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"Das chinesische Modell ist kein Weg für Kuba"

Ein Kongreß von Wirtschaftswissenschaftlern diskutierte in Havanna über Alternativen zur neoliberalen Globalisierung. Ein Gespräch mit Elmar Altvater *

Elmar Altvater ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft. Er nahm vom 3. bis 7. März am internationalen Kongreß »Globalisierung und Entwicklung« in Havanna teil, den 1.200 Wissenschaftler aus 55 Ländern besuchten. Darunter waren drei Nobelpreisträger.
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das Altvater der Tageszeitung "junge Welt" gab."



junge Welt: Sie haben in Havanna am Kongreß »Globalisierung und Entwicklung« teilgenommen. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Elmar Altvater: Für mich war der atmosphärische Aspekt wichtig. In Europa stünden bei einem solchen Kongreß neoliberale Positionen im Vordergrund, und das in einer relativ autistischen Sprache. Hier in Havanna hingegen fanden die Diskussionen sehr offen und in einer Sprache statt, die auch Nichtökonomen verstehen. Für mich war überraschend, daß schon beim Eröffnungsplenum Themen wie Nachhaltigkeit und Solidarität in der Ökonomie angesprochen wurden. Anders als in Europa waren die Beiträge nicht von Stichworten wie Effizienz, Wachstum und Konkurrenzfähigkeit bestimmt – vielmehr wurde betont, daß Lateinamerika eine solidarische Ökonomie braucht. Solche Begriffe erwartet unsereins eher bei einem Treffen von Nichtregierungsorganisationen, nicht aber bei einem Kongreß von Wirtschaftswissenschaftlern.

Gab es Anregungen für Alternativen zur neoliberalen Variante der Globalisierung?

Es wurde deutlich, daß andere Wege gegangen werden müssen, was auch in der Kritik an der neoliberalen Politik der brasilianischen Regierung unter Luiz Inácio »Lula« da Silva zum Ausdruck kam. Auf der unteren Ebene ist das die solidarische Ökonomie, wozu es mehrere Workshops gab, bei denen sich europäi­sche und lateinamerikanische Genossenschaften austauschten. Neu war für mich, daß regionale Integration nicht als neoliberales Projekt diskutiert wurde, sondern im Zusammenhang mit der lateinamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ALBA (alternativa bolivariana para los pueblos de nuestra américa– Bolivarische Alternative für Amerika) oder mit der Bank des Südens. Das sind Projekte, die auf eigenen Ressourcen beruhen und sich nicht den Bedingungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) oder der Weltbank unterwerfen.

Hätte man von einem wirtschaftswissenschaftlichen Kongreß in Havanna nicht vor allem marxistische Analysen erwarten müssen?

Mein Eindruck ist, daß es unter den Teilnehmern gar nicht so viele Marxisten gab. Natürlich waren linke Ökonomen dabei, aber auch Vertreter der Weltbank, des IWF, der Welthandelsorganisation oder der EU. Ich kann verstehen, daß Kuba versucht, sich im Rahmen eines solchen Kongresses weit zu öffnen und pluralistisch vorzugehen. Das ist deshalb nachzuvollziehen, weil Kuba und andere Länder Lateinamerikas von den Entscheidungen dieser Institutionen betroffen sind. Ein Chinese, der sich als Marxist bezeichnet, ist jetzt außerdem Chefvolkswirt der Weltbank. Viele ihrer Ökonomen erweisen sich mittlerweile als sehr kritisch.

Was konnten europäische Wissenschaftler aus den Diskussionen lernen?

Daß wir uns vom Eurozentrismus befreien müssen, d. h. aus dem Denken, das nur um Europa kreist. Auf unserem Kontinent denken wir gerne, daß vor allem wir es sind, die die wichtigen Theorien entwickeln – Stichworte Adam Smith oder Karl Marx. Was hingegen in Lateinamerka geschieht, erscheint uns nicht so wichtig. Ich beschäftige mich seit den 80er Jahren mit Lateinamerika und habe nicht nur von dessen Ökonomen, sondern auch von den Soziologen viel gelernt.

Auf Kuba hat soeben ein Wechsel in der Staatsführung stattgefunden. So mancher europäische Ökonom rät jetzt dem Land, sich entsprechend dem »chinesischen Modell« der Privatwirtschaft zu öffnen. Macht das Sinn?

Nein, das ist kein Weg. Ein kleines Land wie Kuba kann sich nicht wie China im internationalen Handel durchsetzen. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, auf die eigenen Ressourcen zu setzen – und genau das ist es, was Kuba angesichts der fast 50 Jahre dauernden Wirtschaftsblockade durch die USA schon immer gemacht hat. Hinzu kommt, daß die Kubaner Erfahrungen darin haben, Bündnisse einzugehen: in den 80er Jahren etwa mit der Sowjetunion, heute mit Venezuela und im Rahmen von ALBA mit anderen Ländern Lateinamerikas. Es ist großartig, wie sich Kuba auf diese Weise nicht nur dem ökonomischen, sondern auch dem politischen Druck des Weltmarktes entzieht.

Interview: Kerstin Sack, Havanna

* Aus: junge Welt, 12. März 2008


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