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Rebellion der Leiharbeiter

Südkorea: Nach dem bislang längsten Arbeitskampf von prekär Beschäftigten haben bei Hyundai Motors Verhandlungen begonnen

Von Raoul Rigault *

Prekäre Arbeitsverhältnisse gelten in Gewerkschaftskreisen inzwischen allgemein als zentrales Problem. Der Schritt von der verbalen Ablehnung zum ernsthaften Widerstand gestaltet sich in der Regel allerdings schwierig. Südkorea lieferte zum Jahresende jedoch den Beweis dafür, daß er selbst aus einer Minderheitsposition heraus möglich ist, und zeigte zugleich Hemmnisse und Spaltungslinien.

Am 15. November 2010 traten 570 der rund zweitausend Leiharbeiter im Hyundai-Motor-Werk in der Industriemetropole Ulsan gut 400 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Seoul in den Streik. Sie legten zunächst drei Fließbänder lahm und forderten ihre reguläre Übernahme durch den größten Autobauer des Landes, der zusammen mit seinem Tochterunternehmen Kia Motors 70 Prozent des heimischen Marktes kontrolliert. Dabei beriefen sie sich auf ein im Juli ergangenes Urteil, wonach mehr als zwei Jahre bei derselben Firma Angestellte als Teil der Kernbelegschaft zu betrachten sind und damit die gleichen Rechte genießen wie ihre Kollegen mit unbefristeten Verträgen. Zwar ging die Unternehmerseite beim Obersten Gerichtshof in Berufung, doch lokale Seouler Richter entschieden im November ähnlich. Trotzdem weigerte sich das Hyundai-Management, dieser Rechtssprechung zu folgen.

Keine Solidarität

Nach einem gescheiterten Räumungsversuch durch Einheiten der Bereitschaftspolizei konzentrierten sich die in einer eigenen Betriebsgruppe des gemäßigten Gewerkschaftsbundes FKTU Organisierten auf die Hauptproduktionslinie und hielten diese trotz weiterer Attacken der »Ordnungskräfte«, Zivilklagen und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen bei beißender Kälte in der ungeheizten Fabrik bis zum 9. Dezember besetzt. Der Konzernvorstand bezifferte den durch Produktionsverluste verursachten Schaden auf rund 315 Milliarden Won (210 Millionen Euro). Knapp 28000 Fahrzeuge konnten nicht gebaut werden. Hyundai Motors erstattete wegen des seiner Ansicht nach illegalen Ausstands Anzeige gegen 419 Beteiligte und will von diesen 16,2 Milliarden Won (10,8 Millionen Euro) Schadenersatz eintreiben. Außerdem leitete die Staatsanwaltschaft gegen 64 mutmaßliche Rädelsführer Strafverfahren ein und erließ Haftbefehle gegen sie.

Erst am 6. Dezember gelang es Technikern, nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen, den okkupierten und blockierten Betriebsteil zwischen der automatisierten Lagerhaltung und dem Fließband, das die Lackiererei mit der Hauptmontagelinie verbindet, durch Umbauten zu umgehen. Da die Zahl der Streikenden aufgrund der widrigen Bedingungen und der Lohneinbußen auf 260 gesunken war, wurde die Aktion abgebrochen und Verhandlungen aufgenommen, die noch immer andauern.

Solidarität seitens der Kernbelegschaft blieb den Streikenden weitgehend versagt. Drei Tage nach Beginn des Arbeitskampfes organisierten 600 fest Beschäftigte, Meister und Vorarbeiter eine Kundgebung und verteilten Flugblätter, auf denen sie das sofortige Ende der Besetzung forderten. Die ebenfalls zur gemäßigten FKTU gehörende Betriebsgewerkschaft begann bezeichnenderweise erst zwei Tage vor Streikende eine Urabstimmung unter ihren Mitgliedern über die Frage, ob man sich dem Kampf der Leiharbeiter anschließen solle. Das Ergebnis war ebenso eindeutig wie erschreckend: Nur 20,4 Prozent sprachen sich dafür aus, 77 Prozent verweigerten jegliche Solidarität, die restlichen Stimmzettel waren ungültig. 35867, das heißt, acht von zehn FKTU-Mitgliedern hatten sich an der einwöchigen Stimmabgabe beteiligt.

KCTU eingeschüchtert

Unterstützung erfuhren die Leiharbeiter nur vom konkurrierenden linken Gewerkschaftsbund KCTU und dessen Metallarbeiterverband KMWU, der knapp 140000 Mitglieder vertritt und sich sofort mit der Drohung des Staatsanwaltes konfrontiert sah, im Falle konkreter Solidaritätsaktionen auch gegen ihre Funktionäre Haftbefehle zu erlassen. Sicherlich ein Grund, warum der am 23. November von gut vierhundert KMWU-Delegierten mit Dreiviertelmehrheit beschlossene Plan eines branchenweiten Streiks Anfang Dezember nicht in die Tat umgesetzt wurde.

In der Hauptsache leidet der kämpferische Teil der südkoreanischen Arbeiterbewegung aber unter einer fortschreitenden Entsolidarisierung. So berichtete der Korea Herald, daß sich 2010 weitere 21 Betriebsgewerkschaften mit insgesamt 6280 Mitgliedern von der KCTU getrennt hätten, zwölf davon in der Metallbranche. Der Analyst des Gyeonggi Research Institute, Choi Young-ki, ist der Ansicht, daß sich nach Inkrafttreten des von der rechten Regierung des ehemaligen Hyundai-Chefmanagers und heutigen Staatspräsidenten Lee Myung-bak initiierten Gesetzes zur Neuregelung der industriellen Beziehungen im kommenden Juli »noch mehr Gewerkschaften mit Unterstützung der Arbeitgeber von Hardliner-Dachverbänden lösen werden«.

Dennoch droht dem südkoreanischen Kapital weiter Widerstand der prekären Unterschicht – nicht nur zu Hause: In Vietnam traten kurz vor Weihnachten 24000 Arbeiter in zwei großen südkoreanischen Werken in einen wilden Streik, um höhere Gehälter und längeren Urlaub durchzusetzen. Der Basislohn von 65 US-Dollar im Monat reicht ihnen, auch angesichts einer Inflationsrate von 9,2 Prozent im abgelaufenen Jahr, nicht mehr aus.

* Aus: junge Welt, 4. Januar 2010


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