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Globales Sicherheitsrisiko oder David gegen Goliath?

Nordkorea nutzt seine Atomwaffen als Druckmittel gegen die Mächtigen der Welt

Von Wolfgang Kötter *

Den Atomwaffentest vom vergangenen Mai begründete Nordkorea damit, dass der UN-Sicherheitsrat mit der Verurteilung des Starts einer koreanischen Langstreckenrakete die Souveränität des Landes verletzt habe: "Wir haben keine andere Wahl, als unsere atomare Abschreckung zur Selbstverteidigung weiter auszubauen." Verstehen sich die Regierenden in Pjöngjang als David, der gegen den übermächtigen Goliath kämpft, oder sollen die nuklearen Muskelspiele lediglich die Führungsnachfolge militärisch abzuschirmen? Wie auch immer diese Lesart zu bewerten ist, eines steht außer Frage: Nordkorea versetzt dem ohnehin maroden nuklearen Nichtverbreitungsregime und damit der globalen Sicherheitsarchitektur einen weiteren Schlag. Das Land erweist sich tatsächlich als ein weltweiter Risikofaktor der Waffenverbreitung. Es kann Plutonium herstellen und das Know-how in anderen Ländern zu Geld machen. Auch der Weiterverkauf von Raketentechnik ist eine lukrative Einnahmequelle. Flugkörper gingen bereits an Syrien, Jemen und wahrscheinlich an Pakistan, auch der Iran hat lebhaftes Interesse an der neuen Taepodong-2-Langstreckenrakete bekundet.

Was mag Kim Jong Il und möglicherweise schon bald seinen als Nachfolger designierten jüngsten Sohn Kim Jong Un nur umtreiben, dass sie den Rest der Welt immer wieder mit ihren atomaren Machtdemonstrationen ängstigen und verunsichern? Wahrscheinlich sind die Motive komplex, doch eine simple Antwort lautet: Ein anderes Mittel zur Erpressung steht dem armen, ständig dem wirtschaftlichen Kollaps nahen Kleinstaat nicht zur Verfügung. Aber die atomare Karte spielt das Regime virtuos und effektiv. Und das von Anfang an. Denn bereits in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ertrotzten die Machthaber in Pjöngjang von ihren kommunistischen Brüdern in Moskau und Peking politische und handfeste materielle Unterstützung. Als Nordkorea dann nach langem Zögern und nicht ohne sanften Druck der Sowjetunion im Jahre 1985 dem Atomwaffensperrvertrag beitrat, begann das bis heute andauernde atomare Katz-und-Maus-Spiel.

Erst nach sieben Jahren wurde das erforderliche Kontrollabkommen mit der Internationalen Atomenergieagentur IAEA abgeschlossen. In der Folgezeit tauchten immer wieder Vermutungen über heimliche Nuklearaktivitäten Pjöngjangs auf. Kontrolleure der IAEA hatten schon frühzeitig die Alarmglocken geläutet, doch immer wenn sie als zu lästig empfunden wurden, warf man sie einfach aus dem Land hinaus. Mit der illegalen Wiederaufbereitung ausgebrannter Plutoniumbrennstäbe verstieß Nordkorea eklatant gegen den Sperrvertrag und gewann so waffentaugliches Spaltmaterial zum Bau der Bombe. Im Januar 2003 verkündete Pjöngjang dann den Vertragsaustritt und erklärte sich zwei Jahre später selbst zur Atomwaffenmacht. Inzwischen stieg das Land aus den 6-Staaten-Verhandlungen über sein Atomprogramm aus, in denen es sogar eine grundsätzliche Einigung über den nuklearen Verzicht gegeben hatte. Stattdessen nahm die zeitweise stillgelegte Wiederaufbereitungsanlage Yongbyon ihren Betrieb wieder auf. Obwohl manche Beobachter den ersten Nuklearversuch im Oktober 2006 noch als Fehlzündung herunterspielten, gibt es nach der zweiten Testexplosion vom 25. Mai in der Stärke einer Hiroshimabombe keinen Zweifel mehr am atomaren Status. Schätzungsweise umfasst das Arsenal jetzt 10 bis15 Sprengköpfe. Gleichzeitig betreiben die Militärs ein extensives Raketentestprogramm mit Flugkörpern unterschiedlicher Reichweite bis hin zu 6.700 Kilometern, die die US-Bundesstaaten Alaska, Kalifornien und Hawaii erreichen können. Schon in nächster Zeit sind weitere Raketentests vorgesehen. Im gegenwärtigen Konflikt scheint die nordkoreanische Führung die Eskalationsleiter von Provokationen und Drohungen immer weiter nach oben zu klettern. Aus Protest gegen die Ankündigung Seouls, der US-Initiative gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen PSI beizutreten, erklärte Pjöngjang den Waffenstillstand von 1953 für ungültig und drohte sogar mit einem Militärschlag, falls der Süden es wagen sollte, auf der Suche nach Waffentransporten Schiffe auf dem Weg von oder nach nordkoreanischen Häfen aufzuhalten und zu durchsuchen. Als nächstes droht möglicherweise ein militärischer Schlagabtausch im Gelben Meer.

