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Nordkorea als Atomwaffenmacht: Man hätte nicht mit der Peitsche knallen sollen

Im Atomstreit mit Nordkorea hätte die Weltgemeinschaft nicht auf die Peitsche, sondern auf das Zuckerbrot setzen sollen

Eine Analyse der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti *

Die Antwort auf die zahlreichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem nordkoreanischen Atomtest erheben, sollten in den Ereignissen vom Frühjahr 1998 gesucht werden, als Indien und Pakistan ihre Atombomben gezündet hatten.

Der Auslöser der damaligen Ereignisse war das angespannte Verhältnis zwischen diesen beiden Staaten. Mit Korea hatte das nichts zu tun. Die Inder hatten damals behauptet, sie hätten als erste die atomare Ladung gezündet, weil sie gewusst hätten, dass Pakistan einen Atomtest plant. Die Pakistaner behaupteten das Gegenteil.

Das ist aber nicht mehr wichtig. Wichtig ist, dass sich die Uhr nicht mehr zurückdrehen lässt. Indien und Pakistan besitzen bereits Atomwaffen. Bald kommt Nordkorea hinzu. Das passiert aber erst in ein paar Jahren. Denn die Erfahrung des nicht allzu reichen Staates Pakistan hat gezeigt, dass zwischen dem ersten Atomversuch und dem Bau einsatzbereiter Atomsprengköpfe Jahre liegen. Nordkorea ist ärmer als Pakistan, und das erschwert den Vergleich. Der jüngste Raketentest in Nordkorea war zwar kein klarer Erfolg, dennoch ist das nur noch eine Frage der Zeit. Über kurz oder lang steigt Nordkorea zur Atomwaffenmacht auf. Schlimmer noch: Theoretisch können ihm weitere Staaten wie Iran, Japan oder Südkorea folgen. Das geltende Völkerrecht bietet nur wenig Möglichkeiten, um ein Land zu bestrafen, das selbständig eine Atombombe gebaut hat. Das Non-Proliferations-Regime verpflichtet die Atommächte, die den Vertrag unterzeichnet haben, keine Atomtechnologien weiterzugeben. Die übrigen Teilnehmerstaaten des Atomwaffensperrvertrags dürfen solche Technologien nicht in Empfang nehmen.

Aber Indien ist nicht Teilnehmer des Atomwaffensperrvertrages, während Nordkorea daraus ausgestiegen ist. Diese Staaten können ohne Konsequenzen an einer eigenen Bombe bauen. Natürlich kann jeder beliebige Staat einseitig Sanktionen gegen sie verhängen, so unter anderem die Handels- und die diplomatischen Beziehungen abbrechen. Doch die Anwendung von Gewalt gehört nicht in diesen Rahmen und erfordert eine Genehmigung des UN-Sicherheitsrats.

Der Weltsicherheitsrat hatte den nordkoreanischen Atomtest im Voraus erörtert. Denn Pjöngjang hatte ihn im Voraus angekündigt. Am Samstag voriger Woche billigte der UN-Sicherheitsrat einstimmig Sanktionen gegen Nordkorea. Trotz der Forderung der USA sieht die verabschiedete Resolution jedoch keine Anwendung militärischer Gewalt gegen Nordkorea vor.

Das ist wohl logisch. Denn alle möglichen Sanktionen gegen Nordkorea hat Pjöngjang selbst in Kraft gesetzt. Nordkorea hat sich wie kein anderes Land in eine internationale Isolation getrieben. Der Weltgemeinschaft bleibt nichts weiter übrig, als die südkoreanische Lebensmittelhilfe zu stoppen. Seoul, Peking und Moskau könnten zudem eine Verkehrsblockade verhängen. Das hätte jedoch keinen Sinn. Die unschuldige Bevölkerung Nordkoreas in eine humanitäre Katastrophe zu stürzen, wäre nicht human und nicht vernünftig. Sonstige Maßnahmen, wie die von den USA angeregten Patrouillen von Kriegsschiffen an der nordkoreanischen Küste, wären einfach sinnlos.

Seit Jahren hat die internationale Diplomatie versucht, die völkerrechtliche Lücke zu schließen, die nun von Pjöngjang ausgenutzt wurde. Dabei wurden zwei Methoden verwendet: Zuckerbrot und Peitsche, um die Staaten, die sich um den Status einer Atomwaffenmacht bewerben, zum Verzicht auf die Bombe zu veranlassen. v Mit der Peitsche hat man es offenbar zu weit getrieben. Die Erfahrung des Irak hat dem Regime in Nordkorea und nicht nur ihm gezeigt, dass der Besitz einer Atombombe, wenn auch unter den Bedingungen einer internationalen Isolation, mehr Sicherheit bringt als Verhandlungen mit denjenigen, die nur Drohungen aussprechen. Selbst das sechsseitige Format, bei dem alle regionalen Staaten als Garanten der amerikanischen Versprechungen auftreten, half nicht dabei, alle nordkoreanischen Ängste auszuräumen. Man hätte nicht so stark die Peitsche benutzen, sondern mehr auf das Zuckerbrot setzen sollen. So lautet die Lehre nach jahrelangen Bemühungen um die Lösung des koreanischen Atomproblems.

