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USA und Kuba: Kalter Krieg im Schatten des "war on terror"

Von Edgar Göll*


Der Kalte Krieg ist auch nach seinem vermeintlichen Ende teilweise noch immer nicht überwunden. In der Karibik gibt es noch Auseinandersetzungen nach dem alten dichotomen Muster „Freedom & Democracy“ versus „Kommunismus & Diktatur“ – und nicht etwa gegen das modernere westliche Feindbild des „Terrorismus/Fundamentalismus“. Und diese Spannungen zwischen dem „David“ (dem revolutionären Kuba) und dem heutigen „Goliath“ (den imperialen USA) dauern nun schon seit mehr als 46 Jahren an. Kuba hat im Laufe dieses Zeitraums fast alle Formen der Intervention durch den "Koloss im Norden" (José Martí) über sich ergehen lassen müssen: militärische, terroristische, ökonomische, finanzpolitische, geheimdienstliche, politische, diplomatische, mediale, psychologische Aktivitäten. Seit US-Präsident Kennedy 1961 die Wirtschaftsblockade („Embargo“) gegen Kuba verhängt hat, wurden von Seiten aller nachfolgenden Präsidenten mit Ausnahme Carters weitere Verschärfungen durchgesetzt. Mit einem jeweils spezifischen Mix aus Druck, Subversion und Diplomatie soll das Ende der Regierung Castro und des kubanischen Gesellschaftssystems erwirkt werden. Erfolge im Sinne der US-Administrationen konnten damit bisher allerdings nicht erzielt werden, es sei denn die provozierte Verhärtung des kubanischen Regimes, die Verhinderung weiterer Pluralisierung und damit wiederum die Reproduktion des Feindbilds für die USA werden positiv bewertet. Und so lautet auch das Fazit einer Studie über die Kubapolitik der 1990er Jahre: „Bush and Clinton policy operated within the same Cold War conceptual framework that shaped the policies of their predecessors: heightened economic warfare and a refusal to consider normalized ties in the absence of regime change.”[1]

Das destruktive Grundmuster des Verhältnisses zwischen den USA und Kuba ist bereits 1962 in einem Klassiker des US-Historikers Williams als "Tragödie der amerikanischen Diplomatie" bezeichnet worden, weil die intolerante und einseitige Außenpolitik der USA gegenüber dem befreiten Kuba den innerkubanischen Kampf verhärtet und radikalisiert habe. So "war die amerikanische Einstellung zu Kuba durch eine allgemeine Unfähigkeit gekennzeichnet, zwei Aspekte von Revolutionen per se zu begreifen und sich mit ihnen abzufinden. Beispielsweise konnten die Amerikaner nicht die Tatsache einsehen, dass ihre eigenen Gründerväter während der amerikanischen Revolution willkürlich britisches Kolonialeigentum konfisziert hatten. Und sie brachten kaum Verständnis für die wirtschaftlichen und psychologischen Bedürfnisse armer Länder auf".[2] Bei genauer Betrachtung drängt sich die Analogie des Umgangs mit systemkritischen und als herrschaftsgefährdenden Akteuren in der Außenpolitik und der Innenpolitik der USA auf: gegen die Linke in den USA wurde von einigen US-Administrationen ähnlich vehement und mit einem ähnlich breiten Spektrum an Instrumenten vorgegangen wie gegen nicht-konforme andere Staaten.[3] Es erscheint durchaus plausibel, die Aversion oder Obsession der US-Eliten gegenüber Andersdenkenden im In- und Ausland und den dafür zumindest zeitweise zu erheischenden öffentlichen Zuspruch auf die durch Hyperkonkurrenz und Verunsicherung, durch Gewalt und Angst gekennzeichnete US-Gesellschaft zurückzuführen, wie sie so prononciert von Michael Moore oder auch wissenschaftlich von Barry Glassner („Culture of Fear“) dargelegt worden ist.

Gegenüber Kuba hat diese Haltung ihren exemplarischen Ausdruck gefunden und wird trotz aller Widerstände, Misserfolge und Ansehensverluste verbissen weiter betrieben: „Worldwide, American policy was seen as anachronistic and irrational, and beholden to domestic interests that cared little for the responsible conduct of foreign affairs or respect for international law.“[4] So wird die langanhaltende US-Blockade gegen Kuba seit 1992 in der UN-Vollversammlung jährlich fast einstimmig kritisiert und deren Beendigung angemahnt – bislang folgenlos, denn Bush praktiziert eine Art „Multilateralismus á la carte“: wenn es sinnvoll dünkt, wird unilateral und aggressiv gehandelt wie im Falle Afghanistan, Irak, und eben auch mit primär subversiven Maßnahmen gegen Kuba.

