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Aufbruch in Seoul

Geschichte. Südkorea: Vor 25 Jahren entwickelten sich die Demokratiebewegungen zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft

Von Rainer Werning *



»Wir sind keine Maschinen, wir sind doch Menschen!«
Letzte Worte des 1948 geborenen Textilarbeiters Chun Tae-Il bei seiner Selbstverbrennung am 13. November 1970
»Um ein solches Wachstum zu erreichen, kann man eben nicht anders, als erst einmal drei Generationen von Arbeitern zu ­verheizen.«
Westdeutscher Industrieller – zitiert nach: Frankfurter Rundschau vom 9. Februar 1979

Südkorea in den 1970er Jahren. Die Militärdiktatur unter Park Chung-Hee sitzt fest im Sattel. Als »Frontstaat« im Kalten Krieg genießt das Regime die uneingeschränkte Unterstützung seitens seines engsten Verbündeten, den USA. Auch andere westliche Regierungen haben erkannt, daß das Land ein geeigneter Ort ist, um zu investieren und das unerschöpfliche Potential an billigen Arbeitskräften zu nutzen. Die Generäle haben unter ihrer Herrschaft wirtschaftliche Großunternehmen – sogenannte Finanzkonglomerate (chaebol) – heranwachsen lassen und mit Hilfe großzügig gewährter Subventionen aufgepäppelt. Deren Eigentümer und Bosse verschrieben sich im Gegenzug mit Haut und Haaren den staatlichen »Ordnungskräften«.

In der Republik Korea sind unabhängige Gewerkschaften strikt verboten. Aufmüpfige Arbeiter werden von staatlichen oder firmeneigenen Greiftrupps sofort »ausgeschaltet«. Es herrschen – laut der in Genf ansässigen Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – mit durchschnittlich 54,4 Wochenstunden die weltweit längsten Arbeitszeiten. Arbeitsunfälle im »wachstums­orientierten« Land sind an der Tagesordnung. Mitte der 1980er Jahre rangiert Südkorea im internationalen Vergleich auf Rang 1, was die Arbeitsunfallhäufigkeit mit Todesfolgen betrifft. Eine unabhängige Presse, die über solche Mißstände berichten könnte, existiert nicht. Die Medien werden ebenso unterdrückt wie kritische Stimmen aus Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur.

Freitod mit Folgen

Der bis dahin unbekannte Arbeiter Chun Tae-Il setzte ein Fanal, als er sich Ende des Jahres 1970 zum Freitod entschloß. Der junge Mann gehörte zur damals großen Schar von Textilarbeitern und -arbeiterinnen. Die Textilbranche war in den frühen Jahren der Militärdiktatur der Motor südkoreanischer Industrieentwicklung. Chun Tae-Ils Opfer ließ nicht nur im Untergrund eine neue Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung aufkeimen. Sein Tod trug zur Entfaltung einer ebenso vielschichtigen wie vitalen Demokratisierungsbewegung des Landes bei. Selbst jene sozialen Schichten, die vom Status quo profitierten und sich als konservativ und unpolitisch verstanden, erahnten im Suizid des jungen Arbeiters spiegelbildlich die harsche Realität in ihrem Land.

Schrittweise sensibilisiert und politisiert wurden sie durch »von unten« agierende sozialpolitische Gruppierungen und zeitweilig bestehende Netzwerke, deren Mitglieder sich aus proletarischen, akademischen, künstlerischen und kirchlichen »Milieus« rekrutierten. All diesen Menschen gemein war die zentrale Erfahrung brutaler politischer, sozialer und wirtschaftlicher Ausgrenzung. Ein selbstbestimmtes, würdevolles Leben war unter den gegebenen Bedingungen unmöglich. Diese galt es im langwierigen Prozeß mittels politischer Bündnisarbeit im Innern sowie mit Hilfe neuer, öffentlicher Begrifflichkeiten und internationaler Aufmerksamkeit auf den Punkt zu bringen und zu überwinden.

Die da oben, die da unten

»Sam-Min« wurde seit Beginn der 1980er Jahre zum Schlüsselbegriff einer Bewegung, die damit gleichzeitig ihre programmatischen Ziele formulierte. »Sam-Min«, die drei »Min«, steht als Kurzformel für drei Begriffe, die jeweils das sinokoreanische »Min« (Volk) als Wortbestandteil enthalten: »Minjok« (Nation), »Minju« (Demokratie) und »Minjung«. Für »Minjung« findet man im Lexikon »Volk, Masse, die Massen« als Übersetzung. Koreaner betonen aber in der Regel die Unübersetzbarkeit dieses Begriffs. Dieser klassenunspezifische Terminus ließe sich am ehesten mit »die da unten« übersetzen, womit sämtliche Personen und Selbstorganisationen gemeint sind, die gesellschaftlich ausgegrenzt, politisch entrechtet, kulturell unterdrückt und sozial marginalisiert sind.

