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"Ein Großteil der Ernte ist vernichtet"

Bei der Bewältigung der Hurrikanfolgen stößt Kuba an seine Grenzen. Deutsche Welthungerhilfe unterstützt das Land. Gespräch mit Richard Haep

Richard Haep ist Regionaldirektor Kuba der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH) mit Sitz in Havanna



Wie schätzen Sie die Situation in Kuba wenige Wochen nach den Hurrikans »Gustav« und »Ike« ein?

Die Folgen sind gravierend, die Schäden massiv. Das betrifft vor allem die öffentliche Infrastruktur im Bereich der Energieversorgung. Auch die soziale Infrastruktur ist hart getroffen. Zehntausende Gebäude sind einfach eingestürzt oder wurden weggeweht. Viele Häuser, auch Kliniken, Fabriken oder Lagerhallen, haben Schäden davongetragen, vor allem an den Dachkonstruktionen. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Landwirtschaft. Hurrikan »Ike« hat die gesamte Insel von Ost nach West durchquert und bis auf einen kleinen Rand im Süden und Südosten alle Landesteile getroffen. Ein Großteil der Ernte ist vernichtet. Das Landwirtschaftsministerium beziffert die Verluste auf 700000 Tonnen Lebensmitteln.

Seit wann und mit welchen Schwerpunkten und Projekten engagiert sich Ihre Organisation in Kuba?

Die Welthungerhilfe arbeitet bereits seit 15 Jahren in Kuba und hat in dieser Zeit 36 Projekte mit einem Volumen von 22 Millionen Euro durchgeführt. Am Anfang ging es dabei vor allem um Nahrungsmittelhilfe. Wir sind dann dazu übergegangen, Kooperativen und private Kleinbauern bei der Nahrungsmittelproduktion zu unterstützen. Schwerpunkte liegen im Bereich der städtischen Landwirtschaft und im ländlichen Raum bei Kooperativen für Viehwirtschaft. Bei der urbanen Landwirtschaft geht es darum, die Menschen vor allem mit Nahrungsmitteln aus der lokalen Produktion zu versorgen. Des weiteren haben wir Kleinprojekte im Bereich Trinkwasser für Kindergärten in Havanna initiiert.

Was sind jetzt die größten Herausforderungen, und was tut die Welthungerhilfe dabei?

Das Land befindet sich in der sogenannten Recuperación, der Wiederherstellungsphase. Doch Kuba steht einer Nahrungsmittelkrise gegenüber, die sich in ihrer ganzen Größe erst in einigen Monaten zeigen wird. Deshalb muß alles darangesetzt werden, daß in der Landwirtschaft relativ kurzfristig wieder produziert werden kann. Das heißt vor allem Gemüseanbau und Anbau stärkehaltiger Pflanzen. Dabei wollen wir unterstützen sowie Nahrungsmittelhilfe für Schulen und Kindergärten leisten. Die DWHH hat 50000 Euro aus Eigenmitteln bereitgestellt und einen Spendenaufruf gestartet.

Wie steht es um die Zusammenarbeit mit kubanischen Behörden und den anderen Hilfsorganisationen?

Die kubanische Regierung hat um Hilfe gebeten und alle Akteure der Entwicklungszusammenarbeit zusammengerufen. Es wurden Bereiche festgelegt, in denen die Hilfe vordringlich ist. Bereits vorher gab es monatlich Koordinierungssitzungen aller ausländischen Nichtregierungsorganisationen.

Wie schätzen Sie den Katastrophenschutz und die Nachsorge für die Bevölkerung in Kuba ein?

Die Zivilverteidigung hat hervorragend funktioniert. Inzwischen wurde die gesamte Armee zu Aufräumarbeiten mobilisiert. Die Vorratslager wurden geöffnet, um Baumaterial und Lebensmittel verteilen zu können. Das ist in der Tat hervorragend organisiert, aber selbst mit einer hervorragenden Organisation stößt Kuba bei einer Katastrophe dieses Ausmaßes an seine Grenzen.

Erhalten Sie für Ihre Arbeit in Kuba Geld von der Bundesregierung oder von seiten der EU?

Zur Zeit werden keine Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingesetzt. Unsere laufenden Projekte werden aus Eigenmitteln bestritten, kofinanziert durch die niederländische Organisation Hivos sowie von der Schweiz und Japan. Es gibt aktuelle Hilfsangebote sowohl der Bundesregierung als auch der Europäischen Kommission.

Erweitert die Entspannung der Beziehungen zwischen der EU und Kuba Ihre Möglichkeiten, dort Hilfe zu leisten?

Gerade befindet sich eine Delega­tion der Europäischen Kommission in Kuba. Natürlich wird auch über solche Kooperationen gesprochen. Es gibt kein striktes Nein mehr. Fall-zu-Fall-Entscheidungen, ob Kuba solche Hilfe annimmt, scheinen möglich. Bei diesen Treffen sind zwar die Nichtregierungsorganisation nicht dabei, mein Eindruck ist aber, daß es ein konstruktiver Dialog ist.

Interview: Cigdem Kaya

Spenden an die DWHH: Welthungerhilfe, Kto. 1115, Sparkasse Köln Bonn, BLZ 370 501 98, Stichwort: Nothilfe

* Aus: junge Welt, 22. September 2008


Wiederaufbau in Kuba mit solidarischer Hilfe

Russland und Lateinamerika unterstützen Havanna bei der Bewältigung der Hurrikanfolgen

Von Leo Burghardt, Havanna **


Die beiden jüngst über Kuba gezogenen Hurrikane »Gustav« und »Ike« sind laut der Regierung in Havanna die »schlimmsten« Naturkatastrophen in der Geschichte des Landes. Resignation ist dennoch nicht angesagt und die Solidarität ist groß.

