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Ein Oberst packt aus

Nordkoreanischer Überläufer lebte 16 Jahre untergetaucht in Österreich

Von Daniel Kestenholz *

16 Jahre lebte er untergetaucht - als »Maulwurf« - in Österreich, jetzt traute er sich an die Öffentlichkeit: Der ehemalige nordkoreanische Oberst Kim Jong Ryul hat ein Buch vorlegen lassen, das den Lebensstil des 1994 verstorbenen »Großen Führers« und »ewigen Präsidenten« der KDVR, Kim Il Sung, dokumentieren soll. Zwar verurteilte Kim westliche Dekadenz, wollte aber selbst offenbar nicht auf Luxusgüter und Delikatessen verzichten, die der Oberst für ihn zu besorgen hatte, wie Kim Jong Ryul den Autoren des Buches berichtete.

Auf Anordnung des Staatspräsidenten sei er auf Einkaufstouren nach Europa gereist, um Luxuslimousinen, Delikatessen und elektronische Geräte zu kaufen, die in Nordkorea nicht zu haben waren. Das berichtete Oberst Kim den österreichischen Journalisten Ingrid Steiner-Gashi und Dardan Gashi, die aus seinen Erzählungen ein Buch zusammenstellten. »Ohne dieses Buch wollte ich nicht sterben«, sagte Kim der Nachrichtenagentur AP. Jetzt könne er dies - mit reinem Gewissen.

Wie der Vater soll auch Nachfolger Kim Jong Il seine Sucht nach Luxusgütern mit Millionenausgaben gestillt haben. Eine Reihe anderer Quellen belegt die Gelüste von Sohn Kim. So soll dieser als Gast Moskaus mit der russischen Eisenbahn unterwegs gewesen sein und Hummer, Mädchen und so ziemlich alles verlangt haben, was eine Zugreise versüßen kann.

Während die Bevölkerung der KDVR unter Lebensmittelnot litt, soll Kim Il Sung »nur ausländisches Essen gegessen« haben, behauptet der Oberst. »In Wien hatte er einen eigenen Attaché, dessen einzige Aufgabe es war, ausländische Köstlichkeiten für den Diktator zu besorgen.«

Kim Il Sung ließ sich demnach auch Dutzende weitläufiger Villen erbauen, einige davon unterirdisch und ausgestattet mit Seidentapeten und Kristallkronleuchtern. Nach Aussagen eines anderen Überläufers, der jüngst auspackte, sind mit bewässerten Gärten ausgestattete Anlagen durch ein riesiges Tunnelsystem verbunden, das bis weit außerhalb von Pjöngjang reicht.

Die wahre Liebe Kim Il Sungs habe aber Luxusautos wie Mercedes, Lincolns, Cadillacs und Fords gegolten. Ein Handelsembargo sei leicht zu umgehen gewesen, berichtete der Oberst. Über Scheinfirmen und willige Mittelsmänner, die um die 30 Prozent Provision einsteckten, fanden auch spezielle Waffen und Spionagetechnik ihren Weg nach Nordkorea.

Oberst Kim hatte seine Frau und zwei Kinder in Nordkorea zurückgelassen, als er - mit einem Führerschein als einziger Legitimation - in Österreich untertauchte. Um das Schicksal seiner Angehörigen machte er sich offenbar wenig Sorgen. Er selbst habe noch heute Todesängste und fürchte die Rache der Machthaber in seiner Heimat, bekannte er.

Kim Jong Il dürfte indessen derzeit größere Sorgen als den Überläufer haben. Seine Dynastie konnte sich zwar bislang behaupten, doch jüngere fehlerhafte Entscheidungen wie eine Währungsreform, die Nordkorea an den Rand eines Finanzkollapses brachten, deuten auf instabile Verhältnisse in Pjöngjang. Überdies soll es um die Gesundheit des »Geliebten Führers« dermaßen schlecht bestellt sein, dass er jedweden Luxus wohl kaum noch genießen kann.

* Aus: Neues Deutschland, 9. März 2010


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