Die Folgen der US-Politik für Kuba jedenfalls sind sehr vielgestaltig und tiefgehend. Nach Schätzungen der kubanischen Regierung wurden durch die US-Blockade direkte Kosten in Höhe von 70 Milliarden US-Dollar verursacht. Die Destabilisierungsversuche der USA behindern die eigenständige Weiterentwicklung des Systems. Der Befreiungstheologe Frei Betto meinte, dass die kubanische Revolution "ihre Wege nicht selber wählen (konnte). Die USA haben nie die Souveränität irgendeines Landes der Welt akzeptiert, sondern einem jeden die traurige Option 'Kapitalismus oder Tod' aufgezwungen."[5]

US-Subversion heute

Mit Amtsantritt von Präsident George W. Bush wurden der Druck gegenüber Kuba und die Subversionen und Provokationen weiter verstärkt. Dazu gehören auch militärisch unterstützte Zwischenfälle wie der vom Mai 2003. Demnach überlagerten US-Störsender mit starker Sendeleitung vier kubanische Bildungskanäle mit anticastristischen Programmen. Als Sender agierte ein High-Tech-Flugzeug des Typs "EC-130E Commando Solo" einer Spezialeinheit der US-Luftwaffe (193rd Special Operations Wing; Teil des U.S. Special Operations Command), die bereits bei US-Interventionen in Grenada, Panama, Kuwait und Haiti eine zentrale Rolle spielten. Im Hintergrund hielten sich sechs US-Jagdbomber bereit, um etwaige kubanische Abwehrmaßnahmen zu kontern.[6] Ähnliche US-Sendeangriffe wurden bereits mit unbemannten Ballons und Satelliten durchgeführt.

Bush setzte als Chef der US-Interessenvertretung in Havanna James Cason ein, der am Umsturz gegen Aristide in Haiti beteiligt war. Der hatte bereits vor seinem Amtsantritt im September 2002 angekündigt, seine Hauptaufgabe sei die Bündelung und Stärkung der Opposition in Kuba. Cason verfolgte dies mit Vehemenz, reiste in Kuba circa 10.000 km, traf sich mit etwa 300 Bürgern und Gruppen, verteilte „systemfeindliche“ Materialien, verschenkte Tausende Radios zum Empfang der anticastristischen US-Sender, gab erhebliche infrastrukturelle Unterstützung (PC, Internetzugang, Kopierer, Fotoapparate, Videorekorder) und führte in seiner Residenz Seminare mit Oppositionellen durch. Einige hatten mit speziellen Ausweisen ständigen Zugang zur US-Interessenvertretung in Havanna und erhielten nachweislich Geld. Im US-Bundeshaushalt sind offiziell etwa 50 Mio.$ ausgewiesen, die jährlich für Aktivitäten gegen Kuba verausgabt werden, und zwar über Institutionen wie National Endowment for Democracy (NED) oder ominöse, stramm reaktionäre und im geheimdienstlichen Vorfeld agierende US-NGOs wie „Freedom House“. Diese wiederum verteilen diese – für ein Land wie Kuba hohe – Summen an in- und ausländische Organisationen und NGOs, die damit Kuba im Namen von „Freedom & Democracy“ ´zu unterwandern und destabilisieren versuchen.

