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Diktatorentochter drängt in Seouls Blaues Haus

Wählt Südkorea erstmals eine Frau ins Präsidentenamt?

Von Lee Yu Kyung, Seoul *

Südkoreas Präsident, der rechte »Bulldozer« Lee Myung Bak, wird nach fünf Jahren das Blaue Haus, seinen Amtssitz in Seoul, verlassen müssen. Eine Wiederwahl ist nicht möglich. Am heutigen Mittwoch wird sein Nachfolger gewählt. Oder wird es erstmals eine Nachfolgerin?

In Asien ist es nicht außergewöhnlich, dass eine Tochter, Gattin oder Schwester ihrem Vater, Gatten oder Bruder auf anscheinend demokratischem Wege ins höchste politische Amt folgt. Südkorea war da bisher eine bemerkenswerte Ausnahme. Die Südkoreaner erlebten sogar, dass die Nachkommen zweier ehemaliger Präsidenten wegen politischer und geschäftlicher Verstrickungen ins Visier der Justiz gerieten. Vor den Präsidentschaftswahlen am heutigen Mittwoch aber sind Besorgnisse wegen des Nahens einer »politischen Dynastie« nicht nur im Lande selbst, sondern auch im Ausland laut geworden.

Park Geun Hye, Präsidentschaftskandidatin der konservativen regierenden Saenuri-Partei, ist die älteste Tochter des Präsidenten Park Chung Hee (in dieser Zeitung seinerzeit Pak Tschong Hi geschrieben), der das Land 18 Jahre lang - von 1961 bis 1979 - mit eiserner Faust regierte. Nachdem ihre Mutter 1974 ums Leben gekommen war, spielte die Tochter faktisch die Rolle der First Lady. Während sich viele Südkoreaner der totalitären Herrschaft ihres Vaters als finsterster Zeit erinnern, sind andere voller Nostalgie ob der rapiden wirtschaftlichen Entwicklung jener Jahre.

Park Geun Hye, inzwischen 60 Jahre alt und unverheiratet geblieben, lag in den Vorwahlumfragen stets vor ihrem Hauptkonkurrenten Moon Jae In, einem ehemaligen Menschenrechtsanwalt, der für die liberale Vereinigte Demokratische Partei (DUP) antritt. Zuletzt lagen beide jedoch fast Kopf an Kopf.

Mehr als 500 Intellektuelle aus 58 Staaten haben am vergangenen Wochenende ihre Besorgnis angesichts eines möglichen Wahlsieges der Diktatorentochter geäußert. Sie sei nicht nur familiär mit Park Chung Hee verbunden, der 1979 vom Chef seines eigenen Geheimdienstes erschossen wurde, sondern vertrete auch die gleiche politische Philosophie. Ihre Wahl wäre ein furchtbarer Rückschlag für das Land, denn sie repräsentiere wie eine Ikone die Ära der Korruption und der politischen Repression, argumentieren Parks in- und ausländischen Gegner. Um ihren Einzug ins Blaue Haus zu verhindern, hatte der unabhängige Kandidat Ahn Chol Soo, der in der jungen, gebildeten städtischen Bevölkerung ziemlich populär ist, seine Bewerbung schon vor rund einem Monat zurückgezogen und seine Unterstützer aufgerufen, für Moon zu stimmen.

Zum gleichen Zweck hat sich Moons DUP mit der linken Progressiven Gerechtigkeitspartei (PJP) verbündet, die sich nach einem verheerenden Skandal wegen Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen im April von der Vereinigten Progressiven Partei (UPP) abgespalten hatte. Hauptbeschuldigte in diesem Skandal war die UPP, die eine eigene Präsidentschaftskandidatin nominiert hatte. Lee Jung Hee aber zog sich am Sonntag, drei Tage vor der Wahl, ebenfalls zurück, um - wie sie sagte - einen Sieg Park Geun Hyes zu verhindern.

Die UPP-Bewerberin wäre nach Prognosen zwar nur auf etwa anderthalb Prozent der Stimmen gekommen, aber angesichts des erwarteten knappen Ergebnisses könnten sie entscheidend sein. »Es wäre eine nationale Katastrophe, wenn Park die Macht übernähme. Ich will die Wiederauferstehung Takaki Masaos vereiteln«, erläuterte Frau Lee. Takaki Masao ist der japanische Name, den Park Chung Hee bis 1945 als Offizier der japanischen Kolonialarmee trug.

Gerade erst haben die Rechten im benachbarten Japan einen überwältigenden Sieg errungen. In Tokio übernimmt die Liberaldemokratische Partei (LDP), die eine Wiederbelebung japanischer Militärmacht und eine neokolonialistische Expansion in Ostasien anstrebt, die Regierung. Und auch LDP-Chef Shinzo Abe, der künftige Premierminister, entstammt einer Politikerfamilie.

»Wenn Park scheitert, wird klar, dass diese Wahlen die letzten in Südkorea gewesen sind, bei denen die Konservativen große Chancen hatten. Wenn sie gewinnt, schwenkt Ostasien nach rechts«, prophezeit Maeng Chan Hyeong, politischer Korrespondent von Yonhap TV. Bei einem Sieg Parks hätten übrigens auch beide Koreas ihre Herrscherfamilien: Im nordkoreanischen Pjöngjang verkörpert Kim Jong Un schon die dritte Generation der Kim-Dynastie.

Andere Kandidaten können den beiden Hauptkonkurrenten nicht gefährlich werden, das gilt auch für den ehemaligen Gewerkschafter Kim So Yeon von der Neuen Fortschrittspartei (NPP), der für einen »Präsidenten der arbeitenden Klasse« plädiert.

»Linke Kräfte haben zwar die Demokratisierung Südkoreas beschleunigt, doch nach dem jüngsten Wahlskandal liegen sie am Boden. Eben deshalb genoss der liberale Kandidat Ahn so große Unterstützung«, sagt Cho Hee Yeon, Vorsitzender der Nationalen Vereinigung der Professoren für Demokratie (NAPD), Dennoch befürwortet er Kandidaturen der Linken. »Sollte der wichtigste Oppositionskandidat Moon Präsident werden, brauchen wir mehr fortschrittliche Kräfte, um das Regime zu reformieren. Linke Politik muss aus Bruchstücken neu zusammengesetzt werden. Und dafür bietet die Wahlkampagne Raum.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. Dezember 2012


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