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Raúl Castros letztes Gefecht

Kubas Präsident will den Sozialismus "perfektionieren"

Von Harald Neuber *

Die Ära Fidel Castros ist zu Ende. Mit der Wahl des neuen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) zum Abschluss des 6. Parteikongresses hat der Revolutionsführer auch offiziell seinen Posten als Parteivorsitzender aufgegeben. Faktisch hatte Raúl Castro, der als Nachfolger bestätigt wurde, die Aufgabe bereits seit Sommer 2006 ausgeübt. Damals hatte sich Fidel krankheitsbedingt zurückgezogen.

Am Ende tauchte Fidel doch noch auf. Von einem Leibwächter gestützt, trat der 84-Jährige in den Plenarsaal des Palacio de las Convenciones. Unter Applaus und »Viva-Fidel«-Rufen nahm er, in kariertem Hemd und dunklem Sportanzug, neben seinem Bruder Platz. Am Vortag noch hatte er von zu Hause aus seine Stimme für die Wahl des neuen Zentralkomitees mit 115 Mitgliedern abgegeben. Auch auf der Militärparade zum 50. Jahrestag des Sieges gegen die Invasoren in der Schweinebucht am Samstag (16. April) hatte er gefehlt.

Am Montag hatte Fidel Castro bereits seinen endgültigen Rückzug aus der Parteipolitik bekannt gegeben. »Raúl wusste, dass ich inzwischen keinen Posten mehr in der Partei akzeptieren würde«, hieß es in einem Aufsatz, der in kubanischen Medien veröffentlicht wurde. Er werde ein einfacher »Soldat der Ideen« bleiben, hatte er schon früher erklärt. »Fidel ist Fidel«, entgegnete Raúl Castro in seiner Abschlussrede zum Parteitag: »Er braucht keinen Posten, um für immer einen herausragenden Platz in Geschichte, Gegenwart und Zukunft der kubanischen Nation zu haben.«

Der verbindliche Rückzug Fidel Castros aus der aktiven Partei- und Regierungspolitik soll zugleich einen personellen Wandel in der politischen Führung einleiten. Die Verjüngung der Leitungsgremien sei eine vorrangige Aufgabe der kommenden Jahre, hatte Raúl Castro zu Beginn des viertägigen Kongresses gemahnt. Dass eben dieser Nachwuchs fehlt, zeigt das neue Politbüro: Der Altersdurchschnitt in dem von 24 auf 15 Mitglieder geschrumpften Gremium beträgt 67 Jahre, nur drei Mitglieder sind neu. Der Rückschlag nach der Abberufung zweier Hoffnungsträger vor zwei Jahren – des damaligen Außenministers Felipe Pérez Roque und des Ministerratssekretärs Carlos Lage – ist offenbar noch nicht überwunden.

Im Zentrum des Kongresses stand indes ein Paket von 313 wirtschaftspolitischen Reformmaßnahmen. Zu den noch nicht vollständig bekannten »Lineamientos« (etwa: Leitlinien) zählt unter anderem die Förderung von Kleinunternehmen, selbstständiger Arbeit und Kooperativen. Staatliche Beschäftigte – die rund 90 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung ausmachen – sollen in zunehmendem Maße in neu strukturierte Wirtschaftsbereiche wie der Baubranche, der Erdölindustrie und der Landwirtschaft Arbeit finden. Die Umstrukturierung ist bislang schleppend angelaufen, so dass die Frist für die Entlassung von 500 000 Staatsangestellten verlängert wurde.

Oppositionelle Gruppierungen in Kuba bemängeln die Reformen erwartungsgemäß als unzureichend. So bezeichnete Regierungsgegner Manuel Cuesta von einer Gruppierung namens »Arco Progresista« die Begrenzung von Amtszeiten nach Angaben der spanischen Nachrichtenagentur EFE als »Ironie«, weil viele der Verantwortlichen schon 50 Jahre an der Macht seien. In Kuba spielte diese Kritik jedoch keine Rolle, zumal viele klassische Kritikpunkte der Opposition in den Debatten des PCC-Kongresses aufgegriffen wurden.

Um die sozialen Probleme zu überwinden, soll die anerkanntermaßen defizitäre Nationalökonomie für die Wiedereingliederung Kubas in die internationalen Märkte fit gemacht werden. Die Führung in Havanna setzt dabei vor allem auf die lateinamerikanische Integration und die Zusammenarbeit mit Schwellenländern wie Brasilien, China, Iran oder Indien. Eine klare Absage erteilte Raúl Castro indes Interpretationen, nach denen die Reformen – in Kuba ist von der »Aktualisierung des Wirtschaftsmodells« die Rede – eine Restauration vorrevolutionärer Verhältnisse einleiten. »Ich nehme meine letzte Aufgabe an«, sagte er zum Ende des Kongresses. Dies geschehe in der »aufrichtigen Überzeugung und der Ehrenverpflichtung, dass es meine vorrangige Schuldigkeit sein wird, die Perfektionierung des Sozialismus zu verteidigen, zu erhalten und weiter zu verfolgen.« In einer Resolution des Parteitages war zuvor das Primat des »sozialistischen Volkseigentums über die Hauptproduktionsmittel« wiederholt bekräftigt worden.

