kommunikationssatelliten - der Westen sprach indes von einer Langstreckenrakete - verurteilte. Es verlangte eine Entschuldigung sowie die Rücknahme von Sanktionen, kündigte den Ausstieg aus der seit 2003 unter der Schirmherrschaft Chinas tagenden Sechser-Gesprächsrunde zur Deeskalation des Atomkonflikts an, der neben Gastgeber Peking, Rußland, die USA, Japan und die beiden Korea angehören, und verwies die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) des Landes.

Führungsgremium

Seitdem die Bush-Administration Nordkorea im Januar 2002 neben Irak und Iran zur »Achse des Bösen« erklärte und die USA ein Jahr später in Irak einmarschierten, hat Pjöngjang ein »größtmögliches Abschreckungspotential« als legitim betrachtet und nichts so sehr gefürchtet wie einen Regimewechsel à la Bagdad. Aus Sicht Pjöngjangs war es unerläßlich, gegenüber seinen Feinden in der Region - den USA, Südkorea und Japan - Stärke zu demonstrieren. Der erste Test im Oktober 2006 entsprach nach Meinung internationaler Experten einer Detonation von weniger als einer Kilotonne TNT und soll überdies nur teilweise erfolgreich gewesen sein, weil damals der Zündmechanismus nicht korrekt funktioniert habe. Dieses Mal sprach denn auch die KCNA von einer »gelungenen Behebung wissenschaftlicher und technologischer Probleme beim weiteren Ausbau nuklearer Waffen«. Das eigentliche Macht- und Herrschaftszentrum der Volksrepublik, die Nationale Verteidigungskommission, zeigt sich gefestigter denn je. Die Kommission verfügt seit Anfang April, als Nordkoreas neues Parlament, die Oberste Volksversammlung, das erste Mal tagte, über 13 Mitglieder, die als kollektives Führungsgremium auch imstande wären, einen Nachfolger für dessen Vorsitzenden Kim Jong Il zu bestimmen.

Pjöngjangs Hoffnung, die neue US-Regierung unter Barack Obama innerhalb der ersten 100 Tage nach ihrem Amtsantritt zu Direktgesprächen an den Verhandlungstisch zu bringen, erfüllten sich nicht. Zu sehr war Washington außenpolitisch mit Afghanistan, Pakistan, Iran und dem Nahen Osten befaßt. Der neue Nordkorea-Beauftragte des State Department und ehemalige US-Botschafter in Südkorea, Stephen W. Bos­worth, setzte sich nicht mit nordkoreanischen Emissären an einen Tisch. So besann sich Pjöngjang erneut auf seine Politik der Drohgebärden, um Reaktionen aus Washington zu erzwingen. Offensichtlich spekuliert die Führung darauf, mit den USA letztlich einen großen Deal abzuschließen, durch den es im Gegenzug für die vollständige Einstellung seines Nuklearprogramms in den Genuß umfangreicher Wirtschaftshilfe und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen käme. Diese Regelung war bereits im Rahmenabkommen vom Oktober 1994 (Agreed Framework) erzielt worden, das außerdem eine Sicherheitsgarantie für die Volksrepublik enthielt. Doch dieser Ansatz wurde während der Ära Bush zerstört.

Scharfe Reaktionen

Der UN-Sicherheitsrat hat Nordkoreas Atomtest noch am Montag (25. Mai) einstimmig verurteilt. In einer Erklärung äußerte er einmütig seine »entschiedene Opposition« zu Pjöngjangs Vorgehen und sprach von einem »klaren Verstoß gegen Resolution 1718«. Diese hatte das höchste UN-Gremium im Herbst 2006 als Reaktion auf Nordkoreas erste Atombombe verabschiedet. Sie untersagt dem Land den Besitz ballistischer Flugkörper und atomare Tests. Es hieß, der Sicherheitsrat, dessen Präsidentschaft zur Zeit der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin innehat, werde »unverzüglich« am Entwurf einer neuen »scharfen Resolution« arbeiten. Dieses Mal war die Reaktion der beiden Verbündeten Nordkoreas im Sicherheitsrat, Rußland und China, stärker und erfolgte rascher als in der Vergangenheit. Vor allem China, der mit Abstand bedeutendste wirtschaftliche und politische Partner, protestierte direkt bei Pjöngjang. Am Dienstag sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Ma Zhaoxu, vor Journalisten in Peking, »China steht in Kontakt mit allen Parteien, einschließlich Nordkorea«. »Nach dem Test hat China seine Position in direkter Weise gegenüber der nordkoreanischen Seite zum Ausdruck gebracht.« Peking forderte das Nachbarland erneut auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und Aktivitäten zu unterlassen, die die Situation verschlimmerten. China wäre als einziges Land in der Lage, Nordkorea mit Sanktionen, wie beispielsweise das Kappen von Hilfslieferungen und Investitionen, ins Mark zu treffen. Doch diese Karte zieht Peking letztlich nie, weil dies seinem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Landes widerspräche. Mit eben diesem Argument hat sich Chinas Führung in der Vergangenheit immer wieder ausländische Kritik verbeten. Diese Politik galt und gilt auch für die Nachbarstaaten Myanmar (Burma) und Nordkorea. Mit ihm pflegt Peking seit dem Koreakrieg (1950-53) zudem ein besonders inniges Verhältnis, weil es damals Hunderttausende in Freiwilligenverbänden an die Fronten schickte. Ein Sohn Mao Tse-tungs verlor in Korea sein Leben. Heute ist China bemüht, eine dauerhaft instabile Lage auf der koreanischen Halbinsel zu vermeiden und mit allen Mitteln einem Kollaps Nordkoreas entgegenzuwirken. Das nämlich würde zu einem unkontrollierbaren Flüchtlingstreck gen Norden führen und die Probleme in Chinas Nordostprovinzen immens verschärfen, wo bereits ein großer Bevölkerungsteil koreanischer Abstammung lebt. Schließlich will Peking unter allen Umständen ausschließen, daß die USA, Südkoreas wichtigste Schutzmacht, wegen einer Nordkorea-Krise unmittelbar vor seiner Haustür mit Truppen Flagge zeigen. So verbleibt als einzige Option, Nordkorea mit einem Mix aus wirtschaftlichen Hilfen und politischem Entgegenkommen zum Verhandlungstisch zurückzubringen.

