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Atommacht Nordkorea - kann die Staatengemeinschaft das Nuklearprogramm stoppen?

Ein Beitrag von Jerry Sommer aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderator):

Präsident Obama hat in dieser Woche eine Kehrtwende bei der US-Raketenabwehr angekündigt. Die von seinem Vorgänger geplante Raketenstellung in Polen sowie die Radaranlage in Tschechien werden nun doch nicht gebaut. Begründet wird dieser Schritt u.a. damit, dass die Entwicklung der iranischen Langstreckenraketen nicht so weit fortgeschritten sei wie bisher angenommen. Die Bedrohung durch den Iran wird also inzwischen in den USA anders eingeschätzt. Mit Teheran soll im kommenden Monat wieder verhandelt werden. Das Ziel ist, die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Das gilt auch für Nordkorea. Nur: anders als Teheran hat Pjöngjang bereits die Bombe. Die Verhandlungen mit Nordkorea sind äußerst schwierig. Denn das Verhalten der nordkoreanischen Führung ist schwer berechenbar. So erklärte sich das Regime kürzlich noch zur Aufgabe des Atomprogramms bereit - doch im April startete Nordkorea trotz eines Verbots der Vereinten Nationen eine Langstreckenrakete. Und einen Monat später unternahm Pjöngjang einen zweiten Atomtest. Wie soll man also umgehen mit Nordkorea? - Die USA wollen trotz der jüngsten Provokationen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Informationen von Jerry Sommer:

Manuskript Jerry Sommer

Die Obama-Administration ist zu direkten Gesprächen mit Nordkorea bereit. Washington sieht darin die Chance, Nordkorea wieder dazu zu bewegen, sich an den Sechs-Parteien-Verhandlungen zu beteiligen und vor allem sich an das im Frühjahr 2007 abgeschlossene Denuklearisierungsabkommen zu halten.

Damit hat eine neue Runde in dem nun mehr als zwanzig Jahre dauernden Nuklearpoker begonnen. Ob Nordkorea jemals bereit sein wird, sein kleines Atomwaffen-Arsenal aufzugeben, kann gegenwärtig wohl niemand mit Sicherheit sagen - vielleicht nicht einmal der nordkoreanische Führer Kim Jong Il selbst. Sicher ist: Pjöngjang sieht die Atombombe auch als ein Mittel, das Regime vor einem US-Angriff zu schützen. Die nordkoreanische Bedrohungswahrnehmung gehe auch auf die Politik der USA zurück, meint John Steinbrunner, der Leiter des angesehenen Zentrums für Internationale und Sicherheitsstudien an der Universität von Maryland:

O-Ton Steinbrunner (overvoice)
"In den USA ist man sich nicht einig. Ein Teil des politischen Systems will das nordkoreanische Regime stürzen und widersetzt sich jeder Verständigung."

Trotz der Bedrohungswahrnehmung in Nordkorea glaubt John Steinbrunner, dass Pjöngjang dazu bewegt werden kann, seine Atomwaffen vollständig aufzugeben:

O-Ton Steinbrunner (overvoice)
"Sie haben verstanden, dass Nuklearwaffen für sie nur einen Sinn machen als Trumpfkarte bei Verhandlungen. Eine kleine Anzahl von Nuklearwaffen ist nicht nützlich gegen einen Gegner wie die USA. Sie sind eher eine Provokation als ein Mittel der Abschreckung."

Weniger optimistisch ist Herbert Wulf, Nordkorea-Kenner und langjähriger Chef des Internationalen Konversionszentrums in Bonn:

O-Ton Wulf
"Ob Nordkorea wirklich Atomwaffen will, ist schwer zu beantworten. Ich glaube, dass Nordkorea sich die Option offenhalten will, aber gleichzeitig auch die Trumpfkarte Atomwaffen nutzen will, um Verhandlungen zu führen, um dann möglichst viel an Wirtschaftshilfe zu bekommen."

Steinbrunner und Wulf stimmen darin überein, dass man nur in ernsthaften Verhandlungen tatsächlich herausfinden kann, ob Nordkorea letztlich bereit sein wird, sein Atomwaffenprogramm rückgängig zu machen. Aber auch ein Einfrieren des Programms durch Verhandlungen wäre schon ein sicherheitspolitischer Gewinn.

Von neuen Gesprächen mit Nordkorea hält hingegen der Washingtoner Sicherheitsexperte Henry Sokolski wenig. Er war viele Jahre lang für republikanische Verteidigungsminister und Kongressabgeordnete tätig:


O-Ton Sokolski (overvoice)

"Das nährt nur die Erwartung, das nukleare Problem sei gelöst. Aber ich glaube, solche Gespräche werden nichts ändern. Wir brauchen vielmehr Gespräche mit den Nachbarn Nordkoreas. Gesprochen werden muss über die Möglichkeit, dass das Regime zusammenbricht. Diese Gespräche sind mindestens so nötig wie Verhandlungen mit Nordkorea."

Doch sich auf einen Kollaps des nordkoreanischen Regimes vorzubereiten, könnte kontraproduktiv sein. Es würde in Pjöngjang sicherlich nicht als freundlicher Akt gewertet werden. Mehr Kompromissbereitschaft dürfte so nicht zu erreichen sein.

