Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wozu will Nordkorea eine Rakete starten?

Von Iwan Sachartschenko *

Nordkoreas Volk leidet an chronischer Unterernährung und muss quasi eine internationale Blockade ertragen. Doch das störte die Volksrepublik nicht daran, ihre Raketentechnologien weiter zu entwickeln. Die Nordkoreaner gaben jetzt ihre Pläne bekannt, von einem eigenen Weltraumbahnhof eine Rakete mit einem Nachrichtensatelliten ins All zu starten.

Es fragt sich, wozu das notwendig ist. Die Gründe müssen für Pjöngjang sehr gewichtig gewesen sein.

Anders als in der Vergangenheit hat Pjöngjang diesmal kein Geheimnis aus seinen Plänen gemacht, einen Raketenstart vorzubereiten, zumal US-Spionagesatelliten den Transport von Frachten zum Raketenabschussgelände an der Ostküste feststellten. Die Frachten ähnelten den Komponenten einer ballistischen Rakete. Das nordkoreanische Komitee für Weltraumtechnologien kündigte die Vorbereitung auf den Start eines Satelliten mittels einer Trägerrakete mit dem poetischen Namen "Milchstraße" (Unha-2) an.

Dann folgte eine offizielle Erklärung: Die Fortsetzung des in den 80er Jahren eingeleiteten Weltraumprogramms habe das Ziel, die Volksrepublik gegen 2012 in einen "mächtigen Staat" zu verwandeln.

1998 gab es beim Start von Unha-1 keinerlei vorherige Bekanntmachungen. Jetzt hat Pjöngjang die internationalen Transportorganisationen, darunter die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO), benachrichtigt, dass der Start zwischen dem 4. und dem 8. April von der Ostküste, wo übrigens auch russische Schiffe unterwegs sind, erfolgen werde.

Der Termin ist nicht zufällig ausgewählt, wenn auch nicht mit den Fünf- beziehungsweise Siebenjahrplänen verbunden, mit denen die sozialistischen Staaten früher ihre Entwicklungsetappen gemessen hatten. 2012 wird der 100. Geburtstag des ehemaligen Präsidenten Kim Il Sung, Vater des gegenwärtigen Staatsoberhaupts Kim Jong Il, gefeiert. Diesem Ereignis sollen eindrucksvolle Erfolge vorausgehen, wobei der Weltraum sich ausgezeichnet dafür eignet.

Vor wenigen Tagen wurde Nordkoreas Oberste Volksversammlung (Parlament) gewählt, die erste Sitzung findet Anfang April statt.

Zweifellos hängt einer der Gründe für den Raketenstart mit der Situation in Nordkorea zusammen. Zweifellos ist die Lage weiter stabil, aber Kim Jong Il zeigte sich lange nicht in der Öffentlichkeit; es kamen Gerüchte auf, seine Gesundheit sei schwer angegriffen.

Die südkoreanische Presse hatte das Thema der Suche nach einem Nachfolger für Kim Jong Il monatelang breitgetreten. Zahlreiche Spekulationen kamen auf, deren Nacherzählung keinen Sinn hat. Der Raketenstart hat wohl kaum etwas damit zu tun, dient jedoch wohl dazu, in der Bevölkerung den Stolz und Patriotismus sowie auch die Autorität der Landesführung zu festigen.

Zweitens ist der Raketenstart mit dem Amtsantritt Barack Obamas in den USA verknüpft. Es ist eine gute Methode, Washingtons Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, da die Amerikaner auf die Probleme um den Nahen Osten, Iran und der eigenen Wirtschaft fixiert sind.

Früher hatte man mit dieser Masche immer Erfolg: Nordkoreas Nukleartest im Oktober 2006 trieb beispielsweise die Sechser-Verhandlungen in Peking (Russland, USA, China, Südkorea, Nordkorea und Japan) an. Sie zielen auf den unumkehrbaren Verzicht Pjöngjangs auf den Weg zur Atommacht ab. Nordkorea hofft auf einen direkten Dialog mit den USA. In der Bill-Clinton-Ära kam es 1994 zu einer Abmachung, mit der das nordkoreanische Nuklearprogramm gestoppt werden konnte, bevor Nordkorea sich dem Bau von Atomwaffen annäherte.

Die Regierung von George W. Bush revidierte die Abmachung. Jetzt zählt sich Nordkorea zu den "Atommächten" und startet Raketen, die die Vereinigten Staaten erreichen können.

Pjöngjang hofft, dass die US-Diplomaten unter Obama es beachten und Gespräche mit ihm anstreben werden.

Mehrmals versprach Nordkorea, auf Atomwaffen zu verzichten, aber erst dann, wenn es keine von den USA ausgehende Gefahr mehr spüren wird. In dem Fall würden sich die Beziehungen zwischen den Staaten normalisieren und Frieden herbeiführen.

Drittens soll der nordkoreanische Raketenstart auch an die Adresse Südkoreas gehen, wo bereits seit einem Jahr eine konservative Regierung an der Macht ist. Sie hat den früheren zehnjährigen Kurs auf Annäherung und Zusammenarbeit mit Pjöngjang aufgegeben.

Die südkoreanische Öffentlichkeit muss einerseits die Errungenschaften der Nordkoreaner in der Weltraumtechnologie erkennen und sich andererseits darüber klar werden, dass solche Technologien bei einem angespannten Verhältnis eine gefährliche Waffe werden könnten.

Kommt Südkoreas Volk zu dieser Einsicht, so müsste es, wie in Nordkorea angenommen, seinen Unmut über den Kurs von Präsident Lee Myung Bak zum Ausdruck bringen und die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit den Nordkoreanern verlangen.

Viertens: Der Satellitenstart dient zwar, wie Pjöngjang versichert, friedlichen Zwecken, doch Raketentechnologien können auch militärisch genutzt werden, beispielsweise für den Start von Interkontinentalraketen.

Wenn Nordkorea Atomwaffen hat, wäre das ein ernst zu nehmender Hebel für die Verteidigung der eigenen Interessen, unter anderem bei den Versuchen, die Beziehungen zu den USA zu normalisieren.

In Südkorea besteht deshalb die Meinung, dass Nordkorea auch beim Start eines friedlichen Satelliten gegen die Resolution 1718 des UN-Sicherheitsrats verstößt. Sie verbietet Pjöngjang die Entwicklung von ballistischen Raketen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 12. März 2009


Zurück zur Korea-Seite

Zur Atomwaffen-Seite

Zurück zur Homepage