Nordkoreas Atomwaffentest dürfte Wasser auf die Mühlen von Hardlinern in Südkorea und Japan gelenkt haben, die seit langem Ambitionen auf eigene Nuklearwaffen hegen. Seoul hatte bereits in den 70er Jahren ein Atomprogramm avisiert, was unter US-amerikanischem Druck allerdings nicht zustande kam. In Japan, das längst über eine Nukleartechnologie und ein Raumfahrtprogramm verfügt, ist in den letzten Jahren der Ruf lauter geworden, sich endlich von den USA zu »emanzipieren« und ebenfalls ein eigenes Atomwaffenarsenal zu entwickeln. Atomare Aufrüstung in Südkorea und Japan würde aber die geostrategische Landkarte in Ostasien tiefgreifend verändern - für USA und China gleichermaßen eine Horrorvorstellung.



Hintergrund: Nordkoreas Atomprogramm

Im Jahr 1985 trat Pjöngjang auf Druck der Sowjetunion dem Atomwaffensperrvertrag bei. Nach dem Abzug der US-Kernwaffen aus Südkorea einigten sich Nord- und Südkorea 1992 auf ein Abkommen, das die koreanische Halbinsel zur atomwaffenfreien Zone erklärte. Ein Jahr später verweigerte Nordkorea jedoch Inspektoren der Internationalen Atomener­gieorganisation (IAEO) den Zutritt zu den Nuklearanlagen von Njongbjon und drohte mit dem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Nach zähen Verhandlungen unterzeichneten die USA und Nordkorea am 21.Oktober 1994 das Genfer Rahmenabkommen. Das asiatische Land verpflichtete sich darin zur Aufgabe seines Nuklearwaffenprogramms sowie zum Verbleib im Atomwaffensperrvertrag und zur Fortführung der Kontrollen durch die IAEO. Im Gegenzug sollten die in Nordkorea vorhandenen graphit-moderierten Reaktoren mit amerikanischer Hilfe zu Leichtwasserreaktoren umgerüstet werden. Zudem sollte bis zu deren Fertigstellung die DVRK jährlich Öllieferungen erhalten.

Im Oktober 2001 bezeichnete US-Präsident George W. Bush Kim Jong Il als »Pygmäen« und äußerte die Absicht, den Staatschef zu stürzen. In Bushs Rede zur Lage der Nation im Januar 2002 landete Nordkorea auf der Liste der »Schurkenstaaten«, zählte zur »Achse des Bösen«. Im Oktober 2002 beschuldigten die USA die asiatische Republik, weiterhin an einem Atomwaffenprogramm zu arbeiten und stellten im Dezember die Öllieferungen ein. Daraufhin erklärte Pjöngjang am 10. Januar 2003 seinen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Im Mai desselben Jahres erklärte es das Abkommen mit Südkorea über eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel für nichtig.

Am 10. Februar 2005 gab Nordkorea schließlich bekannt, einsatzfähige Atomwaffen zu besitzen und kündigte Tests mit ihnen an. Gleichzeitig gab es seinen Rückzug aus den Verhandlungen über die Beilegung des Atomstreites bekannt und drohte mit dem Ausbau seines Arsenals. Am 5. Juli 2006 testete die DVRK sechs Raketen, darunter auch eine vom Typ Taepodong-2, die Atomsprengköpfe transportieren können soll. Nach US-Angaben können sie Alaska erreichen. Die Rakete stürzte jedoch nach weniger als einer Minute ab.

Am 3. Oktober 2006 kündigte Nordkorea an, Atomwaffen testen zu wollen; man sei durch den Druck der USA dazu gezwungen worden. Dies wurde nach Angaben Pjöngjangs am 9.Oktober 2006 erfolgreich durchgeführt. Der UN-Sicherheitsrat entschied am 14. Oktober 2006, mit der Resolution 1718 Forderungen an Nordkorea zu stellen und Sanktionen bei Nichtbefolgung zu verhängen. Am 25. Mai 2009 wurde ein weiterer Kernwaffentest durchgeführt.
(jW)



* Aus: junge Welt, 28. Mai 2009


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