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"Wir waren ziemlich frech, mißachteten Tabus"

Kubas Nationalpreisträger für Literatur hat Ecken und Kanten. Doch mit seiner Kritik will er dem Land nicht schaden. Ein Gespräch mit Leonardo Padura *


Leonardo Padura (57) ist der meistgelesene zeitgenössische Schriftsteller Kubas. Als Krimi-Autor schuf er die Figur des desillusionierten Ermittlers Mario Conde (»Adiós Hemingway«, »Der Schwanz der Schlange« u.a.) Auf der am Sonntag zu Ende gegangenen 22. Internationalen Buchmesse in Havanna wurde ihm der Nationalpreis für Literatur überreicht.

Als 26jähriger sind Sie mit Reportagen in der Kulturzeitschrift »El caimán barbudo« angeeckt und – quasi zur Bewährung – in die Redaktion der Zeitung »Juventud Rebelde« strafversetzt worden. Am 17. Februar wurde Ihnen der Nationalpreis für Literatur, die höchste kubanische Auszeichnung dieser Art, übergeben. Was hat sich verändert: Padura oder das Land?

Natürlich habe ich mich in den letzten 30 Jahren stark verändert, habe mehr Überblick als früher und bin erfahrener geworden, aber nicht unkritischer oder bequemer. Unser Land hat sich in dieser Zeitspanne dagegen ganz signifikant verändert. Als ich an der Universität von Havanna Literaturwissenschaft studierte, waren die Inhalte und Methoden sehr dogmatisch. Nach meinem Abschluß im Jahr 1980 hatte ich das Glück, als Journalist beim »Caimán barbudo« anzufangen, aus dem meine anderen jungen Kollegen und ich eine spannende Kulturzeitschrift machten. Wir waren ziemlich frech, mißachteten Tabus und wurden dafür in verschiedene andere Redaktionen versetzt. Ich kam zur »Juventud Rebelde«. Im Vergleich zu anderen kubanischen Zeitungen, die vor allem Verlautbarungsjournalismus machten, waren wir relativ kritisch. Die Leser mochten das und standen Schlange, um Sonntags unser Blatt zu kaufen. Aber damals haben sich alle möglichen Gremien und Institutionen in die Arbeit der Redaktion eingemischt. Das hat die Arbeit schwierig gemacht – und einen wirklich kritischen Journalismus verhindert.

Trotz Ihrer kritischen Positionen, die vielen einflußreichen Personen in der Partei und der Regierung suspekt waren, haben Sie Karriere gemacht. Wie war das möglich?

Im Jahr 1989 bin ich tatsächlich Chefredakteur von »La Gaceta de Cuba« geworden, die vom Schriftstellerverband UNEAC herausgegeben wird. Zu diesem Zeitpunkt war sie ein Leichnam. In den folgenden Jahren gelang es uns, sie zur wichtigsten Kulturzeitschrift Kubas zu machen. Dazu haben uns vor allem zwei Dinge verholfen. Zum einen der damalige Präsident der UNEAC, der Schriftsteller und spätere Kulturminister Abel Prieto, der einen völlig neuen, undogmatischen Stil einbrachte und konstruktive Kritik förderte. Der andere für die Kultur positive Umstand war – so makaber das klingen mag – die Sonderperiode.

Das klingt tatsächlich etwas absurd. Warum war die bisher schwerste ökonomische und soziale Krise Ihres Landes förderlich für die kulturelle Entwicklung?

Weil damit ein Wandel im Denken der kubanischen Gesellschaft einsetzte. Die Sonderperiode war ja durch die Auflösung der Sowjetunion und der sozialistischen Länder Osteuropas ausgelöst worden. Viele Menschen, vor allem aber wir Künstler und Schriftsteller begannen zu analysieren, was dort passiert war. Obwohl es einige exzellente Ausnahmen gab, war unsere Kulturszene vor dieser Zeit ziemlich blockiert. Plötzlich kam Bewegung hinein, was einige Offizielle irritiert hat. Aber als es richtig Ärger gab, setzte sich erneut Abel Prieto, da schon Kulturminister, für die kritischen Künstler ein und trug ganz wesentlich zu einer positiven Klimaveränderung bei.

Sie gehen mit einigen Dingen, die Sie als Mißstände empfinden, ziemlich hart ins Gericht und werden von der ausländischen Presse gelegentlich sogar als »Dissident« bezeichnet. Was sagen Sie dazu?

Ich kann und will nicht verhindern, daß ausländische Medien mir irgendwelche Titel anhängen. In der Tat nehme ich kein Blatt vor den Mund und nenne Mißstände offen beim Namen. Aber mit meiner Kritik will ich meinem Land nicht schaden, sondern in bescheidenem Maße dazu beitragen, daß wir uns nach vorn entwickeln. Wenn wir Dinge, die schlecht laufen, unter den Teppich kehren, können wir uns nicht entwickeln. Ich war als Student im Einsatz auf den Tabakfeldern, habe Zuckerrohr geschlagen und war als Kriegskorrespondent in Angola. Ich denke, das gibt mir ein Recht, Mißstände in unserer Gesellschaft offen beim Namen zu nennen, ohne zum Gegner meines Landes zu werden. Der schärfste Kritiker vieler Mißstände ist übrigens unser Präsident Raúl Castro selbst, der die kubanischen Journalisten wiederholt aufgefordert hat, weniger angepaßt zu sein.

In Ihren Büchern und Vorträgen heben Sie immer die Verbundenheit zu Ihrem Stadtteil, dem Arbeiterviertel Mantilla, hervor. In Havanna ist dieses »Barrio« bei manchen Menschen eher als »ärmlich« verpönt. Sie könnten sich auch ein Haus in einer »besseren Gegend« leisten. Was hält Sie hier?

Schon mein Ur-Ur-Großvater hat hier in Mantilla gelebt. Bis heute ist meine Familie hier verwurzelt. Dies ist ein altes Handwerker- und Arbeiterviertel, fast wie ein Dorf und trotzdem vom Zentrum Havannas nur eine gute halbe Stunde Busfahrt entfernt. Für meine Nachbarn bin ich nicht der bekannte Schriftsteller, sondern Padura, der hier aufgewachsen und zur Schule gegangen ist und fast jeden kennt. Wenn ich zu Fuß oder mit meinem chinesischen Fahrrad in meinem Barrio unterwegs bin, kann ich auf der Straße mit den Leuten über meine zweite große Leidenschaft neben dem Schreiben, das Baseball, debattieren. Und hier unterstützen fast alle meine Mannschaft, den Arbeiterclub »Industriales«. Der Erfolg meiner Bücher erlaubt es meiner Frau Lucia und mir in der Welt herumzureisen. Das ist interessant und wir genießen es. Aber hier sind unsere Wurzeln, deshalb bleiben wir hier.

Interview: Volker Hermsdorf, Havanna

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Februar 2013


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