Die »Sam-Min«-Bewegung ist eine zur Verwirklichung der Demokratie, zur Selbstverwirklichung der Nation (was an allererster Stelle den Gedanken der Unabhängigkeit von außen und der Wiedervereinigung einschließt) sowie zur Befreiung und Entfaltung des »Minjung«. Hinter diesen Slogans finden Kräfte und Strömungen unterschiedlicher Herkunft und Zielrichtung Platz: von den in unseren politischen Denkkategorien am ehesten noch als »sozialreformerisch« zu bezeichnenden gemäßigten Politikern wie Kim Dae-Jung und Teilen der parlamentarischen Opposition bis hin zu eindeutig sozialrevolutionär und antiimperialistisch orientierten Gruppen und Strömungen der Studenten-, aber auch der Arbeiter- und Bauernbewegung.

»Das gemeinsame Dach dieser Bewegung hat im letzten Jahrzehnt immer wieder geknirscht und gebröckelt, ist teilweise auseinandergebrochen, das interne Kräfteverhältnis hat sich erheblich verschoben. Zahlreiche Organisationen und Bündnisse wurden gegründet und oft, kaum daß sie sich im immer unsicheren halblegalen Raum entfalten konnten, schon wieder verboten, zerschlagen, aufgelöst. Andere traten an ihre Stelle – und dennoch sind die Gemeinsamkeiten der Bewegung nicht aufgebraucht. Ihre Lebens- und Überlebenskraft über Jahrzehnte von kleinen und großen Niederlagen hinweg, durch alle Spielarten der gewaltsamen Unterdrückung, geistigen Erstickung, des individuellen und kollektiven Leidens hindurch – sie ist es, die den, der von außen kommt, betroffen macht. Es ist eine Bewegung, deren explizite Verständigung über politische und programmatische Ziele, über Mittel, Wege und Strategien des politischen Kampfes sich lange Zeit nicht entfalten konnte. Sie hat nicht das Korsett großer Parteien und Verbände, deren organisatorische Bindekraft und Erfahrung im Rücken (…) Weniger die großen Zukunftsentwürfe als ihre große Erinnerungsfähigkeit und Beharrlichkeit ist es, die Widerstandskräfte freisetzt und für das Regime so bedrohlich ist«, schrieb Michael Denis 1988 (Denis in: Denis/Dischereit/Song/Werning 1988, S. 154 f.).

 »Zucht und Ordnung«

Diese Widerstandskräfte wagten es im Rahmen einer Debatte um eine Verfassungsänderung, im Frühjahr 1986 erstmals öffentlich und massiv aufzutreten. Was wenige Jahre zuvor gänzlich undenkbar gewesen wäre, war nunmehr Wirklichkeit – in etlichen Großstädten fanden Protestkundgebungen gegen die Regierung statt, an denen sich jeweils 20000 bis 50000 Menschen beteiligten. Der Sturz des Marcos-Regimes auf den Philippinen (Ende Februar 1986) und der »Aquino-Faktor« (Corazon C. Aquino wurde dessen Nachfolgerin) wirkten beflügelnd. Da sich Seoul als Austragungsort der 24. Olympischen Sommerspiele im September 1988 »herausputzte«, gerieten die dortigen Machthaber und ihre Politik zunehmend auch ins Rampenlicht internationalen Medieninteresses.

Die als vorolympische Generalprobe gedachten 10. Asien-Spiele im Herbst 1986 wurden zu einer Probe der Generäle für »Zucht und Ordnung«. Vor und während dieser Spiele nahm das Regime in beispiellosen Großrazzien »vorsichtshalber« 264000 »potentielle Unruhestifter«, das hieß jeden 150. Einwohner, vorübergehend fest! Aus Präsident Chun Doo-Hwans Imagepflege war ein Publicity-Debakel geworden: Die allgegenwärtige Präsenz von Geheimdienstschergen und Uniformierten hinterließ bei zunächst den Militärs wohlgesonnenen Journalisten den Eindruck von Bespitzelung und Gewalt. Um die Sicherheit der Spiele zu gewährleisten, wurde eine aus knapp 1000 Mann zusammengesetzte Spezialeinheit aufgebaut. »Aufrührerisches Gedankengut« sollte nicht die »nationale Würde und Sicherheit« beeinträchtigen.

