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Im Kreuzfeuer

Südkorea: Wirtschaftskrise, prekäre Beschäftigung, Repression und interne Probleme machen der kämpferischen Gewerkschaft KCTU zu schaffen

Von Raoul Rigault *

Gewerkschaftsmitglieder leben in ständiger Angst, entlassen zu werden, und prekär Beschäftigte wurden bereits nach Hause geschickt. Das ist eine unberechenbare Situation, in der die Dinge explodieren und zum Kampf führen können oder abebben, wenn die Mitglieder ängstlich zurückweichen«, schrieb die linke südkoreanische Tageszeitung Hankyoreh Sinmun Ende Januar.

Die Lage ist düster. Laut Internationalem Währungsfonds wird die viertgrößte Volkswirtschaft Asiens im laufenden Jahr um vier Prozent schrumpfen. Die Exporte brachen im März im Vergleich zum Vorjahr um 21,2 Prozent ein, die Importe sogar um 36 Prozent, während die Zahl der Erwerbstätigen um 195000 sank und die Arbeitslosenzahl auf real 3,44 Millionen stieg. Gleichzeitig nahm die Qualität der verbliebenen Jobs rapide ab. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten fiel um 313000, während die Teilzeitjobber um 524000 zunahm. Ein Trend, den die rechte Regierung des ehemaligen Hyundai-Managers Lee Myung-bak demnächst durch ein entsprechendes Gesetz weiter forcieren will.

Immer mehr Firmen kündigen Lohnsenkungen an, gegen die sich von seiten der mehreren tausend Betriebsgewerkschaften als Hauptakteuren der Tarifpolitik kaum Widerstand regt. So wollen die koreanischen Banken die Einstiegsgehälter um 20 Prozent senken. Ebenfalls 20 Prozent sollen die kleinen und mittleren Unternehmen nach Vorschlag ihres Verbandes ausländischen Arbeitskräften vom Mindestlohn abziehen, wenn sie ihnen ein Bett und zwei Mahlzeiten am Tag stellen - ein klarer Verstoß gegen das Mindestlohngesetz.

Lohnverzicht angeboten

Nicht weniger kraß sind die Zustände beim weltgrößten Schiffbauer Hyundai Heavy Industries, wo die örtliche Gewerkschaft Anfang März erklärte, sie lege die Entscheidung über die Höhe der Löhne in die Hände des Managements. Zeitgleich kündigten die organisierten Arbeiter des Hanwha-Werkes in der Stadt Yeosu im Südwesten des Landes ihre Bereitschaft zu Lohnkürzungen an, um die Personalkosten um fünf Prozent zu senken. Funktionäre der Betriebsgewerkschaft des General-Motors-Werks in Incheon verteilten Flugblätter auf U-Bahnstationen, auf denen der Autohersteller und seine Produkte angepriesen wurden. Den bislang einzigen größeren Ausstand gab es bei Ssangyong Motor. Bei dem zu 51 Prozent Chinas größtem Autobauer Shanghai Automotive Industry Corp. gehörenden Unternehmen sollen über 2600 Stellen abgebaut werden, das wären 37 Prozent der Belegschaft.

Wo sich Widerstand regt, droht massive Repression. So wurde die Korean Railway Workers' Union am 23.März vom Obersten Gericht wegen eines viertägigen, angeblich illegalen Streiks Anfang März 2006 zu einer Geldbuße von sieben Milliarden Won (vier Millionen Euro) verurteilt.

Interne Schwierigkeiten

Eine besondere Schwächung stellt in dieser Situation die tiefe Krise des linken Gewerkschaftsbundes KCTU dar. Der Dachverband, dessen Wurzeln im Widerstand gegen die 1992 beendete dreißigjährige Militärdiktatur liegen, vereint 682 000 Mitglieder in 1200 Betriebsgewerkschaften bzw. 40 Prozent aller organisierten Arbeiter. Die ­KCTU war 1995 in scharfer Abgrenzung zur sozialpartnerschaftlich orientierten FKTU entstanden.

Im Februar trat der gesamte Vorstand infolge eines Skandals zurück. Einem führenden Funktionär, der Ende 2008 zusammen mit dem damaligen Generalsekretär Lee Suk-haeng nach der Organisierung illegaler Proteste gegen Rindfleischimporte aus den USA untergetaucht war, wird vorgeworfen, eine Gewerkschafterin, die ihn versteckt hatte, vergewaltigt zu haben. Um die ohnehin angeschlagene Organisation vor schlechter Presse zu bewahren, hatte der Rest des Exekutivkomitees versucht, den Fall zu vertuschen.

Der neue Sekretär Lim Seong-kyu steht vor enormen Problemen. Die Mitgliedschaft schrumpfte allein in den letzten zwei Jahren um 70000. Es gibt interne fraktionelle Kämpfe. Nach Auffassung der Zeitung ­Hankyoreh hat der Funktionärsapparat Randbelegschaften »ignoriert« und eine »eigene Aristokratie« herausgebildet. »Die wachsende Bürokratisierung, der Verlust an ethischem Verhalten und die generelle Entfremdung der Führer von den genuinen Arbeitsplätzen« habe Vertrauen und Solidarität geschwächt und die KCTU »in einen Papiertiger verwandelt, der selbst zur Antwort auf kleinere Angriffe nicht mehr in der Lage ist«.

Eine erste große Bewährungsprobe steht bevor, denn die Regierung will noch vor dem 1. Juli eine Gesetzesänderung verabschieden, die die Befristung prekärer Jobs von zwei auf vier Jahre verlängern, auf weitere Bereiche ausdehnen und die Sozialversicherungsabgaben kleiner und mittlerer Firmen für zwei Jahre halbieren soll. Ein Frontalangriff, der sogar die moderate FKTU aufgeschreckt hat, die ihre Illusionen in den am 23. Februar geschlossenen separaten Sozialpakt jäh geplatzt sieht und der KCTU nun wieder Zusammenarbeit anbietet.

Wieviel Druck die südkoreanischen Gewerkschaften kurzfristig entfalten können, ist allerdings fraglich. Der Organisationsgrad stagniert seit vier Jahren und liegt aktuell bei 10,8 Prozent. Die breite Masse setzt mehr denn je auf individuelle Auswege. So stiegen die Lotterieumsätze im letzten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 11,8 Prozent.

* Aus: junge Welt, 28. April 2009


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