Diese US-Aktivitäten inmitten Kubas führten Anfang 2003 zu einer bedrohlichen Eskalation, und trotz mehrerer Einsprüche der kubanischen Regierung fuhr Cason fort, Systemgegner zu unterstützen und Infrastruktur aufzubauen. Zugleich häuften sich just in dieser Zeit versuchte und erfolgreiche bewaffnete Schiffs- und Flugzeugentführungen von Kubanern in die USA. In diesem Zeitraum übrigens begannen die USA trotz immenser internationaler Vorbehalte ihren Krieg gegen Irak.[7] Aufgrund dieser bedrohlichen Lage verhafteten kubanische Sicherheitskräfte im März 2003 insgesamt 75 Kubaner; sie wurden der Kollaboration mit dem Feind angeklagt und zu unterschiedlich langen Haftstrafen verurteilt, weil sie nachweislich für die USA tätig gewesen waren. Hochinteressant ist, dass unmittelbar nach den ersten Inhaftierungen die US-Medien diese Vorgänge in Kuba vehement als „Menschenrechtsverletzungen“ anprangerten, ohne die (Hinter-)Gründe und die Erklärungen der kubanischen Seite zu erwähnen. Damit schufen die USA die Basis für ein äußerst erfolgreiches „Framing“: die Subversionen und Provokationen hatten in diesem Fall zu einer „passenden“ Verteidigungsreaktion Kubas geführt. Und diese wurde als „Menschenrechtsverletzung“ und nicht etwa als legitime Abwehr von Kollaborateuren gezeichnet – ein bedeutender und andauernder Propagandaerfolg! Die mit Unsummen und allen erdenklichen technischen und logistischen Ressourcen ausgestatteten US-Behörden - inkl. Geheimdienste (die Militärmaschinerie der USA verschlingt täglich ca. 1,3 Mrd.$ - soviel wie die 25 nächsten größten militärischen Mächte zusammen!) - hatten es allem Anschein nach nach unzähligen Versuchen nun "endlich" geschafft, eine auf eingängigen und denkbequemen Klischees beruhende "story line" zu kreieren, die auch in Westeuropa in einigen Kreisen - selbst linken - "verstanden" wurde. Auf der Basis mangelnden Sachwissen, antikommunistischer Klischees und starker reaktionärer Interessen und Motivlagen reihten sich einige Kräfte in der EU in die US-Kampflinie gegen Kuba ein.[8]

Die aktuelle konzeptionelle Grundlage: „Plan Bush“

Der sogenannte „Plan Bush“ (oder auch Powell-Report) bestimmt heute die US-Strategie gegen Kuba und war im Mai 2004 von der mit hochrangigen Vertretern aus allen relevanten US-Ministerien und Behörden besetzten und von Bush berufenen „Commission for Assistance to a Free Cuba“ unter Leitung des damaligen US-Außenministers Colin Powell vorgelegt worden. Dies ist ein weltgeschichtlich einmaliger Vorgang: Eine Weltmacht formuliert eine umfassende Konzeption zum Umsturz eines anderen Staates, ohne sich etwa in einem heißen Krieg zu befinden und entgegen des Willens der UN-Vollversammlung. Ziel dieser auf fast 500 Seiten ausgebreiteten generalstabsmäßigen und vielschichtigen Subversionsstrategie ist eine Bündelung und Forcierung der US-Aktivitäten gegen Kuba.[9] Im Einsetzungsbeschluss der Kommission heißt der Auftrag „Kubas Übergang von stalinistischer Herrschaft zu einer freien und offenen Gesellschaft zu planen und Wege zu identifizieren, die Ankunft dieses Tages zu beschleunigen.“

Das Konzept umfasst strategische und taktische Empfehlungen für ökonomische, finanzielle, diplomatische und politische Maßnahmen. Zentrale Elemente sind unter anderem eine Vervielfachung der (offiziell veranschlagten) Finanzmittel und die Schaffung eines „Transition Co-ordinator“ im US-Außenministerium, der kontinuierlich „zivilgesellschaftliche“ Projekte und künftige Unterstützungsmöglichkeiten beim Regimewechsel in Kuba planen soll. „Wir werden nicht auf den Tag der kubanischen Freiheit warten, sondern für den Tag der Freiheit in Kuba arbeiten”, kündigte US-Präsident Bush an. Auch der führende Abgeordnete DeLay sagte vor Exilkubanern in Miami: „Der Krieg gegen den Terror ist ein Krieg gegen das Böse, und deshalb ist er auch ein Krieg gegen Castro“. Und die neue Außenministerin Rice reihte Kuba in die „Vorposten der Tyrannei“ ein.[10]

