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Im Widerstand gegen Südkoreas Rechtsruck

Sozialistische Partei will wirtschaftliche, politische und soziale Ausgrenzung überwinden

Die Sozialistische Partei (Sahoe-dang), 1998 gegründet, ist eine von drei linken Parteien in der Republik (Süd-)Korea. Min Geum, ihr ehemaliger Vorsitzender, kandidierte für die Partei bei den südkoreanischen Präsidentenwahlen im jahre 2007. Am Rande eines internationalen Kongresses über das bedingungslose Grundeinkommen sprach Ronald Blaschke für das "Neue Deutschland" (ND) mit dem Linkspolitiker.



ND: Wie stellt sich Ihnen die derzeitige politische, ökonomische und soziale Situation in der Republik Korea dar?

Geum: Seit der Präsidentenwahl 2007 gibt es einen Rechtsruck. Der Wahlkampf des konservativen Kandidaten Lee Myung Bak. des heutigen Präsidenten, wurde von einem Thema beherrscht: der Erhöhung der Wachstumsrate auf 7 Prozent. Damit erhielt er 48,7 Prozent der Stimmen, fast doppelt so viel wie der liberale Konkurrent. Die Parlamentswahl vier Monate später stand ebenfalls unter dem Einfluss des neoliberalen Wachstumspopulismus. Die satte Mehrheit der Präsidentenpartei und die Zweidrittelmehrheit konservativer Parteien insgesamt bestätigte den Rechtstrend. Die konservativen Kräfte sind zurzeit in der Lage, mit ihrer Mehrheit die Verfassung zu ändern.

Wie erklären Sie sich diese Veränderung?

Der Rechtsruck resultiert aus den zehn Jahren (1998-2007), in denen die Demokratische Partei an der Macht war. Sie setzte eine neoliberale Wirtschaftsreform durch, deren Kern die Liberalisierung des Finanzmarkts und die Flexibilisierung der Erwerbsarbeit waren. »Flexibilisierung« bedeutet prekäre Arbeitsverhältnisse und niedrige LÖhne. 52 Prozent der Arbeitnehmerschaft – 8,5 Millionen – sind derzeit in »flexibler Arbeit«. Deren sozialökonomische Lage, aber auch die von Einzelhändlern und von Erwerbslosen (3,3 Millionen) hat sich dramatisch verschlechtert. Dies führte dazu, dass die Demokratische Partei ihr Prestige als Motor der Demokratisierung in den 80er Jahren verlor.

Die progressiven Kräfte des Landes waren nicht in der Lage, eine Alternative zum Neoliberalismus zu entwickeln. Sie pendelten zwischen marginalen Verbesserungsvorschlägen und bloßer Emphase progressiver Werte ohne konkrete Ausgestaltung. In der weltweiten Wirtschaftskrise ist die Gesellschaft nun noch mehr gespalten. Die Krise betrifft hauptsächlich die Schlechtverdienenden, während die auf Export orientierten Großunternehmen aufgrund der expansiven Finanzpolitik anderer entwickelter Länder eine gute Bilanz ziehen können.

Welche politischen Ziele verfolgt die Sozialistische Partei?

Unser erstes Ziel ist die Überwindung des Neoliberalismus und die Gestaltung einer Gesellschaft ohne wirtschaftliche, politische und soziale Ausgrenzung. Zweitens streben wir eine ökologische Umgestaltung der Gesellschaft und drittens die Stiftung des Friedens auf der koreanischen Halbinsel und weltweit an. Uns geht es letztlich um eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft.

Dafür bedarf es konkreter politischer Ansätze ...

Unsere sozialpolitische Grundposition lautet: Die Gleichheit aller als Staatsbürger und Gesellschaftsmitgliedermuss nicht nur formell, sondern auch materiell abgesichert werden. Die Freiheit der Einzelnen beruht auf der materiellen Sicherheit, die jedem gleichermaßen gewährleistet werden soll. Im Mittelpunkt unseres Programms stehen daher die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und die Erweiterung der allen Menschen frei zugänglichen sozialen Infrastruktur. Außerdem treten wir für die Kontrolle des Finanz- und Immobilienmarkts ein. Konkrete Maßnahmen gegen verschiedene Formen neoliberaler Enteignung werden diskutiert.

Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu anderen linken Kräften, zur Demokratischen Arbeiterpartei und zur Neuen Fortschrittspartei in Südkorea?

Die verschiedenen Strömungen der demokratischen Gewerkschaftsbewegung in den 70er und 80er Jahren mündeten in der Gründung der Demokratischen Arbeiterpartei. Dagegen nimmt die Sozialistische Partei Abschied von Konzeptionen der traditionellen Gewerkschaftsbewegung. Wir versuchen, Probleme und Aufgaben der neuen neoliberalen Ära zu bestimmen und eine zeitgemäße Politikkonzeption zu entwickeln. Wir setzen daher den Schwerpunkt unserer Aktivitäten auf die Mobilisierung der »flexibilisierten« Arbeiterschaft, die gewerkschaftlich nicht organisiert ist. Ebenso wichtig ist uns die Öffentlichkeitsarbeit, die sich gegen die neoliberale Zerstörung des Sozialen wendet. Dabei werfen wir Themen auf, die über die der gewerkschaftlich mobilisierten Arbeiterbewegung – etwa 11 Prozent – hinausgehen. Zudem ist die Friedenskonzeption der Sozialistischen Partei universell-pazifistischer Natur. Wir betrachten den Frieden auf der koreanischen Halbinsel nicht als bloßes Mittel zur nationalen Vereinigung, sondern als eigenständiges Ziel.

Die Neue Fortschrittspartei, 2008 gegründet, ist eine Abspaltung der Demokratischen Arbeiterpartei. Wir haben viele konzeptionelle Gemeinsamkeiten. Aber während sich unsere Partei seit 2007 einstimmig für das bedingungslose Grundeinkommen einsetzt, orientiert sich die Mehrheit der Neuen Fortschrittspartei nach wie vor am Modell des traditionellen Sozialstaats. Mit beiden linken Parteien will die Sozialistische Partei einen Dialog führen, um eine gemeinsame Politikkonzeption zu entwickeln.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2010


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