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60 Jahre Revolution

Kuba erinnert an den Sturm auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli 1953. Präsident Raúl Castro und internationale Delegationen bei Großkundgebung in Santiago

Von Volker Hermsdorf, Havanna *

Kubas Präsident Raúl Castro eröffnet am heutigen Freitag auf dem Revolutionsplatz »Antonio Maceo« in Santiago de Cuba die zentrale Veranstaltung der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne. Am 26. Juli 1953 hatte eine von dem damals 26jährigen Rechtsanwalt Fidel Castro angeführte Gruppe junger Revolutionäre die Militärstützpunkte »Moncada« in Santiago de Cuba und »Carlos Manuel de Céspedes« in Bayamo angegriffen. Mit dem Sturm auf die beiden Kasernen im Osten der Karibikinsel wollten die Rebellen das Signal zum Sturz des Regimes von Diktator Fulgencio Batista geben, der die Interessen der heimischen Oligarchie und US-amerikanischer Konzerne mit Terror, Folter und Gewalt durchsetzte. Obwohl der Versuch militärisch scheiterte, viele der jungen Kämpfer getötet und die meisten Überlebenden verhaftet, mißhandelt und zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, gilt dieser Tag heute als Startsignal für die kubanische Revolution. Seit deren Sieg am 1. Januar 1959 wird der 26. Juli in Kuba als »Tag der Nationalen Rebellion« gefeiert.

Tag der Rebellion

In seiner berühmt gewordenen Verteidigungsrede »Die Geschichte wird mich freisprechen« hatte Fidel Castro am 16. Oktober 1953 während des Prozesses, in dem er als Hauptverantwortlicher des Angriffs zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, das Batista-Regime für die soziale Misere angeklagt. Nicht der Sturm auf die Kasernen sei unbegreiflich, sagte Castro damals, sondern »daß Kinder ohne ärztliche Hilfe sterben, daß dreißig Prozent unserer Landbevölkerung nicht ihren Namen schreiben können und daß die meisten Familien auf dem Lande unter schlechteren Bedingungen leben als die Indianer, die Kolumbus traf, als er das schönste Land entdeckte, das Menschenaugen je gesehen haben«.

Im Kuba der 1950er Jahre waren Ausbildung und Arbeit für die Mehrheit der damals fünfeinhalb Millionen Einwohner unerreichbare Ziele. In den wenigen kleinen Schulen auf dem Land saßen die Schüler barfuß, halbnackt und unterernährt im Unterricht. Mehr als die Hälfte der schulpflichtigen Kinder besuchte überhaupt keine Schule, und rund 90 Prozent der Dorfkinder waren von Parasiten befallen. Jedes Jahr starben Tausende von ihnen an den Folgen der Armut, zu der sie verurteilt waren, weil ihre Eltern kein Land besaßen, auf dem sie etwas für ihre hungernden Kinder hätten anbauen können. Über 50 Prozent der kultivierbaren Flächen befanden sich im Besitz ausländischer Konzerne wie der US-amerikanischen United Fruit Company.

Nach dem zunächst gescheiterten Angriff auf die Kasernen in Santiago und Bayamo breitete sich der revolutionäre Widerstand im ganzen Land aus. Mehr als 600 junge Leute verloren zwischen 1953 und 1959 im Kampf gegen die von den USA gestützte Batista-Diktatur ihr Leben, bis die Revolution am 1. Januar 1959 mit dem Einzug der »Bärtigen« unter der Führung von Fidel und Raúl Castro, Che Guevara und Camilo Cienfuegos in Havanna ihren endgültigen Sieg errang.

»Wir haben bei der Aktion nicht an den Tod, sondern an das Leben gedacht, für das wir kämpften«, erinnert sich heute der Revolutionsveteran Ernesto Gonzáles, der als 22jähriger beim Angriff auf die Moncada-Kaserne dabei war. Bei einem Treffen mit Mitgliedern des Kommunistischen Jugendverbandes UJC in Havanna bat er die »jungen Leute«, sich auch in Zukunft mit aller Kraft für das bessere Leben zu engagieren, das seine Generation erkämpft hat.

Rot-schwarze Fahnen

Zunächst wird aber erst einmal im ganzen Land sichtbar und laut gefeiert. Seit Tagen sind öffentliche Gebäude und Hotels in Havanna und allen anderen Orten der sozialistischen Karibikinsel mit Flaggen und Plakaten geschmückt. Aber auch von unzähligen privaten Balkonen und aus Fenstern hängen die schwarz-roten Fahnen der »Bewegung des 26. Juli« mit der Aufschrift »M-26«. Der größte Teil der Bevölkerung feiert den »Tag der Nationalen Rebellion«. Zu der zentralen Kundgebung in Santiago de Cuba werden neben 10000 Teilnehmern die Repräsentanten zahlreicher Länder, aber auch Freundschaftsdelegationen revolutionärer und sozialer Bewegungen aus aller Welt erwartet. Aus den USA sind unter anderem die »Pastoren für den Frieden« in Santiago dabei.