Als Ende Oktober 1986 8000 Elitesoldaten der »Anti-Terrorist Task Force«, des »Antiterroristischen Sondereinsatzkommandos«, die Konkuk-Universität in der Hauptstadt Seoul stürmten und über 1500 Studierende festnahmen, waren das, wie die Süddeutsche Zeitung am 14. November 1986 hervorhob, »selbst für die häufig mit studentischen Aktivisten befaßte Justiz Rekordzahlen«. Mit dem Verbot von 14 »freien« Gewerkschaften am 7. November setzte das Regime sein Kesseltreiben fort. Tags darauf erhielten der aus knapp zwei Dutzend Organisationen bestehende oppositionelle Dachverband Mintongryon (Vereinigte Minjung-Bewegung für Demokratie und Wiedervereinigung), die Union der Jugendverbände Koreas und das Gedenkhaus für Chun Tae-Il die schriftliche Aufforderung, sich binnen 48 Stunden aufzulösen und ihre Aktivitäten einzustellen. Die aufgezwungene Selbstbeschneidung betraf auch das Menschenrechtskomitee des Nationalen Christlichen Kirchenrates Koreas (NCCK). Reverend Moon Ik-Hwan, einer der eloquentesten Wortführer der Mintongryon, wurde neuerlich zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verdonnert.

Diese Maßnahmen erfolgten im Zusammenhang mit der gegen insgesamt 10000 Personen und 30 Organisationen entfesselten »Säuberungskampagne gegen prokommunistische Elemente«. »Die linksgerichteten Kräfte in unserer Gesellschaft«, hatte die Seouler Tageszeitung Chosun-Ilbo auf ihrer Titelseite vom 21. Oktober 1986 einen Regierungsbeamten zitiert, »gilt es bis zur Wurzel auszurotten«. Eine staatlich gebilligte Aufforderung zur physischen Ausschaltung unsicherer Kantonisten?

Das zu vermuten, war nicht abwegig. Die »Affäre Park Chong-Chul« rückte im Januar 1987 eine besonders von der außerparlamentarischen Opposition stets vehement angeprangerte Praxis staatlichen Terrors ins öffentliche Bewußtsein: Folter. Um dem inhaftierten Linguistikstudenten Park »Geständnisbeihilfe« zu leisten, hatten Angehörige der berüchtigten »Antikommunistischen Geheimpolizei« ihn der sogenannten »Wasserkur« unterzogen und ertränkt. Der 21jährige Park war einer von damals etwa 3000 politischen Gefangenen, von denen viele 1986 festgenommen worden waren und einige bereits seit den 1970er Jahren einsaßen.

Dem Tod des jungen Studenten folgte ein nationaler Aufschrei. Stellvertretend für zahlreiche »Fälle« dieser Art symbolisierte Park über Nacht das aufbegehrende Minjung. Und: Der Protest erfuhr einen Gesichts- und Generationenwechsel. Das städtische Bürgertum, lange eine der verläßlichsten Stützen der Machthaber, ging nunmehr buchstäblich auf die Barrikaden. Professoren, Angestellte, Geschäftsleute, Bankiers und Geistliche, darunter eine wachsende Zahl buddhistischer Mönche, die sich in klösterlicher Abgeschiedenheit mit den Herrschenden arrangiert hatten, klagten auf der Straße demokratische Verhältnisse ein. Wenige Wochen später forderte das martialische Vorgehen staatlicher Sicherheitskräfte ein weiteres Opfer. Lee Han-Yol, Student der renommierten Yonsei-Universität in Seoul, lag, nachdem er von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen worden war, einen Monat lang im Koma, bis er schließlich seinen schweren Verletzungen erlag. Sein Begräbnis wurde zu einer gigantischen Anklage gegen das Regime; weit über eine Million Menschen säumten allein in der Hauptstadt die Straßen, um ihrer Trauer und Wut über das Vorgehen der Behörden Ausdruck zu verleihen.

