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Nordkorea nach Kim Jong Il

Prof. Rüdiger Frank über den "Thronfolger" Kim Jong Un und die Politik des Westens gegenüber Pjöngjang


Rüdiger Frank ist Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Universität Wien. 1969 in Leipzig geboren, studierte er Koreanistik, Ökonomie und Internationale Beziehungen an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als einer der führenden Nordkorea-Experten berät er unter anderem den ehemaligen USA-Präsidenten Jimmy Carter.
Das folgende Interview erschien im "neuen deutschland" (nd).



nd: In der KDVR wird heute, am 16. Februar, offiziell der 70. Geburtstag Kim Jong Ils begangen. Seit dessen Tod im Dezember steht sein 29-jähriger Sohn Kim Jong Un an der Spitze. Wird um ihn ein ähnlicher Personenkult veranstaltet werden wie um seinen Vater?

Frank: Kim Jong Il hat seinen Sohn nie offiziell zu seinem Nachfolger auserkoren, er hat ihn nur in diese Position gebracht. Die Vorbereitung der Nachfolge war längst nicht abgeschlossen, sodass mit dem plötzlichen Tod Kim Jong Ils ein gefährliches Machtvakuum entstand. Kim Jong Un war im Herbst 2010 schnell zum General gemacht und dann zum Vizevorsitzenden der Zentralen Militärkommission bei der Partei der Arbeit ernannt worden. Danach nahm ihn sein Vater öfter zu offiziellen Anlässen mit. Die Leute sollten sich daran gewöhnen, dass es diesen Kim Jong Un überhaupt gibt. Nach dem Tod des Landesvaters stand das Regime unter Handlungszwang. In den Medien wurde der Name Kim Jong Un binnen kürzester Zeit aggressiv propagiert. Ob diese Strategie aufgeht, wird die Zeit zeigen.

Ist Kim Jong Un nur das Gesicht eines Kollektivs von Machthabern?

Zurzeit fungiert er wohl eher als Aushängeschild. Allein ist Kim Jong Un nicht in der Lage, das Land zu regieren. Nicht einmal sein Vater und sein Großvater konnten das. Dazu muss man Getreue um sich versammeln, die man über Jahre allmählich aufbaut. Die Leute in der Führungsriege sind doppelt so alt wie Kim Jong Un, was in Korea erhebliche Bedeutung hat. Auch überblickt er den Machtapparat in seiner ganzen Komplexität noch nicht. Die Topbürokraten in Partei, Staat und Militär sind in einer komfortablen Situation, da sie jetzt stärker eigene Interessen durchsetzen können. Wenn aber Kim Jong Un nicht dumm ist, wird er in den nächsten Jahren gelernt haben, wie der Laden läuft, und dann mehr Macht haben. Das schließt personelle Konsequenzen ein.

Wie könnten sich die politischen Verhältnisse unter Kim Jong Un auf lange Sicht entwickeln?

Zunächst wird er seine Macht zu festigen und sich als Herrscher zu legitimieren versuchen, indem er der Elite Kontinuität bietet - also die Voraussetzungen, weiter ihre Privilegien zu genießen. Doch das ist nur der erste Schritt. Er ist ein junger Mann mit Auslandserfahrung und hat ein Land mit vielen Problemen geerbt. Er weiß, dass die Versorgung der Masse der Bevölkerung seine größte innenpolitische Aufgabe ist. Auch wächst die Mittelschicht und damit der Wunsch nach sozialer Mobilität. Man sollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass er sich seiner Verantwortung bewusst ist.

Hat das restriktive Staatswesen Nordkoreas eigentlich auch positive Züge für die Bürger?

Viel hängt davon ab, wie der Einzelne sein Wohlbefinden definiert. Das Leben in Nordkorea ist strikt geordnet. Es gibt Menschen, die das als furchtbar bedrückend empfinden, aber auch solche, denen genau das einen gewissen Halt gibt. Nach der Wende haben manche Ostdeutsche über den Verlust dieser fragwürdigen Fürsorge geklagt. Das gibt es in Nordkorea sicherlich auch. Wobei zwischen Nordkorea und der DDR Welten liegen. Der Lebensstandard und das Maß an individueller Freiheit waren in der DDR ungleich höher als das heute in Nordkorea der Fall ist, und wir waren in der DDR auch viel besser informiert. Legalisiertes Westfernsehen, kritische Künstler, die Kirche als Rückzugsgebiet - in Nordkorea undenkbar.