Wenn man mit dem Hubschrauber die Insel der Jugend und den Westen Kubas überfliegt, die von »Gustav« und »Ike« am Sichtbarsten in Trümmer gelegt wurden, erinnert das Bild an Vietnam unmittelbar nach dem Krieg: Weit und breit Verwüstung, in der es von Menschen wimmelt, die aufräumen und wieder aufzubauen versuchen.

Das Fernsehen, dessen Informationssendungen nach wie vor von den Hurrikanfolgen beherrscht werden, ist bemüht, Balance zu halten. Die landesweiten Verheerungen einerseits, um die Zuschauer vor eventuellen Illusionen über die Möglichkeit einer schnellen Schadensbeseitigung zu bewahren, andererseits das couragierte Ambiente, das man überschreiben könnte: Wir werden nicht kapitulieren!

Menschen, die Material, das sich für den Wiederaufbau verwenden lässt, aus den Trümmern graben, die massenweise vorgefertigte Dächer aus Zement (die Fabriken dafür wurden zuallererst wieder produktionsfähig gemacht) erhalten, die fegen, harken, hämmern, Löcher bohren, Lkws entladen, beladen sowie auf den Flughäfen die Solidaritätsfrachten aus Russland, Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Honduras und vielen anderen Ländern in Empfang nehmen.

Der russische Vize-Regierungschef Igor Setschin stattete Kuba am Montag sogar einen überraschenden Blitzbesuch ab. Er ist der engste zivile Verbindungsmann zwischen Moskau und Havanna. Ihm und seinen Begleitern aus Regierung und Wirtschaft gehe es in erster Linie darum, dem kubanischen Volk zu helfen, den Hurrikanfolgen die Stirn zu bieten und mit der kubanischen Regierung zu analysieren, wie diese Hilfe konkret aussehen müsse, sagte Setschin. Aus diesem Grund habe er Manager aus den Bereichen Energieerzeugung, Landwirtschaft, der Automobil- und Schiffsproduktion und andere Helfer mitgebracht. Die riesigen IL-Iljuschin-76 aus Russland waren hier mit Solidaritätsgütern unter den ersten Helfern.

Am Tag von Setschins Besuch hatte Washington erneut eine Bitte der Kubaner zurückgewiesen, Restriktionen des seit Jahrzehnten geltenden US-Embargos auszusetzen, um unter anderem Baumaterialien und Lebensmittel in den USA einkaufen zu können.

Die kubanischen Medien veröffentlichten die zweite, weniger schroffe Note der kubanischen Interessenvertretung in Washington (Antwort auf die weniger demütigende Note 2 der USA), in der Havanna noch einmal klarstellt, es könne nicht nachvollziehen, wieso die USA als einziges Land, das den Kubanern Hilfe leistet, eine Kommission zur Schadensermittlung herüberschicken wolle. Die kubanische Regierung unterstreicht, eine echte humanitäre Hilfe wäre, wenn Washington Kuba erlaubte, ungehindert bei US-amerikanischen Firmen das dringend Notwendige zu kaufen und ihm die handelsüblichen Kredite einzuräumen. Wenigstens während der kommenden sechs Monate.

Nun weiß man es auch offiziell: Die zwischen dem 30. August und 9. September aufeinanderfolgenden Hurrikans »Gustav« und »Ike« haben die verhängnisvollste Naturkatastrophen verursacht, denen Kuba je ausgesetzt war, zumindest seit darüber Buch geführt wird, also etwa 500 Jahre. »Die starke, energische und weitblickende Zivilverteidigung« (Zitat Fidel Castro) und die Streitkräfte haben noch Schlimmeres verhindert, so dass die am stärksten betroffenen Landesteile nicht zu Katastrophengebieten erklärt und die obdachlosen Bewohner der Verlassenheit preisgegeben werden mussten. Das geht aus einer von den kubanischen Medien veröffentlichten »offiziellen, nicht vollständigen Information über die Schäden, die die Hurrikans ›Gustav‹ und ›Ike‹ hervorgerufen haben« hervor. Beispiele: Für die Evakuierung von 3,179 Millionen Menschen wurden 10 000 Transportmittel zur Verfügung gestellt. »Beinahe tödliche Schläge« zersetzten »Gustav« und »Ike« in Wohnstätten. So wurden 444 000 von ihnen leicht oder schwer beschädigt, 63 294 dem Erdboden gleichgemacht. Der Kaffee in den fruchtbarsten Anbauregionen ist verloren. Hunderte Schulen, Krankenhäuser und Polikliniken waren ausgeschaltet. Dass sich das alles relativ rasch einigermaßen normalisierte, ist das Verdienst der von Fidel Castro vor ein paar Jahren angeschobenen energetischen Revolution mit den seither neu errichteten Kleinkraftanlagen, die regionale Unabhängigkeit vom nationalen Netz garantieren.

Obgleich im Moment kein Hurrikan in Sicht ist, bleibt die Leitungsebene der Zivilverteidigung mobilisiert. Wachsamkeit ist der beste Schutz.

** Aus: Neues Deutschland, 20. September 2008


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