Trotzdem würde niemand ernsthaft annehmen, dass Nordkorea in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Südkorea und den USA auch nur die geringste Chance hätte. Aber nicht zuletzt die auf Regierungswechsel zielende Politik der vergangenen Bush-Administration, die Pjöngjang auf die „Achse des Bösen“ verbannte, hat das natürliche Misstrauen der nordkoreanischen Führungsriege weiter verhärtet. Nur mit dem ständig präparierten Atomknüppel glaubt man, sich behaupten zu können. Und die Erfahrungen der bisherigen Politik von Zuckerbrot und Peitsche besagen, dass Sanktionen und Boykottmaßnahmen gegen das abgeschottete Land weitgehend wirkungslos bleiben, während der Preis von wirtschaftlichen und politischen Zugeständnissen durchaus in die Höhe getrieben werden kann.

Die übrige Welt reagiert besorgt auf den jüngsten Test. US-Präsident Barack Obama bezeichnete ihn als „Bedrohung für den internationalen Frieden“. Die russische Regierung kritisierte Pjöngjangs Vorgehen als „Eskalation“ und „Sicherheitsbedrohung“ in Nordostasien. Japan protestierte ebenfalls scharf. Tokio werde das Verhalten Nordkoreas "nicht tolerieren". Selbst der traditionelle Freund China verdammte den Test „mit Entschiedenheit“. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Atomwaffentest einmütig und arbeitet an einer Resolution, die schärfer als die vorangegangenen sein und auch konkrete Maßnahmen einschließen soll.

Das sind starke Worte, aber was kann wirklich getan werden? Oder muss die internationale Staatenwelt nun tatenlos zusehen, wie nicht nur Nordkorea, sondern als Reaktion möglicherweise auch Japan, Südkorea und Taiwan nuklear aufrüsten? Ein ähnliches Wettrüsten läuft bereits zwischen Indien und Pakistan ab, und wenn nicht bald eine durchgreifende Lösung in Nahost gelingt, wird Israel mit dem Iran, Ägypten, Algerien, Saudi-Arabien, Syrien und vielleicht sogar der Türkei demnächst mit zahlreicher atomarer Nachbarschaft konfrontiert sein. Damit aber würde das bereits angeschlagene internationale Regime der nuklearen Nichtverbreitung endgültig zusammenbrechen. Gerade in diesen Tagen ließ eine in konstruktiver Atmosphäre verlaufende Vorbereitungstagung zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages wieder ein wenig Optimismus aufkommen. Nicht zuletzt das gemeinsame Versprechen der fünf offiziellen Atomwaffenmächte - USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China -, „beständig und eindeutig“ auf die nukleare Abrüstung hinzuwirken, hat dazu beigetragen. Hoffnung vermittelt ebenfalls, dass die USA und Russland wieder über die Reduzierung ihrer strategischen Arsenale verhandeln und dieses ausdrücklich als Schritt in Richtung einer atomwaffenfreien Welt deklarieren. Die jetzige atomare Eskalation in Nordostasien werten manche Kommentatoren als „Ohrfeige“ für Barack Obama, der die Vision einer Atomwaffenfreiheit verkündet. In der Tat machen regionale Aufrüstungsbestrebungen die ohnehin gigantische Aufgabe nicht leichter. Aber die Führung in Pjöngjang handelt zwar provokativ und stur doch bisher nicht irrational. Was sie jetzt erreichen will, ist Respekt als Atommacht und partnerschaftliche Verhandlungen und sie will sie direkt mit den USA. Nur ein ernst gemeintes Angebot Washingtons, das die Sicherheitsängste und die wirtschaftlichen Nöte des Schwächeren gleichermaßen berücksichtigt, hat eine Chance. Hinzukommen muss freilich die glaubhafte Bereitschaft, selbst auf die ultimative Waffe zu verzichten.