Die praktische Auswirkungen dieser Zuspitzung sind erheblich und im kubanischen Alltag deutlich und schmerzhaft spürbar. Ökonomisch schlagen die immens eingeschränkten Möglichkeiten von Dollarüberweisungen (remesas) besonders negativ durch. Sie hatten sich zu einer Hauptdevisenquelle für Kuba gemausert und wurden nun massiv eingeschränkt. Nur die engsten Verwandten dürfen noch – sehr begrenzt – überweisen. Zudem wurde eine US-Behörde aufgebaut (OFAC), die weltweit (!) Handel und Transfers mit Kuba überwacht und gegebenenfalls sanktioniert und abstraft: der Schweizer Bankkonzern UBS z.B. musste 100 Mio. $ zahlen, weil er US-Banknoten an Kuba getauscht hatte. Diese US-Aktivitäten waren dann auch der Hauptanlass für Kuba, die seit etwa einem Jahrzehnt erlaubte Benutzung von US-Dollar wieder zu beenden – denn schließlich werden Handelspartner Kubas durch die US-Sanktionen gefährdet. Darüber hinaus wurden die Reisemöglichkeiten von US-BürgerInnen nach Kuba extrem eingeschränkt, die Strafen bei Übertretungen verschärft, US-Reisebüros in ihren Angeboten beschnitten, der WissenschaftlerInnenaustausch erschwert und selbst Publikationsmöglichkeiten gestrichen. Allem Anschein nach fließen zunehmend Dollars an NGOs in aller Welt, die gegen Kuba opponieren, wie diverse hochrangig besetzte Veranstaltungen auch in der EU nahe legen.

Ein machtvoller Antrieb für die Freiheitskämpfer á la Bush sind ihre vermeintlichen „Erfolgserlebnisse“ in Osteuropa, worauf Powell im Vorwort seines Reports hinweist: „Wir haben dafür die Lektionen berücksichtigt, die wir bei der Unterstützung der Völker Ost- und Mitteleuropas und der früheren Sowjetunion bei ihrem Wandel von Kommunismus zu Demokratie und freiem Markt gelernt haben. Und genauso, wie es im Falle des Ostblocks gewesen ist, sehen wir für die multilateralen Finanzinstitutionen eine hervorragende Rolle bei der Transition Kubas.“ Und einige aktuellere Umstürze in Osteuropa – bis hin zur „orangenen Revolution“ in der Ukraine und vermutlich auch in Kirgisistan – sind nicht ohne Impulse und geschickte Unterstützung der USA und von EU-Staaten erfolgt.[11]

Angesichts der hehren Bekundung Bushs, alles gegen den Terrorismus zu unternehmen, mutet ein eklatanter Fall in Bezug auf Kuba geradezu pervers an: Kubas Geheimdienst übergab dem FBI 1998 ein über eintausend Seiten starkes Memorandum, das Terroraktionen dokumentiert, die exilkubanische Gruppen in Miami seit Jahrzehnten gegen Kuba organisierten. Darin wurden für die neunziger Jahre 140 Anschlagspläne und ihre Hintermänner genannt (z.B. waren 1997 in Havannas Touristenzentren Bomben detoniert und ein italienischer Tourist getötet worden). Das FBI sagte Kuba seine Hilfe zu, doch Maßnahmen gegen das Netzwerk in Miami blieben aus. Statt exilkubanische Terroristen zu verhaften, wurden die fünf Kubaner festgenommen, die das Material für das Memorandum gesammelt hatten, und saßen 31 Monate in Untersuchungshaft, bis ihr sieben Monate (!) dauernder Prozess eröffnet wurde. Weil die Fünf aber nur private Zirkel ausgekundschaftet hatten, konstruierte der Staatsanwalt eine ominöse „Verschwörung zur Spionage”. Die Urteile: Doppelt lebenslänglich plus 15 Jahre, lebenslänglich plus 18 Jahre, lebenslänglich plus 10 Jahre, 19 Jahre und 15 Jahre. Aufgrund der Verfahrensfehler, der Schikanen und der politischen Manipulationen intervenierte Amnesty International und eine weltweite Kampagne (inkl. Günter Grass, Elmar Altvater) fordert die Freilassung der Fünf.

Nichtsdestotrotz: im Dezember 2005 erklärte Rice: "The time has come to end 46 years of cruel dictatorship" und sie kündigte an, im Mai 2006 eine überarbeitete Version mit noch effektiveren Aktionsplänen vorzulegen, um den Druck gegen Kuba weiter zu verschärfen. “The report will include more recommendations to push for regime change in Cuba, especially after Fidel Castro’s death. Rice told a House panel that the administration is seeking to enforce policies more effectively to ensure that the Cuban political system is ‘not capable of replicating itself’ after Castro’s death. (…) Meanwhile, eight exile groups in February created a support committee for an armed insurrection in Cuba.”[12]

