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Gratwanderung in Kubas Reisepolitik

Vereinfachung der Vorschriften war lange angekündigt / In Havanna fragt man: "Wann folgen die USA?"

Von Harald Neuber *

Großes Aufsehen – vor allem im Ausland – hat die Meldung erregt, dass Kuba ab Mitte Januar 2013 die Ausreisebestimmungen für seine Bürger lockert.

Rund 100 US-Dollar kostet die Ausreise aus Kuba künftig. So viel wird die Gebühr für die Ausstellung eines Passes betragen, wenn die neuen Reiseregelungen in dem Karibikstaat Mitte Januar kommenden Jahres in Kraft treten. Das geht aus der 31 Seiten umfassenden »Gaceta Oficial«, dem kubanischen Amtsblatt, von Dienstag hervor. Die neuen Leitlinien für die Aus- und Einreise waren seit Monaten angekündigt worden – und trafen in internationalen Medien dennoch auf überraschende Resonanz. Die landläufige Interpretation, dass der kubanische Staat seinen Bürgern mit den Gesetzänderungen erstmals Reisefreiheit gewährt, ist jedoch falsch.

Nach den neuen Bestimmungen wird ab 14. Januar 2013 keine Ausreiseerlaubnis, die sogenannte Tarjeta blanca (Weiße Karte), mehr notwendig sein. Auch müssen Kubanerinnen und Kubaner den Behörden des Landes kein Einladungsschreiben aus dem Zielland mehr vorlegen. Wohl aber verlangen das die Botschaften der USA und der EU vor Ausstellung eines Visums.

Es gehe mit den Reiseerleichterungen auch darum, die bisherigen Regelungen an »die bestehende Situation und die Entwicklung in naher Zukunft anzupassen«, heißt es in einer offiziellen Mitteilung, die unter anderem in der Tageszeitung »Granma « veröffentlicht wurde.

Die Vereinfachung der Reisevorschriften ist Teil der Reformpolitik in Kuba und war lange angekündigt. Zugleich wird damit die Liberalisierung der vergangenen 20 Jahre fortgeführt. Denn spätestens nach dem Ende der Blockkonfrontation hatte zu Beginn der 90er Jahre eine sehr unterschiedliche Emigration aus Kuba in die USA und nach Europa eingesetzt. Dieser Trend widerspiegelte sich in einer Annäherung zwischen dem kubanischen Staat und den Auslandsgemeinden sowie in der sozialen und politischen Zusammensetzung der kubanischen Gemeinschaft in den USA. Kubas Führung wurde der neuen Situation mit der »Permiso de Residencia en el Exterior « (PRE) gerecht, einer vorübergehenden und verlängerbaren Ausreiseerlaubnis, die nach einem Kongress mit Auslandskubanern 1994 in Havanna geschaffen wurde. Die PRE hat seither maßgeblich zur Flexibilisierung und zur Zunahme der Migrationsbewegungen beigetragen. Die jetzigen Neuerungen sind daher keine Zäsur, sondern vielmehr eine Fortführung der Öffnung der vergangenen Jahre.

Dennoch stellen diese Reiseerleichterungen auch eine Gratwanderung dar. Denn die unveränderte Blockadepolitik der USA zielt darauf ab, Fachkräfte aus Kuba abzuwerben, um dem Staat wirtschaftlich zu schaden. Die Abwanderung gut ausgebildeter Bürger – ein generelles Problem in Staaten des Südens – wird im Falle Kubas von Washington bewusst gefördert. Erst 2006 schuf die US-Regierung mit dem »Cuban Medical Professional Parole Program« ein Instrument zur Abwerbung kubanischer Ärzte aus Venezuela.

Vor diesem Hintergrund sind in dem novellierten Migrationsgesetz Absicherungen eingebaut. Die Ausreise könne versagt werden, »um qualifizierte Arbeitskräfte zu erhalten, die für die wirtschaftliche, soziale und wissenschaftlichtechnische Entwicklung des Landes notwenig sind«. An zwei Stellen des neu gefassten Gesetzes ist zudem von einem »öffentlichen Interesse« die Rede, das zur Verweigerung der Ausreise angeführt werden kann. Zu erwarten ist, dass diese Regelungen auch bei Systemoppositionellen Anwendung finden, die von den USA und der EU massiv unterstützt werden.

Der kubanische Journalist und ehemalige Präsident des Buchinstitutes, Iroel Sánchez, wies vor diesem Hintergrund in seinem Blog »La pupila insomne« darauf hin, dass die USA ihre Reisbeschränkungen nach wie vor aufrechterhalten. Kuba habe nun einen ersten Schritt getan, schreibt Sánchez und fragt: »Wann werden die USA folgen?«

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. Oktober 2012


Washington am Zug

Überwiegend Zustimmung zu den neuen Reiseregelungen in Kuba. Wann bewegen sich die USA und ihre Verbündeten?