Geordneter Übergang

Im Frühsommer 1987 war die innenpolitische Lage im Lande dermaßen angespannt, daß der Militärmachthaber Chun offen erwog, neuerlich das Kriegsrecht zu verhängen und das Militär zur »Eindämmung von Unruhen« zu mobilisieren. Das allerdings rief flugs jene gewieften Krisenmanager im US-amerikanischen Außen- und Verteidigungsministerium auf den Plan, die sich ein Jahr zuvor auf den Philippinen – in der Endphase der langjährigen Marcos-Diktatur – buchstäblich die Klinke in die Hand gegeben hatten, um in dem Inselstaat eine im Interesse Washingtons »geordnete Übergangslösung« herbeizuführen. Im Falle der Philippinen setzte man nach den desaströsen Erfahrungen in Nicaragua und im Iran Ende der 1970er Jahre auf ein neue, »aufgeklärte« Strategie von Krisenmanagement. Dort nämlich hatte man Marcos bereits Monate vor dessen Sturz signalisiert, daß er strategisch unhaltbar geworden und lediglich taktisch von Interesse sei. Man drängte ihn zu vorgezogenen Wahlen und nutzte derweil die Chance, mit Corazon Aquino und dem gemäßigten Politiker Salvador Laurel ein Tandem hoffähig zu machen, das schließlich das Erbe des verhaßten Despoten antrat. In Nicaragua, Iran und andernorts hatte Washington zuvor seinen Günstlingen bis zur Neige die Stange gehalten. Mit der Konsequenz, daß das politische Ende des Somoza-Clans beziehungsweise der jähe Sturz von Schah Reza Pahlavi gleichzeitig das (zumindest zeitweilige) Ausscheren beider Länder aus der US-amerikanischen Einflußzone bedeutete.

Diesen Fehler wollte man im südkoreanischen Sommer 1987 vermeiden. Während Chun Doo-Hwan eisern an seinem starren Kurs festhielt, ging sein ehemaliger Generalskumpan Roh Tae-Woo zunächst vorsichtig, dann – mit US-amerikanischer Rückendeckung – beherzt auf Distanz zu seinem langjährigen Mentor. Im Sommer 1981 hatte der Vier-Sterne-General Roh seine Armeeposten aufgegeben (als Chef des Defense Security Command war er an der blutigen Niederschlagung des Kwangju-Aufstands im Mai 1980 beteiligt gewesen), um fortan als Zivilist Schlüsselpositionen zu bekleiden und seine Kontakte mit den außermilitärischen Eliten zu verstärken. Stationen seiner Karriere: Innen- und Sportminister, Chef des Olympischen Organisationskomitees, Vorsitzender der regierenden Demokratischen Gerechtigkeitspartei (DJP) und ab dem 8. August 1987 auch deren Präsident sowie DJP-Kandidat bei der für den 16. Dezember 1987 anberaumten Präsidentschaftswahl.

Bereits seit dem Frühjahr 1987 hatte Roh Tae-Woo keine Gelegenheit ausgelassen, Dialogbereitschaft mit Oppositionellen zu signalisieren. Als Chun Doo-Hwan klar wurde, daß sein Kurs keinerlei Erfolgschancen hatte, ja, er sogar befürchten mußte, im Falle (aus Washingtoner Sicht) unbotmäßigen Verhaltens wie Marcos gegen seinen Willen außer Landes geflogen zu werden, trat er die Flucht nach vorn an. Am 10. Juni ernannte er Roh zu seinem designierten Nachfolger und verschwand von der politischen Bühne. Als Letzterer drei Wochen später, am 30. Juni 1987, seine »Acht-Punkte-Erklärung« verkündete (siehe Kasten), mutierte der Exgeneral quasi über Nacht zu einem »Demokratiebringer«. Durch die nahezu wortgetreue Übernahme der zentralen Forderungen der (parlamentarischen) Opposition trug er maßgeblich zu deren Lähmung bei. Rohs Initiativen und Flexibilität gingen so weit, Angehörigen von Tränengasopfern zu kondolieren – eine Geste, zu der sich vor ihm kein ranghoher Politiker und Militär »herabgelassen« hatte.

