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Tödlicher Tabubruch

Hinrichtung in Pjöngjang

Von Rainer Werning *

Die Hinrichtung des noch vor wenigen Wochen als Nummer 2 der nordkoreanischen Nomenklatur gefeierten Chang Song-Thaek ist in mehrfacher Hinsicht brisant. Hervorstechend und einmalig in der Geschichte der herrschenden Partei der Arbeit Koreas sind zudem die von der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA öffentlich präsentierte Begründung des Urteils sowie die Rasanz, mit der die Exekution des 67jährigen Politkaders vollstreckt wurde.

Die Demokratische Volksrepublik Korea ist seit dem Fall der Berliner Mauer und der Implosion der Sowjetunion mehrfach totgesagt worden. Ein wesentlicher Grund für das Überdauern des Regimes in Pjöngjang lag darin, daß dort das Herrschaftsgefüge und die Machtmechanismen jeweils fein austariert blieben. Es handelte sich um eine Art dreigliedriges Führungssystem: Alte Kampfgefährten des Staatsgründers Kim Il-Sung aus dem antijapanischen Partisanenkampf waren ebenso integraler Bestandteil der Staats- und Parteiführung wie in den vormals realsozialistischen Ländern ausgebildete Fachkräfte und nicht zuletzt autochthone Kader. Kim Il-Sung, der Großvater des amtierenden Machthabers Kim Jong-Un, hatte Charisma und sah sich durch seine antijapanische Vergangenheit legitimiert. Welch ein Kontrast zu den südkoreanischen Führungspersönlichkeiten, die entweder eingefleischte Kollaborateure der Japaner oder Präsidenten von Uncle Sams Gnaden waren!

Kim Jong-Il, der Vater Kim Jong-Uns, hatte immerhin eine Laufbahn aufzuweisen, die ihn mit unterschiedlichen Aufgaben in Partei und Staat vertraut machte. Er konnte sich legitimieren durch seinen Vater, den er mit Zustimmung des gesamten dreigliedrigen Führungssystems beerbte. Und sein Sohn? Kim Jong-Un hat mit der Exekution Changs nicht nur diese Dreigliedrigkeit zerstört, sondern ein Klima der Angst erzeugt. Auffällig vollzog sich während seiner knapp zweijährigen Regentschaft ein Generationenwechsel, in dessen Verlauf mindestens ein Drittel der Militärkommandeure sowie Partei- und Regierungsbeamten durch jüngere Kader ausgetauscht wurde. Ob dies zur eigenen Herrschaftssicherung ausreicht, ist fraglich.

Im Süden des Landes wächst die Furcht vor einer Implosion des Nordens. Und der große Nachbar China, auf dessen Hilfe Pjöngjang nolens volens angewiesen ist, wird klarer als in der Vergangenheit reagieren (müssen). Immerhin bildete Chang das Scharnier im Verhältnis zwischen Peking und Pjöngjang. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte die US-amerikanische »Rand Corporation« einen 312seitigen Report. Dessen Haupttenor: Im Falle eines Kollapses Nordkoreas sei China gut beraten, rechtzeitig mit Südkorea und den USA Vorsorge zu treffen, um ein Katastrophenszenario gigantischen Ausmaßes abzuwehren.

`Rainer Werning ist Koautor des 2012 erschienenen Buches »Korea – Von der Kolonie zum geteilten Land« (Promedia-Verlag Wien)

Aus: junge Welt, Montag, 16. Dezember 2013



Nordkorea ruft Landsleute zurück

Nach der Hinrichtung des Onkels von Staatschef Kim Jong-Un, Jang Sung-Thaek, hat Nordkorea nach Medienberichten in großer Zahl Geschäftsleute des eigenen Landes aus China zurückgerufen. Betroffen seien Nordkoreaner, die von Shenyang und Dandong aus Handel mit China betrieben und auch um Investitionen werben sollten. Viele von ihnen hätten China in aller Eile verlassen. Nordkoreas Regierung habe offenbar zudem vor, ihre Mitarbeiter aus China zurückzurufen. Jang galt lange Zeit als zweitmächtigster Mann Nordkoreas. Mehrmals hatte er große Delegationen nach China geführt, um die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen. Nordkorea hatte am Freitag die Hinrichtung des 67jährigen bestätigt. Ein Militärtribunal habe ihn wegen eines Umsturzversuches zum Tode verurteilt, hieß es.
(jW, 16.12.2013)




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