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Gelungene Überraschung

USA verurteilen nordkoreanischen Raketenstart als »hochgradig provokatorisch«

Von Knut Mellenthin *

Die Demokratische Volksrepublik Korea hat die Welt am Mittwoch mit dem erfolgreichen Start eines Satelliten überrascht. Vorausgegangen waren Meldungen über eine unbefristete Verschiebung des Unternehmens, die sich im Rückblick als perfekt gelungenes Täuschungsmanöver vor allem gegenüber den USA und Japan darstellen. Beide Staaten hatten Kriegsschiffe und Luftabwehrsysteme mobilisiert, nachdem Nordkorea am 1. Dezember angekündigt hatte, es werde zwischen 10. und 22. Dezember einen künstlichen Erdtrabanten ins All schießen.

Am Sonntag gab die nordkoreanische Weltraumbehörde ohne direkte Nennung eines Grundes bekannt, die geplante Spanne werde von den beteiligten Wissenschaftlern »überprüft«. Einen Tag später teilte die Behörde mit, der Zeitraum werde wegen eines technischen Problems bis zum 29. Dezember ausgedehnt. Am Dienstag meldete Spiegel online sogar unter Berufung auf südkoreanische Medien – deren Unzuverlässigkeit allerdings bekannt ist –, die ganze dreistufige Rakete sei fortgeschafft und in eine Montagehalle gebracht worden. Nur ein oder zwei Stunden vor dem Start hätten sich US-amerikanische Diplomaten bei einem Empfang in der Residenz des japanischen Botschafters in Washington überzeugt gegeben, daß die Nordkoreaner »mehrere Wochen« brauchen würden, um ihre technischen Probleme zu lösen, wußte die New York Times am Mittwoch zu berichten.

Nach nordkoreanischer Darstellung ist der gestern in eine Erdumlaufbahn geschossene Wettersatellit bereits der dritte des Landes. Er trägt deshalb die Bezeichung Kwangmyongsong, Heller Stern, 3. Dagegen gehen die meisten ausländischen Beobachter, auch in Rußland und China, davon aus, daß die von der Demokratischen Volksrepublik bekanntgegebenen Satellitenstarts am 31. August 1998 und am 5. April 2009 nicht erfolgreich waren. Allgemein wird darüber hinaus angenommen, daß es sich am Mittwoch bereits um den sechsten, aber erstmals geglückten Start einer ballistischen Rakete gehandelt habe.

Solche Flugkörper zu testen, ist der DVRK durch die UN-Resolutionen 1718 vom 14. Oktober 2006 und 1874 vom 12. Juni 2009 verboten. Auf diese Entschließungen des Sicherheitsrates, die übrigens beide einstimmig ohne eine einzige Enthaltung verabschiedet wurden, bezieht sich die US-Regierung jetzt, wenn sie den Satellitenstart als »hochgradig provokatorischen Akt« verurteilt, »der die regionale Sicherheit bedroht«, »Nordkoreas internationalen Verpflichtungen zuwiderläuft« und »das globale Regime gegen die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen untergräbt«.

Allerdings gibt es für die beiden Resolutionen – und diese Feststellung betrifft selbstverständlich alle daran Beteiligten – keine Grundlage in irgendwelchen für alle Staaten geltenden Abkommen und Gesetzen. Wie im Fall Irans unternimmt der Sicherheitsrat auch gegen die DVRK den Versuch, sich selbst zur höchsten, unanfechtbaren Instanz einer eigenen Rechtsschöpfung zu machen und einzelne Staaten unter Sonderrecht zu stellen. Nordkorea sollte offenbar durch die Resolutionen 1718 und 1874 willkürlich dafür bestraft werden, daß es jeweils kurz zuvor einen Atomwaffen-Test unternommen hatte. Indessen sind solche Versuche ebenso wenig international verboten wie der Erwerb und die Produktion von Nuklearwaffen. Nicht einmal ihr Einsatz ist geächtet. Von den vier Ländern, die sich außerhalb des Nichtweiterverbreitungsvertrages Atomwaffen verschafft haben – in historischer Reihenfolge: Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea – ist die DVRK das einzige, gegen das internationale Strafmaßnahmen verhängt wurden. Am schlechtesten dran ist Iran, der dem schärfsten Sanktionsregime ausgesetzt ist, das jemals in Friedenszeiten praktiziert wurde, obwohl er keine Atomwaffen besitzt und nach offizieller Aussage der US-Regierung nicht einmal den Entschluß gefaßt hat, solche Waffen zu bauen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. Dezember 2012


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