Die Anpassung der EU an die Bush-Politik

Bis zu Beginn des Jahres 2003 sah es nach einer Annäherung zwischen Kuba und der EU aus: beispielsweise sollten in Havanna ein EU-Büro und ein Goethe-Institut eröffnet werden. Doch kurz zuvor erfolgte eine scharfe Abkühlung und Anlass waren die o.g. Haftstrafen gegen 75 Bürger in Kuba. In mehreren ungewöhnlich scharfen Deklarationen prangerten EU-Gremien „wiederholte Menschenrechtsverletzungen in Kuba“ an und reagierten hart: Einschränkung der bilateralen Kontakte auf hoher Ebene, Reduzierung der Teilnahme an Kulturereignissen, Neubewertung der Haltung der EU zu Kuba ("Gemeinsamer Standpunkt") und Einladung kubanischer „Dissidenten“ zu Nationalfeiertagen der EU-Staaten.[13] Vorangetrieben wurde dieser EU-Schwenk von den Proto-Demokraten Aznar und Berlusconi einerseits, und den US-hörigen Regierungen Polens (die speziell die katholische Kirche unterstützen) und Tschechiens andererseits, die ihre eigene Historie auf Kuba zu übertragen trachten. Ein weiteres Motiv für diesen Politikwandel bestand wohl darin, dass die Missstimmung Bushs gegenüber der Skepsis wichtiger EU-Staaten gegenüber seinem Irak-Krieg besänftigt werden sollte.

Flankiert werden die antikubanischen Aktivitäten durch ominöse NGOs in Westeuropa, allen voran die antikommunistischen und insbesondere Kuba verzerrt darstellenden Organisationen IGfM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) und die französische Sektion der Reporters sans Frontier (deren Ehrenpräsident ist Kumpel reaktionärer Exilkubaner in Miami). Durch Medienkampagnen und geschickt inszenierte Events werden vor allem mittels der 75 Inhaftierten (von denen inzwischen Viele bereits freigelassen worden sind) immer wieder Negativklischees über Kuba reproduziert und durch konservative Kreise in Medien und Politik zumindest ideell unterstützt.Und Ende 2005 schließlich reiste der US "Transition Co-ordinator" Caleb McCarry in Hauptstädte der EU-Staaten “to design and implement a comprehensive strategy for advancing freedom in Cuba." Er wolle die US-Alliierten zur Hilfe für die "opposition to the Castro dictatorship" animieren.[14]

Unter Berücksichtigung dieses Kontextes gehören die Vorkommnisse nicht primär in den Diskurs über (bürgerliche) Menschenrechte, sondern in den des Rechts auf selbstbestimmte Entwicklung (UN-Charta). Und daher sollte sich die EU in Übereinstimmung mit den Resolutionen der UN-Vollversammlungen seit 1992 aktiv für die Beendigung der Blockade und der Subversionspolitik der USA gegen Kuba einsetzen und wirklich gleichberechtigte Beziehungen zu Kuba aufbauen. Es ist an der Zeit, dass jene Kreise, die die Einhaltung der Menschenrechte in Kuba einklagen, erstens die primäre Ursache, nämlich die aggressive, völkerrechtsverachtende Politik der Bush-Administration gegen Kuba eindämmen, und zweitens das Niveau der sozialen und kollektiven Grund- und Menschenrechte in Kuba gebührend zur Kenntnis zu nehmen. Die EU vergibt sich andernfalls die Chance einer engeren Kooperation mit und Anerkennung in Lateinamerika (und darüber hinaus) dadurch, gerade jetzt Schulterschluss mit einem Hasardeur wie Bush zu betreiben.