Kein Zweifel, dass der nordkoreanische Atomtest weltweit, sowohl bei den USA, Südkorea und Japan als auch bei Russland und China, Zorn ausgelöst hat. Der sonst gelassene russische Präsident Wladimir Putin sagte in einer Beratung mit dem Kabinett: "Russland verurteilt den Atomversuch. Und es geht nicht nur um Korea, sondern um einen schweren Schaden für das Non-Proliferations-Regime." Chinesische Diplomaten beschimpften das Vorgehen Nordkoreas sogar als schamlos.

Nun kann man harte Gegenmaßnahmen nicht mehr ausschließen, auch nicht einen Militäreinsatz mit dem Ziel, zu zeigen, dass die nordkoreanische Herausforderung nicht ohne Antwort geblieben ist. Viel schwieriger wäre es, von Gegenmaßnahmen abzusehen. Deshalb rief Moskau in seiner ersten Stellungnahmen Nordkorea zu einer unverzüglichen Rückkehr zum Non-Proliferations-Regime und die "verwickelten Staaten" zur Zurückhaltung auf.

Es liegt der Schluss nahe, dass die führenden Weltmächte das analysieren müssen, was sie in den letzten Jahren im Bereich der Nichtweiterverbreitung getan haben. Russland hatte seinerzeit direkt und indirekt vor Druck auf Nordkorea und den Iran gewarnt. Hierbei hatte es auf Staaten wie Südafrika, die Ukraine und Kasachstan verwiesen, die freiwillig auf Kernwaffen verzichtet haben. Darüber, wie Moskau und Washington diese Aufgabe gemeinsam bewältigt haben, werden bereits Memoiren geschrieben. Dabei wurde keine Peitsche, sondern feinere Methoden eingesetzt.

Eine Änderung des außenpolitischen Herangehens braucht jedoch Zeit. Die Korea-Halbinsel kann unterdessen für immer nuklear werden.

* Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 16. Oktober 2006;
http://de.rian.ru


Letzte Meldungen

Russland hofft auf angemessene Reaktion Nordkoreas
MOSKAU, 16. Oktober (RIA Novosti). Das Außenministerium Russlands hofft auf eine adäquate Reaktion der nordkoreanischen Führung auf die gemeinsame Position der internationalen Gemeinschaft zum jüngsten Atomtest.
"Wir rechnen mit einer adäquaten Reaktion (...) auf die Resolution 1718 des UN-Sicherheitsrats und mit praktischen Schritten der Führung in Nordkorea zur Lösung des nuklearen Problems auf der Korea-Halbinsel, zur Festigung des Friedens und der Stabilität in Nordostasien", heißt es in einer am Montag in Moskau verbreiteten Mitteilung des Informationsamtes des russischen Außenministeriums.
Die Resolution 1718, die Sanktionen gegen Pjöngjang vorsieht, wurde am 14. Oktober angenommen. Aber eine offizielle Reaktion der KDVR auf dieses Dokument fehlt bislang. Am 9. Oktober hatte Nordkorea im Nordosten des Landes einen unterirdischen Atomtest durchgeführt.

Anti-Terror-Krieg: Milliardär und Bush-Gegner Soros zieht USA zur Verantwortung
MOSKAU, 16. Oktober (RIA Novosti). Die Radikalisierung der Atompolitik von Pjöngjang sei auf die Drohungen von den USA gegenüber Nordkorea zurückzuführen. Das sagte der amerikanischen Finanzier George Soros am Montag auf einer Pressekonferenz in Tokio mit. Er sei immer Anhänger der Politik gewesen, die eine Annäherung mit Nordkorea anvisiere, sagte der Finanzmagnat. Auch der amerikanische Ex-Außenminister Colin Powell habe diese Politik unterstützt. Präsident Bush sei jedoch von dem Kurs abgerückt, was die gegenwärtigen Spannungen verursache, sagte Soros. Gleichzeitig hält Soros die von dem Weltsicherheitsrat verhängten Sanktionen im Zusammenhang mit dem nordkoreanischen Atomwaffentest für eine notwendige Maßnahme, berichten die französischen Medien.
Man müsse trotzdem offen gegenüber Nordkorea sein und das Land von der Angst eines US-Angriffs befreien, fügte Soros hinzu. Außerdem gelte es, Nordkorea Anreize und Sicherheitsgarantien zu bieten, damit es auf sein Atomprogramm verzichtet.
George Soros, der sich derzeit in Japan auf einer Vortragsreise zu seinem Buch befindet, wandte sich erneut gegen die Politik des "Kriegs gegen den Terror", die nach dem 11. September 2001 für die US-Administration in den Vordergrund gerückt war. "Wegen dieser Politik haben wir weltweit Einfluss und Macht eingebüsst", sagte George Soros.



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