In der Stadt selbst sind zwar noch nicht alle Schäden beseitigt, die der Hurrikan »Sandy« im vergangenen Herbst angerichtet hat. Aber mittlerweile hat jede Familie wieder ein Dach über dem Kopf, die Wasser- und Stromversorgung konnte weitgehend wiederhergestellt werden, Krankenhäuser, Altersheime, Kindergärten, Schulen und Universitäten sind repariert. Ende vergangener Woche nahmen 3575 Absolventen der medizinischen Hochschule von Santiago ihre Abschlußdiplome entgegen, die sie dem 60. Jahrestag des Sturms auf die Moncada widmeten. 623 dieser jungen Ärzte, Therapeuten und Pfleger sind Ausländer und stammen aus 28 verschiedenen Staaten. Mit kubanischer Hilfe konnten sie eine medizinische Ausbildung abschließen, die ihnen in ihrer Heimat versagt geblieben war.

* Aus: junge Welt, Freitag, 26. Juli 2013


Sonderbehandlung für Kuba

Bundesregierung drängt bei Verhandlungen um politisches Abkommen auf Suspendierungsklausel

Von Harald Neuber **


Entgegen der diplomatischen Praxis soll der Entscheidung des Europäischen Rates über eine Zusammenarbeit der EU mit dem sozialistischen Karibikstaat eine »Lex Kuba« hinzugefügt werden.

Die EU-Kommission verhandelt seit Monaten über ein Abkommen über den politischen Dialog und die Zusammenarbeit mit Kuba. Nach Angaben eines beteiligten EU-Diplomaten wurde ein entsprechendes Vertragswerk seither mehrfach von Fachgremien hinter verschlossenen Türen beraten. Weil die wachsende Zahl bilateraler Abkommen Kubas mit EU-Staaten und die wirtschaftlichen Reformen den Druck auf die EU erhöhen, warb der Amerika-Beauftragte des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), Christian Leffler, bei einer Aussprache in Brüssel eindringlich für eine Einigung. Die Vorlage für ein politisches Abkommen mit Kuba habe »die Debatte der vergangenen Monate aufgegriffen«, hatte er Anfang Juni argumentiert. Dennoch übertrafen die Änderungsanträge die Länge der Vorlage.

Obgleich ein neuer Vertragsentwurf des EAD unlängst auf ein positives Echo stieß, bestanden die deutschen Verhandlungsführer auf Weisung aus Berlin weiter auf der unüblichen Suspendierungsklausel. Die Befürworter ließen sich auch nicht von dem Einwand spanischer Diplomaten und des EAD beeindrucken, dass eine solche Klausel in keinem Abkommen je zuvor enthalten gewesen sei.

Das Beharren Berlins und seiner Verbündeten ist bei näherer Betrachtung der übrigen Verhandlungspositionen erklärbar. Zugleich nämlich drängten die deutschen Diplomaten auf die Kontaktpflege mit »allen Bereichen der kubanischen Gesellschaft« sowie mit »freien und nationalen Organisationen der Zivilgesellschaft«.

Damit setzen die kubakritischen EU-Regierungen weiterhin auf die Förderung von Systemoppositionellen in dem Karibikstaat. Unlängst erst waren nach internen Protokollen polnische Diplomaten mit nicht näher bezeichneten »Vertretern der kubanischen Zivilgesellschaft« zusammengekommen. Sollte Kubas Regierung gegen diese oft von außen finanzierten Strukturen vorgehen, setzt sie die für die wirtschaftlichen Strukturreformen wichtige Zusammenarbeit mit der EU aufs Spiel, so das Kalkül.

Das Paradoxon dieser Kuba-Politik der EU ist, dass ausgerechnet die konservative spanische Regierung sich gegen diesen Kurs ausspricht, weil spanische Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Interessen in dem Inselstaat haben. So verteidigt Madrid auch nicht mehr den sogenannten »Gemeinsamen Standpunkt« der EU zu Kuba, der parallel zu der USA-Blockade auf einen Systemwechsel in Kuba abzielt. Dieser Standpunkt war 1996 von der damaligen spanischen Regierung unter José María Aznar in Zusammenarbeit mit den USA durchgesetzt worden. Bei den jüngsten internen Beratungen der EU-Lateinamerika-Fachgremien sprachen sich nun auch Tschechien, Polen und Litauen explizit für die Beibehaltung des »Gemeinsamen Standpunktes« aus, der inzwischen zum Hauptstreitpunkt in der Kuba-Politik der EU geworden ist. Kuba hat derweil bereits mit 13 EU-Mitgliedsstaaten bilaterale Abkommen geschlossen.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 26. Juli 2013


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