Perspektiven: Gegentrends und Hoffnungsschimmer

Die historischen Zäsuren 1989 und 1991 waren für Kuba eine enorme Herausforderung. Nicht nur waren damit Partnerregierungen, sondern gewissermaßen über Nacht mit der Auflösung des „Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe“ 1991 auch die Handelspartner ausgefallen. 85% der Außenmärkte fielen weg, Handel konnte nur noch über Devisen abgewickelt werden, die Binnenökonomie Kubas wurde in eine fundamentale Krise gestürzt, die Versorgungslage verschlechterte sich spürbar.[15] Weil der Tauschhandel mit der Sowjetunion für „Zucker gegen Öl“ zum Erliegen kam, begann eine Energiekrise nie gekannten Ausmaßes. Für Viele unerwartet überwand Kuba diese Krise mit einer intelligenten Mischung pragmatischer Maßnahmen und vorsichtiger Reformen, die teilweise im Vorfeld breit diskutiert wurden und von der Bevölkerung einiges abverlangten. Der damit verbundene rapide gesellschaftliche Wandel in Kuba, die Einflüsse durch den zwiespältigen Massentourismus, und die damit einhergehenden sozialen Fragmentierungen und Polarisierungen stellen Regierung und Gesellschaft vor immense Herausforderungen. Gerade wegen des komplizierten Wandels ist die sozialistische Gesellschaft sehr verletzlich und daher sind die von außen erfolgenden Provokationen so gefährlich. ExpertInnen weisen immer wieder darauf hin, dass eine Verbesserung des Pluralismus und der bürgerlichen Freiheitsrechte auf Kuba primär von der aggressiven US-Politik behindert wird. So resümiert Susanne Gratius, tätig bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem außenpolitischen Think Tank der Bundesregierung, in einer wissenschaftlichen Studie: „Das Fazit dieser Arbeit lautet deshalb: Erst der Wegfall der potentiellen Interventions- und Einmischungsgefahr seitens der USA wird eine demokratische Öffnung in Kuba überhaupt erst ermöglichen.“[16]

Doch das imperiale Muster der US-Politik gegen unfolgsame Länder ist gerade in Lateinamerika altbekannt. Und seit der Stabilisierung der Regierung Chavez in Venezuela, der Profilierung seiner „bolivarianischen Revolution“ und den Wahlerfolgen linker Regierungen auf dem Subkontinent positionieren sich die USA deutlich gegen diesen Trend. Denn die Kooperation mit Venezuela und anderen neuen Regierungen – inkl. China – stärkt Kuba spürbar. Auf dieser Basis sprach Castro in einer Grundsatzrede am 17.11.2005 in der Universität Havanna offen über die Zeit nach seiner Führerschaft und wies auf Gefahren des Zerfalls aufgrund interner Defizite hin. Nun entwickelt sich langsam aber sicher eine Diskussion über die Verbesserung des kubanischen Modells und über einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ (Heinz Dieterich). Hier könnte ein epochaler Aufbruch entstehen und nicht von ungefähr hat die Alternative zum Freihandelprojekt der USA (ALCA) den Namen ALBA – „Morgenröte“!

Trotz des derzeitigen Anpassens der neoliberalisierten EU an die Subversionslinie der USA gibt es auch Gegentendenzen, z.B. durch die linke spanische Regierung zugunsten Kubas.[17] Gleichwohl sind die unter dem Neoliberalismus geprägten EU-Linken herausgefordert, die aktuellen Trends in Bezug auf und in Kuba selbst fundiert zu analysieren und solidarisch zu handeln, denn eine Weiterentwicklung Kubas und der Region wäre verbunden mit einer Abwehr der neoimperialen Politik der USA und würde letztlich auch den fortschrittlich-emanzipatorischen Kräften in Europa und einer friedlichen „nachhaltigen Entwicklung“ nutzen.