Gerade die jüngste Entwicklung bezeugt, dass die Eindämmung von Nuklearwaffen nicht funktioniert, wenn sie zur scheinheiligen Flickschusterei verkommt. Viel zu lange haben die etablierten Atommächte in dem Irrglauben gelebt, sie könnten ihr Monopol auf ewig konservieren. Heute ist absolut klar, dass ein „Weiter so“ unweigerlich für neue Atomwaffenbesitzer sorgt und zwar nicht nur Staaten, sondern wahrscheinlich auch Terroristen und Kriminelle. Nukleare Abrüstung ist kein Fernziel, sondern Tagesaufgabe.

Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV)

(Zusammenfassung der Hauptbestimmungen)
  • Artikel I
    Die Kernwaffenstaaten verpflichtet sich, Kernwaffen an niemanden weiterzugeben und Nichtkernwaffenstaaten weder zu unterstützen noch zu ermutigen, Kernwaffen herzustellen oder zu erwerben.
  • Artikel II
    Die Nichtkernwaffenstaat verpflichtet sich, Kernwaffen nicht herzustellen oder zu erwerben.
  • Artikel III
    Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) auf der Grundlage individueller Abkommen.
  • Artikel IV
    Recht auf Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke. Verpflichtung zum Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie.
  • Artikel V
    Recht auf überirdische friedliche Kernexplosionen (obsolet, da aus Umweltgründen keine mehr durchgeführt werden).
  • Artikel VI
    Verpflichtung zu Verhandlungen über Beendigung des nuklearen Wettrüstens, nukleare Abrüstung sowie allgemeine und vollständige Abrüstung unter internationaler Kontrolle.
  • Artikel VII
    Recht zur Bildung kernwaffenfreier Zonen.
  • Artikel VIII
    Bestimmungen für Vertragsänderungen.
  • Artikel IX
    Unterzeichnungs- und Ratifikationsbestimmungen.
  • Artikel X
    Bei Gefährdung der höchsten Landesinteressen Recht auf Rücktritt nach dreimonatiger Kündigungsfrist.


Die Initiative gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen („Proliferation Security Initiative“ - PSI) wurde zwei Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 von den USA gestartet. Sie soll den Transport von atomaren, biologischen und chemischen Waffen, Trägersystemen und waffenfähigem Material auf dem See-, Luft- und Landweg unterbinden. Sie organisiert unter anderem die Durchsuchung von verdächtigen Schiffen ist aber völkerrechtlich umstritten, weil auf hoher See das Recht auf freie Seefahrt herrscht und kein Staat Hoheitsgewalt in Anspruch nehmen darf. Deshalb unterliegt ein Schiff dann grundsätzlich nur den Kontrollen des Staates, unter dessen Flagge es fährt. Mit dem Anspruch, die Weiterverbreitung und den illegalen Handel von Staaten bzw. kriminellen oder terroristischen Gruppen mit Massenvernichtungsmitteln zu verhindern, werden außerdem Bankverbindungen überwacht, Geheimdienstinformationen ausgetauscht und Polizeiaktionen vernetzt. Aktiv gehören der Initiative gegenwärtig 17 Staaten an, weitere 70 haben ihre allgemeine Unterstützung erklärt.



Dieser Beitrag erschien - gekürzt - in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung "Freitag", 4. Juni 2009, unter dem Titel "Wir haben einen Traum"


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