FIDEL CASTRO
Sierra Maestra
Von Johnny Norden *
Die Großoffensive gegen
die kleine Rebellenarmee
in der Sierra
Maestra in den Sommermonaten
1958 erhielt den Code
»Plan F-F« (Fin Fidel – Das
Ende von Fidel). Sie endete mit
einer schmählichen Niederlage
der 3000 Mann starken Regierungstruppen
und markierte
den Anfang vom Ende
der USA gestützten Batista-
Diktatur.
Die Erinnerungen von Fidel
Castro sind aus der Sicht
des Kommandierenden einer
300 Kämpfer zählenden Partisanenarmee
geschrieben. Ihr
historischer Wert besteht darin,
dass hier neben dessen
exklusiven Erfahrungen Originalmaterial
ausgewertet
wurde: nicht nur Castros Befehle
und Notizen aus jenen
Tagen, auch die Dokumente
des Oberkommandos der Regierungstruppen
sowie Tonbandmitschnitte
des »Radio
Rebelde«. Castro verzichtet
auf weitschweifige Reflexionen
aus heutiger Sicht; er beschränkt
sich auf erläuternde
Kommentare zu den Dokumenten
jener Zeit. So ergibt
sich ein detailliertes Bild von
den Kämpfen zwischen Mai
und Juli 1958, getragen von
einer bildhaften Sprache, wie
sie für den Maximo Lider typisch
ist.
Das Buch ist jedoch mehr,
als eine reine Kriegsberichterstattung.
Castro nimmt den
Leser mit auf eine Reise in die
50er Jahre, schildert den
hartnäckigen Kampf der kubanischen
Revolutionäre um
die Befreiung Kubas von Diktatur
und Ausbeutung. Er vermeidet,
diese Kämpfe als Kette
von Siegen und Heldentaten
zu schönen. Er erwähnt
auch bittere Niederlagen und
Fehlentscheidungen und dokumentiert
den hohen Blutzoll,
den die Kubaner für den
Sieg erbrachten. In diesen Erinnerungen
wird erstmalig
von ihm der Anteil von Personen
am strategischen Sieg
in der Sierra Maestra gewürdigt,
die später erbitterte
Feinde der Revolution waren:
Huber Matos, einem der fähigsten
Kommandeure der
Rebellenarmee, und Carlos
Franqui, Gründer und Seele
des »Radio Rebelde«.
Die Attraktivität dieser Erinnerungen
besteht nicht nur
in ihrer historischen Authentizität
und fesselnden Erzählweise.
An mehreren Stellen
geht Castro der Frage nach,
wie es dazu kam, dass eine
kleine Rebellenarmee eine
große Offensivstreitmacht
vernichtend schlagen konnte.
Der Autor zeigt zunächst, wie
intensiv Batistas Generäle die
Offensive vorbereitet hatten, in
strategischer Hinsicht wie
auch bezüglich der Bewaffnung
ihrer Einheiten. Aber
ganz offensichtlich war sich
die Armeeführung nicht darüber
im Klaren, mit welchem
Gegner sie es zu tun hatte. In
den 18 Monaten, die seit der
Landung der »Granma« vergangen
waren hatten sich die
sporadisch operierenden Partisanengruppen
in eine straff
organisierten, kampferprobten
und entschlossen agierenden
kleinen Armee verwandelt.
Ihre zahlenmäßige
Unterlegenheit machten die
Revolutionäre durch genaue
Geländekenntnis und enge
Verbindung mit den Bergbauern
wett. Zudem: Das Dutzend
Kommandeure unter
Castro hatte in Mexiko eine
intensive Ausbildung erfahren,
dank dem spanischen
Bürgerkriegsgeneral Alberto
Bayo. Sie beherrschten die
Taktik des modernen Guerillakrieges.
In der bewaldeten
Gebirgswelt der Sierra Maestra
kontrollierten die Rebellen
ein Gebiet von ca. 40 Quadratkilometern
mit einem eigenen
Verwaltungssystem,
funktionierendem Wirtschaftskreislauf
und Sozialeinrichtungen.
Castro schildert, wie die
Rebellenarmee in zähen
Kämpfen um jeden Hügel und
jedes Dorf den Vormarsch der
Regierungsarmee zum Stehen
brachte. Das größte Problem
war anfangs der permanente
Mangel an Waffen; so bezogen
sich die Befehle Castros auf
den sparsamsten Umgang mit
Patronen und die Notwendigkeit,
Waffen vom Gegner zu
erbeuten. Am 28. Juni 1958
konnte die Rebellenarmee
zum Gegenangriff übergehen
und die Regierungstruppen
aus dem Gebirge verjagen.
Der militärische Sieg wurde
für die politische Offensive
genutzt. Die Übergabe eines
ganzen Bataillons gefangener
Soldaten und Offiziere durch
die Rebellenarmee an das Rote
Kreuz auf einem Dorfplatz
in der Nähe des Hauptquartiers
unter den Augen und vor
den Kameras kubanischer und
ausländischer Journalisten
trug entscheidend zur Destabilisierung
des Batista-Regimes
bei.
Eine Kostbarkeit besonderer
Art stellt die 20-seitige
Einführung des Buches dar.
Erstmalig berichtet Castro zusammenhängend
über seine
Kindheit und Jugend, ȟber
jene Etappen, die mich zu einem
Revolutionär und bewaffneten
Kämpfer machten«.
Fidel Castro: Der strategische Sieg. Erinnerungen an die Revolution. A. d. Span. v. Waltraud Hagen, Florian Ulrich, Olaf Niepolt. Verlag Neues Leben: Berlin 2012, 703 S., geb., 29,90 €; ISBN 978-3-355-01800-5
* Aus: neues deutschland, 14. März 2012 (Beilage zur Leipziger Buchmesse)
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