Anmerkungen
  1. Morley, Morris/ McGillion, Chris (2002): “Unfinished Business. America and Cuba After the Cold War, 1989-2001” (Cambridge University Press; Cambridge), S.5
  2. Williams 1973:15. Ähnlich grundsätzlich monierte der angesehene US-Senator Fulbright 1965 die "Arroganz der Macht" der US-Regierungen. Ähnlich namhafte Expertinnen und Experten wie Noam Chomsky, Barbara Tuchman oder auch jüngst William Blum weisen auf dieses Strukturmerkmal der Supermacht hin.
  3. Eine radikale, gleichwohl differenzierte Position dazu vertrat Bertram Gross mit seinem Buch mit dem provokanten Titel „Friendly Fascism“ und derzeit Richard Rorty („soft fascism“).
  4. Morley, Morris/ McGillion, Chris (2002): “Unfinished Business. America and Cuba After the Cold War, 1989-2001” (Cambridge University Press; Cambridge), S.9; das Postscript des Buches trägt den Titel “Washington’s Last Cold War” (S.185).
  5. In: epd-Entwicklungspolitik, Juni 1993, S.48-51. Damit sollen nun nicht die realen Defizite Kubas pauschal der US-Politik zugeschoben werden, vielmehr muss durch differenzierte Analyse ein Verstehen der komplizierten Lage Kubas jenseits simpler Klischees erarbeitet werden.
  6. Heinz Dieterich: Bush und Brüssels Kampf gegen Kuba, in: junge Welt vom 14.7.2003.
  7. Diese Sicherheitsmaßnahmen können m.E. zum Einen als Warnung nach innen und außen interpretiert werden, dass nun die Toleranzgrenze gegenüber der von den USA gestützten Subversion erreicht war; und zum Anderen können sie gewissermaßen als Hilferuf an andere Staaten und die UN interpretiert werden, die Aggressionen der USA gegen Kuba nicht länger zuzulassen.
  8. Der jüngste „Erfolg“: im Februar 2006 wurde im EU-Parlament eine antikubanische Resolution auch von den PDS-MdEPs Brie, Zimmer und Markov unterstützt (und Kuba offensichtlich für innerparteiliche Taktierereien instrumentalisiert).
  9. [http://state.gov/p/wha/rt/cuba/]. Siehe Göll, Edgar: „Wandel durch Destabilisierung. >Powell-Report< bestimmt US-Strategie gegen Kuba“; in: Lateinamerika Nachrichten (Berlin), Heft 372, Juni 2005, S.55-57. Darüber hinaus gibt es Vermutungen, dass es geheime Zusätze gibt, in denen militärische Maßnahmen gegen Kuba enthalten sind.
  10. Im Windschatten des Irakkrieges und anderer militärischer Aktionen der USA und kooperierender Regierungen/Staaten haben sich in den letzten Jahren Strategien durchgesetzt bzw. wurden ausprobiert, die in gewissen Hinsichten fast noch effektvoller sind als die mit viel Getöse und Aufmerksamkeit exekutierten militärischen Operationen.
  11. Siehe Maria Huber: „The United States and Ukraine – Scenario of a Revolution“, in: The Analyst. Central and Eastern European Political and Economic Review, Vol. 1, No.2, September 2005, pp. 51-74; “Revolutions GmbH” in: Der Spiegel 46 und 47/2005; Schuller, Konrad: “Der Westen und die Revolution im Osten”, in: FAZ, 21.09.2005, S. 8
  12. Siehe „United States, Instability and Cuba“, in: Cuba Trade & Investments News (Tampa/Florida), Vol.VIII, No.3, March 2006, S.7
  13. Declaration by the Presidency, on behalf of the European Union, on Cuba, 5. Juni 2003 [www.eu2003.gr/en/articles/2003/6/5/3005/print.asp]. Ist hier eine Taktik der US-Administration zu vermuten, mit aggressiver Subversion die kubanische Regierung zu Abwehrmaßnahmen zu nötigen, die nach außen hin als Menschenrechtsverletzungen verkauft werden können und Vorwand liefern für noch mehr Druck und Subversion?
  14. Siehe Meldung vom 13 January 2006 auf http://www.cuba-solidarity.org.uk/news.asp?ItemID=658. Dort heißt es auch: „In fact, on the same day that Britain voted publicly against US interference in Cuba at the United Nations, McCarry was invited to meetings and a reception at the Foreign and Commonwealth Office in London.”
  15. Welche andere Gesellschaft hätte eine solche Krise bewältigen können?
  16. „Kuba unter Castro – Das Dilemma der dreifachen Blockade. Die kontraproduktive Politik der ‚Demokratieförderung’ seitens der USA und der EU“ (Opladen 2003), S.328. Die Autorin ist Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik.
  17. Und der frühere britische Handelsminister Wilson meinte 2003: „Kritik [an Kuba] sollte niemals die Tatsache ignorieren, dass Kubas wichtigster Beitrag für die Welt darin besteht, den lebendigen Beweis dafür zu liefern, dass es möglich ist, Armut, Krankheiten und Analphabetismus in einem Land zu besiegen, das mit allen dreien mehr als vertraut war. Das ist ein ziemlich großer Nutzen. Und die Tatsache, dass dies angesichts anhaltender Feindschaft eines zwanghaft besessenen Nachbarn erreicht wurde, macht alles umso erstaunlicher.“
* Dr. Edgar Göll, Sozialwissenschaftler, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zukunftsstudien in Berlin und Mitglied der Freundschaftsgesellschaft Berlin – Kuba e.V.


Dieser Beitrag erschien in: Wissenschaft & Frieden 2/2006

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