Warum isoliert sich Nordkorea von der internationalen Gemeinschaft? Aus Angst, aus Stolz?

So stark isoliert es sich gar nicht. Die Machthaber sind grundsätzlich bereit und interessiert, mit internationalen Partnern zusammenzuarbeiten. Sie haben nur sehr genaue Vorstellungen davon, was das bedeutet. Dafür gibt es historische Gründe, die bis in die japanische Besatzungszeit (1910-1945 - d. Red.) reichen. Damals sind die Koreaner sehr sensibel für jede Art von Einmischung in ihre Angelegenheiten geworden.

Auch die Sowjetunion und China haben versucht, Nordkorea zu einem Satellitenstaat zu machen - und sind damit gescheitert. Pjöngjang hat erkannt, dass Interdependenz oft auf Kosten des Schwächeren geht. Wenn man also wirtschaftlich von Außenbeziehungen abhängt, die plötzlich eingestellt werden können, wird man verletzlich. Deshalb ist die Führung offenbar lange bereit gewesen, eine schlechtere Wirtschaft in Kauf zu nehmen, die aber auf eigenen Füßen steht. Die Folgen kennen wir.

Was würden Sie sich von westlichen Politikern in Bezug auf das Atomproblem wünschen?

Früher bestand die Philosophie des Westens darin, auf den Kollaps zu warten. Man hoffte, dass sich das Atomproblem damit irgendwann von selbst lösen würde. Doch die Lage ist eher brisanter geworden. Als nächste Handlungsmöglichkeit hat man die Sanktion gewählt. Studien zeigen aber: Wenn eine Sanktion Chancen auf Erfolg haben soll, muss sie kurzfristig und massiv erfolgen. In Nordkorea passiert aber das Gegenteil: Die Prozedur der Sanktionen zieht sich schon über Jahrzehnte hin. Mit der Zeit hat das System sich daran gewöhnt und findet ständig neue Wege, die Sanktionen zu umgehen. Den Druck spürt vor allem die Bevölkerung, der wir eigentlich helfen wollen. Das ist nicht in Ordnung.

Wo haben Sanktionen in der Vergangenheit ihr Ziel verfehlt?

Man hat zum Beispiel den Export von Luxusgütern nach Nordkorea stark eingeschränkt. Das ist lächerlich! Da ist irgendwer darauf gekommen, dass Kim Jong Il seine Generäle regelmäßig mit Cognac beschenkt. Schon darf man keinen teuren Cognac mehr nach Nordkorea liefern. Es steht zu bezweifeln, dass einzelne Generäle Kim Jong Il wegen einer Flasche Hochprozentigem folgen. Wenn sich Politik auf solchem Niveau bewegt, müssen wir uns nicht wundern, dass wenig dabei herauskommt. Zu einer realistischen Sicht auf das Land gehört die Einsicht, dass ein nicht geringer Teil der dort lebenden Menschen dieses System weitgehend unterstützt. Erst dann kann man eine Politik mit einer gewissen Weitsicht betreiben.

Wer könnte von außen zu einer Veränderung im Land beitragen?

Am ehesten China. Die Chinesen haben ein großes Interesse daran, dass sich Nordkorea nach chinesischem Vorbild wirtschaftlich reformiert, und sie arbeiten seit Jahren aktiv und mit großem Geschick an der Umsetzung. An der Volksrepublik China kann man deutlich beobachten, dass eine Marktwirtschaft immer auch politische Folgen hat. Sobald die Menschen als Individuen ökonomisch aktiv werden, sobald sie in der Lage sind, mit Arbeit und Geschäften Geld zu verdienen und dadurch Macht und Unabhängigkeit zu erlangen, wird auch das politische System dem Rechnung tragen müssen.

Durch gut gemeinte Appelle oder offene Anfeindungen wird man jedenfalls nichts bewirken können. Sanktionen gehen genau in die falsche Richtung und stärken schlimmstenfalls sogar das System.

Fragen: Kristin Dowe

* Aus: neues deutschland, 16. Februar 2012


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