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Vorerst weiter Giftpfeile statt Bomben

Konflikt auf der Korea-Halbinsel ist womöglich in die diplomatische Phase gewechselt

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

US-Außenminister John Kerry ist am Freitag zu Krisengesprächen über den Konflikt auf der Koreanischen Halbinsel in Seoul eingetroffen.

Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye hat Verhandlungen mit dem Norden als »entscheidend« für die innerkoreanische Entspannung bezeichnet - Worte, für die sie im Land sowohl Lob als auch Tadel erntet. Pjöngjang drohte derweil auch Japan mit einem Atomschlag, sollte es wie angekündigt eine Rakete Nordkoreas abfangen. Dennoch: Die jüngste Auflage des Korea-Konflikts scheint nach hitzigen Wochen in die diplomatische Phase einzutreten. Im Hintergrund laufen Anstrengungen, die Führung im Norden von Gesprächen zu überzeugen. Seoul bestätigte, man habe Pjöngjang ein Verhandlungsangebot unterbreitet und arbeite an den Details. »Wir hoffen, dass Nordkorea an den Verhandlungstisch kommt«, sagte Ryoo Kihl Jae, Südkoreas Minister für Wiedervereinigung.

Verhandlungsbereitschaft Washingtons ließ Kerry, der im Anschluss Peking und Tokio besucht, allerdings noch nicht durchblicken. Die US-Amerikaner versuchen sich noch immer einen Reim auf Nordkoreas Motive und darauf zu machen, wer in Pjöngjang tatsächlich das Sagen hat. »Wer koreanische Kultur kennt, für den ist es schwierig zu verstehen, dass ein 29- oder 30-Jähriger totale Kontrolle über die Bürokratie, das Militär und die Befehlsgewalt haben soll«, sagte ein Berater Kerrys. Die USA wollen Direktgespräche mit Pjöngjang vermeiden und suchen einen Rahmen, der neben Südkorea auch China, Russland und Japan mit in die Pflicht nimmt. Dabei herrschen auch unterschiedliche Auffassungen über Nordkoreas wahres Potenzial. Südkorea hält dessen Atomprogramm für Bluff, die Amerikaner nehmen es ernster. Nach einem Bericht des Militärgeheimdienstes DIA könnte Pjöngjang eine Trägerrakete mit einem Atomsprengkopf bestücken und abfeuern, doch die Technologie sei noch unzuverlässig. Das über Vorgänge im Norden gewöhnlich besser unterrichtete Südkorea indes ist der Ansicht, dass es Pjöngjang noch nicht gelungen sei, einen Atomsprengkopf so zu verkleinern, dass er von einer Rakete getragen werden kann. Der Norden verfüge über die Nukleartechnologie, könne sie aber noch nicht »militarisieren«, mutmaßte Kim Min Seok, Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Derweil laufen in Nordkorea Vorbereitungen für den wichtigsten Feiertag des Jahres auf Hochtouren: Der 15. April ist der Geburtstag von Staatsgründer Kim Il Sung, der 1994 verstarb und nach dem Tod zum »Ewigen Präsidenten der Republik« aufstieg. Im ganzen Land stattfindende Paraden und Festivitäten machen kaum den Eindruck, dass sich Nordkorea am Rande eines Atomkriegs befindet. Die staatliche Nachrichtenagentur KCNA veröffentlicht ein Potpourri von Meldungen, die Führer und Kultur zelebrieren - und immer mal wieder Giftpfeile in Richtung Süden abfeuern.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 13. April 2013


Schätzungen, Zweifel, Hypothesen

Pentagon widerspricht Vermutung, daß Nordkorea Atomraketen bauen könne

Von Knut Mellenthin **


Ist Nordkorea entgegen den bisher vorherrschenden Annahmen doch in der Lage, einen nuklearen Sprengkopf mit einer Rakete abzuschießen? Die Spekulationen bekamen am Freitag Auftrieb durch das Bekanntwerden eines Satzes aus einem vertraulichen Papier des US-amerikanischen Militärgeheimdienstes DIA. Man schätze mit »moderate confidence«, einem relativ niedrigen Grad von Sicherheit, ein, daß die Demokratische Volksrepublik (DVRK) diese Fähigkeit besitze, heißt es da. »Aber die Zuverlässigkeit« – gemeint ist die, die Waffe wirklich über die volle Strecke und ins Ziel zu bringen – wäre »gering«.

Die Aussage steht in dem zwar unveröffentlichten, aber nicht als vertraulich deklarierten Zusammenfassungsteil (Summary) des Papiers. Zitiert wurde sie am Donnerstag vom Abgeordneten Doug Lamborn, der zum Tea-Party-Flügel der Republikaner gehört, während einer Anhörung zum Etat im Streitkräfteausschuß. Lamborn wollte von Generalstabschef Martin Dempsey wissen, ob er dieser Einschätzung zustimme. Der General zog sich auf die Ausrede zurück, er habe das Dokument noch nicht gelesen und wolle sich außerdem dazu nicht äußern, da es in seiner Gesamtheit der Geheimhaltung unterliege.

Dem Pentagon erschien das Thema jedoch brisant genug, um wenig später durch seinen Pressesprecher George Little ein Statement veröffentlichen zu lassen, das praktisch einem Dementi gleichkommt: Es wäre »ungenau«, wenn man nahelegen wollte, »das nordkoreanische Regime habe die Art von nuklearen Fähigkeiten, von denen in der Passage die Rede ist, voll getestet, entwickelt oder unter Beweis gestellt«. Auch James Clapper, der als »Director of National Intelligence« der Koordinator aller 16 Nachrichtendienste der USA ist, ging sofort auf Distanz: Die zitierte Einschätzung der DIA sei nicht Konsens unter den Diensten. »Nordkorea hat den vollen Umfang der Fähigkeiten, die für eine Atomrakete erforderlich sind, noch nicht unter Beweis gestellt.«

Etwas anderes sagt genaugenommen auch das DIA-Papier nicht aus, das lediglich auf Annahmen – nicht etwa auf Indizien – beruht. Das Thema ist ohnehin nicht neu, nachdem David Albright, Chef des mehr oder wenigen privaten ISIS-Instituts, darüber schon am 13. Februar auf seiner Website einen detaillierten, langen Text publiziert hatte. Albright schloß zwar aus, daß die DVRK eine Mittelstreckenrakete – Reichweite etwa 3000 bis 4000 Kilometer – nuklear bestücken könnte. Er äußerte dort aber die Vermutung, daß die Nordkoreaner technisch in der Lage sein könnten, ihre »Nodong«-Raketen, die eine Reichweite bis 1500 Kilometer haben, mit einem atomaren Gefechtskopf auszurüsten. Als Hauptargument für seine These führte er die Länge der Zeit an, in der die DVRK möglicherweise schon an diesem Problem arbeitet. Auch Albright hob Zweifel an der »Zuverlässigkeit« einer solchen Atomrakete hervor

** Aus: junge welt, Samstag, 13. April 2013


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