Selbstverschuldete Schlappe

Im September 1987 wurde Roh von US-Präsident Ronald Reagan im Weißen Haus empfangen und als neuer starker Mann des südkoreanischen Regimes von der »Schutzmacht« USA politisch aufgewertet. Eine gute Voraussetzung also, um dermaßen gestärkt am 16. Dezember 1987 als Kandidat in die Präsidentschaftswahl zu gehen. Im Vorfeld dieser Wahl hatte Kim Dae-Jung eine eigene Partei für Frieden und Demokratie (PDP) gegründet und war somit aus der Phalanx der bis dahin geeinten Opposition ausgeschert, die sich neben Kim Young-Sam als der Garant für ein Ende der Diktatur empfahl. Aus der Möglichkeit, die herrschenden Militärs mit dem Stimmzettel auszubooten, war plötzlich die Kontinuität des Alten zur Gewißheit geworden – eine von der Opposition selbst verschuldete Schmach. Mit 35,9 Prozent der Stimmen gelang es Roh, sich vor seinen Rivalen Kim Young-Sam (27,5 Prozent) und Kim Dae-Jung (26,5 Prozent) zu plazieren.

Die Ende der 1980er Jahre in Westberlin von Auslandskoreanern herausgegebene deutschsprachige Ausgabe der Zeitung Minjuchoguk / Demokratie in Korea schrieb in ihrer Ausgabe vom 1. März 1988 verbittert: »Zwar redet man von Wahlbetrug und Wahlmanipulation und auch davon, daß die Geschichte die beiden Oppositionsführer Kim Young-Sam und Kim Dae-Jung verschmerzen müsse – die beiden Kims, die durch ihr karrieregesteuertes, starrköpfiges Verhalten nicht nur dieses Wahldebakel verschuldet, sondern auch, was noch viel schlimmer ist, das siegessichere Volk demoralisiert und Resignation ausgelöst haben.«

So war es Roh Tae-Woo vergönnt, neun Monate später im gleißenden Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit die 24. Olympischen Sommerspiele in Seoul zu eröffnen und sich und der Welt als strahlender Saubermann zu präsentieren.

Der Autor ist u.a. Lehrbeauftragter am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn und gemeinsam mit Du-Yul Song Koautor des kürzlich im Wiener Promedia Verlag erschienenen Buches: »Korea: Von der Kolonie zum geteilten Land«

Literatur
  • Cho, Young-Rae (2003): A single spark: the biography of Chun Tae-Il, Seoul, Translated by Chun, Soon-Ok
  • Denis, Michael; Dischereit, Esther; Song, Du-Yul; Werning, Rainer (1988): Südkorea: Kein Land für friedliche Spiele, Reinbek bei Hamburg
  • Moltmann, Jürgen (Hg.) (1984): Minjung. Theologie des Volkes Gottes in Südkorea, Unter Mitarbeit von Günter Baum und Jong-Wha Park, Neukirchen-Vlyun
  • Werning, Rainer (Hg.) (1988): Südkorea – Politik und Geschichte im Land der Morgenstille, Köln

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Juni 2012

Die »Acht-Punkte-Erklärung« Roh Tae-Woos **

  • Erstens: Eine Verfassungsänderung für Direktwahlen des nächsten Präsidenten Südkoreas, Präsidentschaftswahlen sollen gemäß der neuen Verfassung stattfinden, um damit einen friedlichen Machtwechsel nach dem Rücktritt von Präsident Chun Doo-Hwan im Februar zu gewährleisten.
  • Zweitens: Eine Veränderung der geltenden Wahlgesetze, um damit »Freiheit zur Kandidatur« und fairen Wettbewerb zu garantieren.
  • Drittens: Die Amnestie und Wiederherstellung der Bürgerrechte für Kim Dae-Jung und die Freilassung aller im Zusammenhang »mit der gegenwärtigen politischen Situation« verhafteten Personen.
  • Viertens: Die Förderung und den maximalen Schutz der Grundrechte. Die Regierung müsse dabei alles tun, um eine Verletzung der Menschenrechte zu verhindern.
  • Fünftens: Eine umfassende Veränderung oder die Abschaffung der geltenden Pressegesetze, um damit vollständige Pressefreiheit zu garantieren.
  • Sechstens: Die Wahl von Gemeinderäten, der später auch freie Wahlen auf städtischer und Provinzebene folgen sollen, und die Autonomie von Hochschulen und Universitäten.
  • Siebtens: Den staatlichen Schutz für politische Parteien, solange sie sich »vernünftig« politisch betätigen.
  • Achtens: Durchgreifende soziale Reformen, um damit Kriminalität und tief verwurzelte Korruption, grundlose Gerüchte, regionale Rivalität und »Schwarz-Weiß-Denken« auszumerzen und eine saubere und ehrliche Gesellschaft möglich zu machen.
** Quelle: dpa – zitiert nach: Frankfurter Rundschau vom 30. Juni 1987; hier nach junge Welt, 26. Juni 2012




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