* Aus: Neues Deutschland, 21. April 2011


Junge Welle und alte Kader

Mehr Frauen, Schwarze und Mestizen im ZK der KP Kubas

Von Deisy Francis Mexidor, Havanna **


Als der frühere kubanische Präsident Fidel Castro am Dienstag (19. April) den großen Sitzungssaal im Palacio de Convenciones von Havanna betrat, war dies für die Delegierten des VI. Parteitages der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) der emotionale Höhepunkt der Abschlußsitzung. Zuvor hatte Fidel in einer seiner »Reflexionen« begründet, warum er nicht mehr für das auf dem Kongreß neugewählte Zentralkomitee kandidiert hatte. Er sei nur ein »Soldat der Ideen« und hege keinerlei Machtansprüche. Und weiter: »Als die Organisationskommission die Gesamtzahl der zu wählenden Mitglieder des ZK diskutierte, die sie dem Parteitag vorschlagen sollte, tauchte ein Problem auf. Vernünftigerweise unterstützte die Kommission den Gedanken Raúls, daß im ZK die Vertretung der Frauen und der Nachkommen der aus Afrika stammenden Sklaven erhöht werden müsse. Sie gehörten zu den ärmsten und vom Kapitalismus in unserem Land am meisten ausgebeuteten Schichten. Zugleich gab es einige Genossen, die aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes der Partei nicht mehr viele Dienste leisten können. Raúl dachte jedoch, daß es für diese sehr hart wäre, sie von der Kandidatenliste zu streichen. Ich habe nicht gezögert, ihm zu empfehlen, diese so verdienstvollen Genossen nicht von der Liste zu streichen. Und ich fügte hinzu, daß das wichtigste sei, daß ich nicht auf dieser Liste erscheinen würde.«

Das bei der Sitzung am Montag (18. April) neugewählte Zentralkomitee besteht aus 115 Mitgliedern, aus deren Mitte auch das 24köpfige Sekretariat und das aus 15 Vertretern bestehende Politbüro gewählt wurde. 41 Prozent der neuen ZK-Mitglieder sind Frauen, eine Verdreifachung gegenüber bisher. Rund ein Drittel der ZK-Mitglieder sind Schwarze und Mestizen, ebenfalls ein deutlicher Anstieg. Neben den Vertretern der alten »historischen Generation der Revolution« wurden zahlreiche neue Mitglieder in das oberste Partei­gremium gewählt – »eine Welle junger Funktionäre«, wie es eine Delegierte formulierte.

Zum Ersten Sekretär wählte das ZK auf seiner konstituierenden Sitzung am Dienstag Staatspräsident Raúl Castro, der in seiner Rede zum Abschluß des Parteitages noch einmal die Einheit von Regierung und Volk als wichtigste Waffe der Revolution hervorhob. Der Hauptfeind seien die eigenen Schwächen, so Castro. Mit Blick auf seine Wahl zum neuen Parteichef versprach er, diese Aufgabe zu übernehmen, »um den Sozialismus zu verteidigen, zu bewahren und weiter zu perfektionieren, und um niemals zu erlauben, daß das kapitalistische Regime nach Kuba zurückkehren kann«. Sein Stellvertreter ist José Ramón Machado Ventura, der auch Erster Vizepräsident Kubas ist.

Ausländische Delegationen hatten an diesem Parteitag im Unterschied zu früheren nicht teilgenommen. Begründet wurde diese Entscheidung von der Parteiführung ebenfalls mit dem Ziel, Finanzmittel zu sparen, die sonst für die Unterbringungen und Betreuung der internationalen Vertreter aufgewendet werden müßten. Statt dessen wurde auf der Abschlußsitzung ein Brief des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez verlesen, der darin seine Überzeugung unterstrich, daß die Diskussionen, Beschlüsse und Vorschläge dieses Parteitages zur weiteren Stärkung der kubanischen Revolution beitragen würden.

Für den 28. Januar 2012 wurde die bereits angekündigte Nationale Parteikonferenz einberufen, die die Arbeit der Organisation seit dem Parteitag und die Umsetzung der beschlossenen Wirtschaftsreformen bewerten und weitere notwendige Veränderungen beschließen soll. Auf dieser Konferenz sollen auch die Amtszeitbegrenzungen für Funktionen auf den verschiedenen Ebenen beschlossen werden.

** Aus: junge Welt, 21. April 2011


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