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Am Pranger

Nordkorea: Spekulationen über Kim Jong-Ils Nachfolge. Pjöngjang hält an atomarem "Abschreckungspotential" fest

Von Rainer Werning *

In Nordkorea überschlagen sich die Ereignisse. Der von südkoreanischen und japanischen Medien in den vergangenen Monaten in die politische Versenkung geschriebene »Geliebte Führer« Nordkoreas, Kim Jong-Il, feierte am 16. Februar quietschfidel seinen 67. Geburtstag. Am 5. April zündete Pjöngjang nach eigenem Bekunden erfolgreich eine Unha-(Milchstraße)-Rakete, um damit den eigenen Kommunikationssatelliten Kwangmyongsong-2 (Strahlender Stern) ins All zu befördern. Am 9. April wurde Kim von der Obersten Volksversammlung für weitere fünf Jahre als Vorsitzender der nunmehr auf 13 Mitglieder erweiterten Nationalen Verteidigungskommission bestätigt – der mit Abstand bedeutsamste politische Posten in der Volksrepublik. Die Kommission ist das kollektive Führungsgremium, aus dessen Reihen ein Nachfolger für Kim Jong-Il bestimmt werden kann. Die momentan einflußreichsten Personen darin sind der 78jährige General O Kuk-Ryol und der 63jährige Chang Sung-Taek. Letzterer ist ein Schwager von Kim Jong-Il und Direktor der Verwaltungsabteilung der herrschenden Partei der Arbeit Koreas. Generalstabschef der Koreanischen Volksarmee a.D. O fungiert als Vizechef der Kommission und hat seit den frühen 1980er Jahren den Aufstieg Kim Jong-Ils in Partei und Armee protegiert. Der Mittzwanziger Kim Jong-Un, Kim Jong-Ils jüngster Sohn, soll langsam mit Partei- und Militäraufgaben betraut werden, was nicht automatisch bedeutet, daß er bereits jetzt – beispielsweise im Falle eines plötzlichen Todes seines Vaters – zu dessen Nachfolger avancierte.

In der letzten Maiwoche sattelte Pjöngjang noch kräftig drauf. Am 25. Mai meldete Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA die erfolgreiche Zündung seines zweiten unterirdischen Atomtests. Außerdem feuerte Nordkorea seitdem mehrere Kurzstreckenraketen ab und bereitet sich auf den Start einer Langstreckenrakete vor. So steht das Land aufs neue als Schmuddelkind der internationalen Staatengemeinschaft am Pranger. Während die Feindbildprojektion allerorten wieder auf Hochtouren läuft und der Generalstabschef der US-Armee, George Casey, erklärte, sein Land sei im Falle eines Falles kriegsbereit, verfolgen die seit dem Korea-Krieg (1950–53) in Bunkermentalität erprobten und im Krisenmanagement gewieften Diplomaten und Strategen Pjöngjangs knallhart ihre eigenen Kalküle. Höchste Priorität bleibt es aus ihrer Sicht, einen Regimewechsel à la Irak zu vermeiden. Warum das alles und wieso jetzt?

Als Nordkorea am 5. April seine Rakete zündete, sprach US-Präsident Obama in Prag über weitreichende Abrüstungspläne. »Nordkorea«, so Obama, »bricht die Vereinbarungen. Vereinbarungen sind verbindlich und einzuhalten. Verletzungen müssen bestraft werden.« Vereinbarungen – Verletzungen? Da rieb man sich in Pjöngjang verwundert die Augen. Als vor 15 Jahren der erste Streit um Nordkoreas Nuklearprogramm entbrannte, trafen die Unterhändler Nordkoreas und der USA am 21. Oktober 1994 in Genf die sogenannte Rahmenvereinbarung (Agreed Framework). Darin verpflichtete sich das Land zur Einstellung des Programms, während die USA im Gegenzug zusagten, der Volksrepublik bis zum Jahr 2003 zwei 1000-Megawatt-Leichtwasserreaktoren und bis dahin jährlich 500000 Tonnen Schweröl und Kohle im Gesamtwert von knapp 4,6 Milliarden US-Dollar zu liefern. Vereinbart wurde überdies die Einrichtung von Verbindungsbüros in den jeweiligen Hauptstädten, und Washington garantierte in einem Zusatzprotokoll die Souveränität und Integrität Nordkoreas.

Die Volksrepublik sieht sich als gebranntes Kind, weil diese Zusagen nicht nur nicht eingehalten, sondern in der Ära Bush über Bord geworfen wurden. Als Teil einer von diesem so gescholtenen »Achse des Bösen« suchte Nordkoreas Nomenklatura fortan ihr Heil in einer Strategie, die auch Bush verstand – wenn schon nicht als Freund, dann wenigstens als ebenbürtiger, notfalls zur Nuklearmacht avancierter Feind anerkannt zu werden. Dies soll auch Obama unmißverständlich signalisiert werden, um direkte bilaterale Verhandlungen zu erzwingen.

Nordkorea mißtraut zutiefst der Politik der internationalen Staatengemeinschaft – wegen akzeptierter Doppelstandards und Heuchelei. Darauf hat noch Mitte April der frühere UN-Waffeninspekteur im Irak (1991–98) und US-Marinenachrichtenoffizier Scott Ritter hingewiesen. Während beispielsweise die internationale Öffentlichkeit, so Ritter, einen am 23. Januar durchgeführten weiteren, teils exklusiv militärischen Zwecken dienenden japanischen H-2A-Raketentest in Tanegashima, das Zünden einer ballistischen Rakete von einem Trident-Unterseeboot der US-Marine im Februar und den Start einer russischen SS-25-Interkontinentalrakete am 10. April ignorierte, hackten die UN gleichzeitig auf Nordkorea und Iran herum. Zu schweigen von ebenfalls kürzlich durchgeführten Tests dieser Art seitens der Nuklearmächte Israel, Pakistan und Indien – allesamt Nichtunterzeichner des Atomwaffensperrvertrags.

Wie weiter? Vor allem China, Pjöngjangs bedeutendster wirtschaftlicher und politischer Partner, forderte das Nachbarland auf, an den Verhandlungs­tisch zurückzukehren und die Situation nicht zu verschlimmern. Da Washington momentan keine konsistente politisch-diplomatische Strategie zur Lösung des Konflikts mit Nordkorea erkennen läßt, täte man gut daran, in diesem Sinne enger denn je mit Peking zu kooperieren.

* Aus: junge Welt, 4. Juni 2009


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