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Reis für nordkoreanische Kinder

Volkbert Keßler finanzierte humanitäre Hilfe und besuchte die Provinz Süd-Hwanghae *


Der pensionierte Schweriner Jugendstaatsanwalt Volkbert Keßler (69) finanzierte durch eine Spende die Lieferung von 20 Tonnen Reis für ein Krankenhaus und ein Waisenheim in der nordkoreanischen Demokratischen Volksrepublik. Im Mai besuchte Keßler gemeinsam mit Vertretern der Hilfsorganisation humedica e.V. das ostasiatische Land. Über seine Motive und seine Eindrücke befragte ihn »nd«-Redakteur Detlef D. Pries.


nd: Woher rührt Ihr Engagement für Nordkorea, das im Westen als Außenseiter der »internationalen Staatengemeinschaft« gilt?

Schon als Kind hat mich der Koreakrieg 1950 bis 1953 sehr bewegt. Und da es manche Parallelen zwischen den deutschen und den koreanischen Verhältnissen nach dem Zweiten Weltkrieg gab, ist mein Interesse für Korea nie erlahmt, schon gar nicht nach der deutschen Vereinigung. Leider hat sich die Lage dort in den vergangenen Jahren zugespitzt. Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Überschwemmungen haben dramatische Ernteausfälle in Nordkorea zur Folge gehabt. Als ich im »nd« im vergangenen Jahr las, dass dort nach UN-Angaben 6,4 Millionen Menschen hungern, war das für mich Anlass, sofort Wirksames zu unternehmen. Vor allem bewegt mich das Wohl der Kinder.

Wie wurde Ihre Initiative von offiziellen Stellen Nordkoreas aufgenommen?

Wir - humedica-Geschäftsführer Wolfgang Groß, der kenianische Projektbearbeiter Patrick Khamadi und ich - wurden sowohl im Außenministerium als auch von der Provinzregierung in Süd-Hwanghae sehr freundlich empfangen. Im Grunde genommen brachten die Gastgeber zum Ausdruck, dass sie die Hilfe dringend brauchen und sehr dankbar dafür sind.

Was haben Sie bei Ihrem Besuch über die Lebenslage erfahren?

Ich hatte den Eindruck, dass die meisten Nordkoreaner mit sich und dem schwierigen Alltag beschäftigt sind. Erwachsene bekommen 13 Kilo Reis im Monat, für Kinder gibt es 8 Kilo, anderes gibt es kaum. Das wird zugeteilt, in Pjöngjang ebenso wie in den Dörfern. Kein Wunder, dass die Leute auffallend schlank sind. Es mangelt an Strom und im Winter an Heizmaterial. In den Hochhäusern von Pjöngjang funktionieren die Fahrstühle häufig nicht, der Druck in den Wasserleitungen schwankt. Uns gegenüber waren die Koreaner aber sehr freundlich und zuvorkommend.

Wie hat sich Ihnen die Situation in der Provinz dargestellt?

Die Lebensbedingungen dort sind noch komplizierter. Unsere Reislieferung kam einem Heim für 320 Waisenkinder und dem Volkskrankenhaus Nr. 1 in Haeju zugute. Haeju ist die Hauptstadt der Provinz Süd-Hwanghae, etwa 140 Kilometer südlich von Pjöngjang. Das Krankenhaus mit 250 Betten ist zwar personell gut ausgestattet, die Ärzte sind gut ausgebildet und tun, was in ihren Kräften steht, aber die Ausrüstung ist schon sehr alt und geradezu primitiv. Es mangelt an Untersuchungsgeräten und Operationsbestecken, Medikamente werden zum Teil selbst hergestellt, man nutzt dafür Naturheilmittel. Der einzige Krankenwagen ist ein 30-jähriges Wrack, verletzte Kinder müssen von ihren Müttern zur Behandlung getragen werden. Humedica-Chef Wolfgang Groß, der ähnliche Einrichtungen in vielen anderen Ländern kennt, hob aber beispielsweise die Sauberkeit, die Ordnung und den freundschaftlichen Umgang des Personals miteinander hervor. Die Organisation bemüht sich derzeit auch um Spenden für das Krankenhaus.

Angesichts dessen, was Sie gesehen haben: Was halten Sie von Forderungen nach Sanktionen gegen Nordkorea?

Nicht viel. Sanktionen - wie jetzt das Nahrungsmittelembargo der USA - treffen meist nicht die Regierenden, sondern die Bevölkerung und vor allem die Schwächsten, die Kinder. Natürlich wurde auch uns hierzulande vorgehalten: Überlegt euch das mal, euer Reis kann ja auch Soldaten zugutekommen ... Alles Unsinn! Wenn Menschen in bitterer Not sind, muss geholfen werden. Sanktionen sind nur Wasser auf die Mühlen der Regierenden, die auf die feindselige Haltung des Auslands verweisen können, um damit ihre bisherige Politik zu begründen. Das führt zur Bildung von Schicksalsgemeinschaften und zu noch stärkerem Zusammenhalt der Bevölkerung.

Bei der Beurteilung Nordkoreas sollte man immer auch die wechselvolle Kolonial- und Besatzungsgeschichte des Landes im Auge haben. Unter japanischer Herrschaft (1910 - 1945) durfte in der Öffentlichkeit nicht einmal Koreanisch gesprochen werden. Eine Reaktion auf die jahrzehntelange Unterdrückung ist die von Staatsgründer Kim Il Sung propagierte Dschutsche-Ideologie, die wiederum die nationale Selbstständigkeit überhöht und sie als alleiniges Verdienst des »ewigen Präsidenten« und der Nordkoreaner darstellt. Natürlich darf der Stolz darauf, etwas »aus eigener Kraft« geschaffen zu haben, nicht vergessen lassen, dass auch in einem souveränen Staat die elementaren Lebensbedürfnisse der Menschen befriedigt werden müssen.

Sehen Sie eine Chance dafür, dass sich das Land früher oder später weiter öffnet?

Ja, ich glaube, dass sich da etwas entwickeln könnte. Ein Pflänzchen der Hoffnung sehe ich unter anderem darin, dass bei meinen Gesprächen mit nordkoreanischen Offiziellen die Idee der Gründung eines SOS-Kinderdorfes auf Verständnis und Interesse gestoßen ist. 2003 war ein solcher Gedanke noch strikt abgelehnt worden. Ich bleibe dran und habe auch Verbindungen zur südkoreanischen Botschaft aufgenommen. Die Konfrontation zwischen Nord und Süd muss entschärft werden.

Informationen: www.humedica.org;
Spendenkonto 4747 bei der Sparkasse Kaufbeuren BLZ 73450000
Kennwort: Hungerhilfe Nordkorea

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 7. Juni 2012


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