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Kommentar: Gegen linke Kolonisatoren

Ein Appell für die Versachlichung einer notwendigen Diskussion über Kuba

Im Folgenden dokumentieren wir einen Kommentar zur Auseinandersetzung über die Menschenrechtssituation in Kuba. Er wurde in der kritischen Wochenzeitung "Freitag" veröffentlicht.
Siehe auch die Rede von Fidel Castro vom 26. Juli 2003, worin er sich mit der Schelte der Europäischen Union auseinandersetzt.



Von Harald Neuber*

Kuba polarisiert. Für sich genommen ist das ein Umstand, der einer (selbst-) kritischen Linken nicht zum Nachteil gereichen sollte. Zunehmend aber wird die Auseinandersetzung über den sozialistischen Inselstaat von Befindlichkeiten bestimmt, die einer sachlichen Kontroverse - wie sie für alle Beteiligten nötig wäre - kaum mehr Raum lassen. Nicht Fakten werden einander gegenübergestellt, sondern Beobachtungen, Zitate, Behauptungen.

I.

Begonnen hat die aktuelle Kuba-Debatte mit der Festnahme von 75 so genannten unabhängigen Journalisten auf Kuba Ende März. Spätestens aber nach dem 11. April ist der Streit eskaliert. An jenem Freitag waren drei Entführer einer Personenfähre neun Tage nach dem Verfahren vor der dritten Strafkammer von Havanna hingerichtet worden. Nach einem jahrelangen Moratorium der Todesstrafe durch die kubanische Staatsanwaltschaft folgte den Exekutionen eine Welle wütender Empörung. In den bürgerlichen Medien war die Entrüstung bald so groß, dass sich niemand mehr an die originäre Kritik glaubte erinnern zu müssen. So rückte die Nachrichtenagentur AP die "Sammelverfahren" ins Zentrum ihrer Kritik, während die französische AFP von "Schauprozessen" schrieb, amnesty international (ai) beklagte "Schnellverfahren". Die Mühe zu einer sachnahen Auseinandersetzung schien im Fall der "kommunistisch regierten Insel" (AFP) offenbar nicht erforderlich. Ein Indiz, dass politische Vorverurteilungen auch 14 Jahre nach dem Fall der Mauer eine weitgehend ungebrochene Wirkung entfalten.

II.

Es mutet erstaunlich an, dass eine sich links verstehende Kritik in dieselbe Kerbe schlägt. In einer Veranstaltung des Vereins Freunde des Ibero-Amerikanischen Instituts Anfang Juli in Berlin fühlte sich der einladende Journalist an die "schlimmsten Zeiten des Stalinismus" erinnert und präsentierte Kuba in der bekannten Rhetorik des Kalten Krieges als "das letzte kommunistische Bollwerk". Seinem Selbstverständnis nach, so hatte er dem Autor noch wenige Tage zuvor in einer Fernsehdiskussion zu verstehen gegeben, sei er ein Linker. Woher aber kommt dann die feindliche Grundhaltung? Es mag daran liegen, dass der Journalist und Filmwissenschaftler 1998 bei der Einreise nach Kuba festgenommen wurde, da er gegen ein zweijähriges Einreiseverbot wegen nachgewiesener Kontakte zu Regierungsgegnern verstieß. Es zeugt jedoch von der arroganten Grundhaltung eines Europäers gegenüber dem kubanischen Staat, sich über eine solche juristische Entscheidung hinwegzusetzen, um die provozierte Festnahme später politisch auszuschlachten.

Das gleiche Phänomen war im Freitag vom 8. August zu beobachten. Klaus Laabs, den man als Teilnehmer der Gründungsinitiative der Unabhängigen Sozialistischen Partei in der DDR nicht per se der politischen Rechten zuordnen möchte, urteilt über Kuba. Der Hamburger Verleger Axel Cäsar Springer hätte es seinerzeit kaum anders formuliert. "Leidgeprüfte Antlitze" hat Laabs auf Kuba erblickt und "rangermäßig aufgemotzte Polizisten". Dazu gesellt er - mit einem für einen Literaturübersetzer eigenen linguistischen Feingefühl - den "Größten Führer" und seine "Schoßhunde". Eine ernstzunehmende Kritik lässt sich darin weniger lesen. Aus diesen Zeilen sprechen Enttäuschung und Wut. Im Fall von Laabs ist es Enttäuschung darüber, dass ihn eine vermutete "Mafia" das Manuskript des kubanischen Autors Lezama Lima nicht einsehen ließ.

III.

