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"Sie haben weder die Kraft noch den Willen"

Kroatiens Gewerkschaften sind schwach und von der Regierung ist nur neoliberale Politik zu erwarten. Ein Gespräch mit Nikola Vuljanic *


Nikola Vuljanic ist Angli­stik­professor an der Universität Zagreb und Europaabgeordneter der Kroatischen Arbeiterpartei Hrvatski Laburisti (HL). Er gehört der Linksfrak­tion im EU-Parlament an.


Im Juli wurde Kroatien das 28. Mitglied der EU. Statt der erhofften finanziellen Stabilität bedeutet das aber erst einmal neue Belastungen von rund einer Milliarde Euro, da Zagreb, zunächst nur einzahlt und so mit einem Anstieg des Haushaltsdefizits von 3,5 auf 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gerechnet wird. Wie steht Ihre Partei dazu?

Die Kroatische Arbeiterpartei war seit ihrer Gründung 2011 immer stark pro-europäisch. Wir wissen aber gut genug, daß es nicht genügend förderungswürdige Projekte gibt, um die EU-Fonds so nutzen zu können, wie es sein sollte. Außerdem ist klar, daß in Kroatien Korruption herrscht und daß wir zu wenig ausgebildete Leute haben, um Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Die Mitgliedschaft in der EU kann und wird unsere wirtschaftlichen Schwierigkeiten und sozialen Spannungen nicht beheben.

An der sogenannten »Mitte-Links«-Regierung unter Führung des Sozialdemokraten Zoran Milanovic in Zagreb beteiligen Sie sich nicht. Warum?

Dafür gibt es drei Gründe: Erstens hat uns niemand gefragt, weil die Regierung eine Mehrheit hat. Zweitens haben wir öffentlich zehn Vorbedingungen dafür gestellt, daß sich die Kroatische Arbeiterpartei an irgendeiner Koalition beteiligt. Sie enthalten das Verbot des Verkaufs von staatlichem Eigentum, mehr Rechte für die Arbeiter, Reorganisation der Verwaltung und einige andere Themen, die die herrschende Regierungskoalition nicht in Betracht zieht. Die Praxis hat gezeigt, daß sie andere Vorstellungen hat. Drittens, und das ist das Wichtigste, diese Koalition ist in keiner Weise Mitte-Links. Alles, was sie getan hat, ist strikt neoliberal, und Milanovic hat seine Sozialdemokratische Partei (SDP) ausdrücklich als »moderne liberale Partei« definiert. Ich glaube ihm auch, seine Politik ist purer Neoliberalismus. Er hilft den Reichen, noch reicher zu werden.

Mit der Mitgliedschaft in der EU unterliegt Kroatien auch der Brüsseler Kürzungspolitik. Wie wollen Sie damit umgehen?

Austeritätspolitik führt zu nichts, nicht einmal in Deutschland. Europa und die europäischen Staaten sollten den Angriff auf den gesunden Menschenverstand und die einfachen Leute stoppen.

Okay – Rationalisierung ist gut, und Sparen ist an sich auch keine schlechte Sache. Aber diese Politik führt dazu, daß die Rechnung immer und ausschließlich von den Lohnabhängigen bezahlt wird und daß das virtuelle Finanzkapital unangetastet bleibt. Die Regierungsparteien sagen, die Stabilität des Bankensektors sei entscheidend. Aber was ist mit der Stabilität der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger? Wir sollten die Austeritätspolitik in unserem nationalen Parlament genauso bekämpfen wie im Europaparlament. Die nächsten Wahlen werden zeigen, ob wir die Menschen von dem überzeugt haben, was wir vertreten.

Wie stark sind die kroatischen Gewerkschaften und besteht die Chance sozialer Bewegungen gegen diese Politik?

Leider sind die Gewerkschaften in Kroatien gespalten und sogar zersplittert. Sie haben weder die Kraft noch den Willen, die Regierung in Gefahr zu bringen und sie zu zwingen, etwas für ihre Mitglieder zu tun. Daher denke ich nicht, daß derzeit in Kroatien irgendwelche größeren sozialen Proteste möglich sind. Die politische Linke besteht nur aus der Kroatischen Arbeiterpartei sonst ist da nichts. Gegenwärtig sind wir die drittstärkste Partei mit bis zu 12 Prozent der Stimmen. Wie es scheint, bieten uns diese Regierung und die Pseudo-Linken in der SDP mehr Raum, uns zu profilieren. Diesen Raum werden wir auch nutzen.

Das sozialistische Jugoslawien ist Vergangenheit. Doch wären eine engere Zusammenarbeit seiner ehemaligen Mitglieder im Kampf gegen die neoliberale Politik nicht sinnvoll?

Jugoslawien ist ein totes Projekt. Es war von Anfang an tot, da es mit Hilfe von Gewalt und Diktatur geschaffen wurde. Dennoch sind wir Nachbarn und massiv voneinander abhängig. Das besagt ganz einfach – ohne große Emotionen –, daß wir wirtschaftlich, kulturell und in anderer Weise zusammenarbeiten sollten. Wir könnten uns ergänzen, uns gegenseitig helfen. Nicht aus Selbstlosigkeit, sondern weil es sinnvoll und vernünftig ist.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. Oktober 2013


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