Nordkorea hat sich wiederholt vertraglich verpflichtet, das Atomprogramm einzustellen und die Nuklearanlagen zu verschrotten. Diese Zusagen wurden aber immer wieder gebrochen. Zwei Atomtests und eine de facto Nuklearmacht Nordkorea mit sechs bis acht Atomsprengköpfen sind das Ergebnis. Doch an dieser Entwicklung ist nicht allein Nordkorea Schuld. Eine Hauptverantwortung trägt auch die Bush-Administration, meint der Konfliktforscher Herbert Wulf:

O-Ton Wulf
"Das Problem auf der US-Seite lag darin, dass das Außenministerium verhandeln wollte, und den Nordkoreanern auch immer signalisiert hat, wir wollen verhandeln. Das Verteidigungsministerium und Vizepräsident Cheney aber immer wieder betonten, mit Schurkenstaaten verhandeln wir nicht, wir besiegen Schurkenstaaten."

Schon 1994 hatte Bill Clinton einen Vertrag mit Nordkorea abgeschlossen. Darin verpflichtete sich Pjöngjang, den Atomreaktor sowie die Wiederaufarbeitungsanlage stillzulegen. Als Gegenleistung sollte Nordkorea Öllieferungen sowie zwei Leichtwasserreaktoren erhalten. Als George W. Bush 2001 das Präsidentenamt übernahm, legte er diese Vereinbarung erst einmal auf Eis. Begründet wurde dieser Schritt u.a. mit dem Hinweis, dass Nordkorea an der Anreicherung von Uran arbeite. Richtig war zwar, dass Nordkorea offensichtlich entgegen seiner Verpflichtung an einer Urananreicherung geforscht hat. Doch das Ausmaß der Urananreicherung wurde vom US-Geheimdienst deutlich überschätzt.

Anfang dieses Monats hat Nordkorea allerdings erstmals zugegeben, Uran angereichert zu haben. "Die experimentelle Urananreicherung ist so erfolgreich, dass die Endphase begonnen werden kann", hieß es in einer Erklärung aus Pjöngjang. Was diese vorsichtige Formulierung genau bedeutet, ist allerdings unklar. Das südkoreanische Verteidigungsministerium schließt jedoch nicht aus, dass es sich dabei nur um "reine Rhetorik für Verhandlungen" handele. Auch der Konfliktforscher Herbert Wulf warnt vor einer Dramatisierung: Nordkorea könne möglicherweise inzwischen im Laborversuch Uran anreichern, von einer industriellen Fertigung, um auf diesem Wege womöglich Uran für Atombomben herzustellen, sei das Land jedoch noch weit entfernt:

O-Ton Wulf
"Das übliche Spiel der Nordkoreaner besteht ja darin, möglichst Trumpfkarten zu ziehen, und ich halte dieses im Fall der Urananreicherung auch für einen solchen Versuch."

Für diese Interpretation spricht auch, dass Nordkorea schon seit Monaten darauf hinweist, es plane den seit Jahren still liegenden Bau eines atomaren Leichtwasserreaktors eigenständig fortzusetzen. Es könnte gut sein, dass es mit dem Hinweis auf die Urananreicherung, die ja für die Herstellung von Brennstäben für zivile Kernkraftwerke erforderlich ist, seine Forderung nach Lieferung entsprechender Kraftwerke wieder in die Verhandlungen einbringen will. Denn das Regime hat ja noch genug abgebrannte Kernbrennstäbe, deren Wiederaufarbeitung den Bau weiterer Plutonium-Atombomben auf viel schnellerem Wege ermöglicht.

Das Misstrauen zwischen Washington und Pjöngjang hat jedenfalls durch die Erklärung, Nordkorea reichere Uran an, wieder zugenommen. Trotzdem ist die Obama-Administration bereit, erneut zu verhandeln.

Tatsächlich gibt es zum Dialog auch keine Alternative. Eine militärische Lösung wäre sowohl für Nord- als auch für Südkorea verheerend. Sanktionen treffen das ohnehin international weitgehend isolierte Land kaum. 73 Prozent des nordkoreanischen Handels wird mit China abgewickelt. Und China ist nicht bereit, ein Wirtschaftsembargo zu verhängen, weil es dann eine nordkoreanische Flüchtlingswelle zu befürchten hätte.

Um allerdings diesmal bei Verhandlungen erfolgreich zu sein, müsste die Obama-Administration eine kohärente Politik verfolgen. Dazu gehört auch die diplomatische Anerkennung Nordkoreas durch die USA - ein Schritt, den Russland und China bereits vor 15 Jahren gegenüber Südkorea gemacht haben. Außerdem müssten die Angebote an Nordkorea deutlich verbessert werden, sagt Herbert Wulf:

O-Ton Wulf
"Bisher wird ja verhandelt auf der Ebene: Wir wollen möglichst wenig geben, und möglichst viel sollen die Nordkoreaner abgeben, sprich, das Atomprogramm schließen. Man müsste den Spieß umdrehen und den Nordkoreanern ein solch großzügiges Angebot machen, dass die Nordkoreaner gar nicht mehr Nein sagen können."

Der US-Sicherheitsexperte John Steinbrunner fordert ebenfalls eine Zusicherung Washingtons, das nordkoreanische Regime nicht stürzen zu wollen. Sogar Gipfeltreffen seien sinnvoll und notwendig:

O-Ton Steinbrunner (overvoice)
"Ich bin dafür, dass Hillary Clinton direkte Gespräche führt. Und um ein Abkommen unter Dach und Fach zu bekommen, müssten wir wohl sogar den Präsidenten nach Pjöngjang schicken."

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 19. September 2009; www.ndrinfo.de


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