Politische und historische Aussagen bleiben in seinem Aufsatz "Der Morgen ist die letzte Flucht" eher rar. Eines der wenigen Beispiel ist Laabs´ Feststellung der Massenemigration nach dem beinahe Zusammenbruch der Nationalökonomie Anfang der neunziger Jahre. Die Schwere der damaligen Krise steht außer Frage. Wer aber kommt auf die Idee, sie Kuba anzulasten? War es doch gerade das rechte Lager des kubanischen Exils, das in Anbetracht des Mangels auf "ihrer Insel" frohlockte, statt Nothilfe für die Bevölkerung zu organisieren. Angesichts der "ausbleibenden Alimentierung durch die sozialistischen Bruderländer" (Laabs) tanzte man in Miami zu Willy Chirinos Salsa-Hit "Ya viene llegando (nuestro dia)" - "Unser Tag steht kurz bevor". Als sich abzeichnete, dass die Restauration des Puff-Kapitalismus aus vorrevolutionären Zeiten länger als einen Tag dauern würde, verschärfte die exilkubanische Lobby im US-Senat die Blockadegesetze - vormals mit Kubas politischer Nähe zur Sowjetunion begründet - gleich zweimal binnen weniger Jahre. Es ist eine Illusion zu glauben, dass es dabei anders als im Fall der Irak-Blockade erwogen worden wäre, Tote zu vermeiden. Es ist allein ein Verdienst der kubanischen Regierung, die willentlich herbeigeführte Krise ohne den Verlust von Menschenleben bewältigt zu haben. Wer seiner politischen Analyse humanistische Werte zugrunde legt, kann darüber nicht hinwegsehen.

Mit der umfassenden Blockade ging und geht es Washington einzig um das Aushungern der Bevölkerung mit dem Ziel, sozialen Aufruhr zu schüren und das sozialistische System zu zerschlagen. Damit ist die Eskalation unter Junior-Bush zu erklären. Sein Vorgänger Clinton hatte mit Havanna 1996 ein Migrationsabkommen unterzeichnet, nach dem jährlich 20.000 Menschen von der Karibikinsel in die USA hätten einreisen können. Noch in den ersten beiden Quartalen 1999 wurden 11.600 Ausreisegenehmigungen erteilt. Von Oktober 2002 bis April 2003 waren es gerade noch 505. Kuba, das ist von Washington aus betrachtet ein Schnellkochtopf mit verschweißtem Ventil. Und die Flamme wird immer wieder höher gedreht. Die "unabhängigen Journalisten", die Laabs zufolge "für die Ehre ihres Landes ins Gefängnis gegangen" sind, fungieren dabei als zentrale Rädchen dieses imperialen Systems: Ihre Berichte über "das wahre Leben", den "Mangel" und die "sozialistische Misswirtschaft" transportieren das beabsichtige Kuba-Bild ins Ausland. Sie helfen dabei, wie der Berliner Soziologe Edgar Göll im Freitag vom 1. August anmerkte, dass "Kuba sturmreif geschrieben" wird. Denn sie helfen den kubafeindlichen Kräften, weitere Sanktionen gegen Havanna zu rechtfertigen.

Beachtlich ist im Freitag-Foto des inhaftierten "unabhängigen Journalisten" Raúl Rivero an seiner Schreibmaschine. Wieso kursiert kein Foto, dass ihn an dem Faxgerät zeigt, das ihm der US-Chefdiplomat, Militärexperte und Castro-Gegner Cason geschenkt hatte, damit er seine Schreibmaschinenseiten in die Redaktionen nach Miami schicken konnte? Jeder Krieg seit der Antike hat mit der Dämonisierung des Gegners begonnen. Eine Vorhut jenseits der Front ist dabei von unschätzbarem Wert.

IV.

Natürlich werden Menschenrechte auf Kuba anders wahrgenommen (und realisiert) als in Europa. Und darüber sollte durchaus eine Debatte geführt werden. Aber auf gleicher Augenhöhe. Auch wenn es redundant scheint: Das kubanische Sozialsystem ist eine Errungenschaft der Revolution, die in der gesamten Region ihresgleichen sucht. In Zeiten, da im hochentwickelten Deutschland Jungpolitiker lebenserhaltende Operationen für alte Menschen streichen wollen, muss sich über Gesundheitsversorgung auf Kuba niemand Sorgen machen. Solange jedenfalls, wie die US-Blockade diese vorbildliche Versorgung nicht paralysiert.

Auch auf Kuba wird mit der Realität kritisch umgegangen. Mangel, Bürokratisierung und Wohnraummangel werden an jeder Bushaltestelle thematisiert. Weil diese Kritik konstruktiv ist, wird sie ge- und beachtet. Laabs Pamphlet im Freitag enthält eine andere Kritik. Sie meint, es besser zu wissen, sie beleidigt und diffamiert. Fidel Castro wusste um diesen Unterschied, als er in den sechziger Jahren seine Worte an die Intellektuellen formulierte: "Innerhalb der Revolution alles, außerhalb nichts!" Dieser Leitsatz wurde im Westen seither vehement verdammt. Denn er entlarvt. Die heute von "Reporter ohne Grenzen", "Intellektuellen" oder "unabhängigen Journalisten" artikulierte Kuba-Kritik basiert vor allem auf einem: der Delegitimierung der Souveränität des sozialistischen Kubas. Anders gesagt: Auf dem Verhältnis von Kolonisierten und Kolonisatoren. Oder denen, die sich diesen Herren andienen. Und wenn die "unabhängigen Journalisten" und "Dissidenten" Kubas heute nach Solidarität rufen, dann schallt "Solidarnosc" zurück.

* Harald Neuber ist Lateinamerikanist und außenpolitischer Korrespondent, er arbeitete zuletzt in Havanna und Berlin.

Aus: Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung 35, 22. August 2003


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