Von Volker Hermsdorf **


Die von der kubanischen Regierung am Dienstag veröffentlichten neuen Reiseregelungen haben in der Bevölkerung ein positives Echo ausgelöst. In Betrieben, Straßen, Kneipen, in Radio und Fernsehen und in Internetforen waren die ab 14. Januar 2013 geltenden neuen Bestimmungen in den letzten beiden Tagen das wichtigste Thema.

Für Auslandsreisen brauchen kubanische Bürger künftig nur noch einen gültigen Reisepaß und ein Einreisevisum, wenn das Zielland dies verlangt. Die bisher notwendige Ausreiseerlaubnis und eine Einladung aus dem Ausland müssen beim Verlassen des Landes nicht mehr vorgelegt werden. Die Höchstdauer privater Reisen wird von elf auf 24 Monate erhöht und kann bei den kubanischen Auslandsvertretungen verlängert werden. Einschränkungen kann es für hoch spezialisierte und auf Kosten der Gesellschaft ausgebildete Fachkräfte geben, sofern Verdacht besteht, daß diese im Ausland abgeworben werden sollen. Darunter fallen spezielle Wissenschaftler, spezialisiertes medizinisches Fachpersonal oder besondere Führungskräfte, die eine Genehmigung ihrer vorgesetzten Dienststelle brauchen.

Die Tageszeitung Granma begründete die Einschränkungen mit dem Hinweis auf die seit dem Sieg der Revolution nicht aufhörenden Versuche der USA und ihrer Verbündeten, Kuba durch den Raub menschlicher und geistiger Ressourcen, die für die wirtschaftliche, soziale und wissenschaftliche Entwicklung wichtig sind, auszubluten. »Kuba ist verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um sich gegen diese Angriffe zu verteidigen«, heißt es in einem Leitartikel vom Dienstag. Die bereits seit längerer Zeit angekündigten Veränderungen seien kein isolierter Vorgang, schreibt Granma, sondern Teil eines unumkehrbaren Prozesses zur Normalisierung der Beziehungen Kubas mit seinen in 150 Ländern niedergelassenen Landsleuten, die in ihrer überwiegenden Mehrheit ihren Angehörigen und der Gesellschaft in Kuba positiv verbunden sind.

Obwohl auch jetzt schon Zigtausende Kubaner jedes Jahr zu Familienbesuchen, Tagungen, Arbeits- und Studienaufenthalten, Internationalen Missionen (Hilfseinsätze) oder einfach als Touristen ohne Probleme ins Ausland reisen, bedeuten die neuen Bestimmungen weniger Bürokratie, ersparen Wartezeiten und vor allem Geld, weil Gebühren wegfallen. Entsprechend positiv sind die Reaktionen in der Öffentlichkeit.

Kurz nach Veröffentlichung der neuen Regelungen hatten sich im Internetportal Cubadebate (www.cubadebate.cu) bereits Dutzende Teilnehmer zu Wort gemeldet. Neben vielen Fragen zu Details gab es vor allem Zustimmung, wie einige Beispiele zeigen. »Wenn die Kubaner mehr reisen, wissen sie, was sie zu Hause haben«, meint Felicia Padron. Und Ana freut sich: »Jetzt ist den Menschenhändlern in Miami das Geschäft verdorben.« Ericka unterstützt Maßnahmen gegen ausländische Abwerbungen: »Kein Kubaner will ein Land ohne Ärzte, Lehrer und Fachkräfte.« Edy Alberto schreibt: »Wir Kubaner haben unsere Politik verändert. Wann bewegen sich die USA?« Und Ramón stellt eine Frage, die viele bewegt: »Werden die ausländischen Botschaften in Kuba uns jetzt die zum Reisen notwendigen Visa ausstellen?«

Im Gegensatz zu den meist positiven Reaktionen kritisierte die »Bloggerin« Yoani Sánchez die Beschlüsse unter anderem deswegen, weil auch künftig keine Auslandskubaner einreisen dürfen, »die an feindlichen Aktionen gegen die politischen Grundsätze des Staates« teilnehmen wollen. Paradox ist, daß von den Neuerungen vermutlich vor allem die vom Ausland alimentierten »Oppositionellen« profitieren werden, die weder finanzielle noch Visa-Probleme haben.

Für normale kubanische Bürger ist dagegen die Verweigerung von Visa durch die Botschaften europäischer Länder, Kanadas und der USA schon jetzt das Haupthindernis für Auslandsreisen. Während Kuba ein deutliches Zeichen zur Normalisierung gesetzt hat, bleiben diese Länder bei ihren restriktiven Regelungen zur Visaerteilung für Kubaner. In den USA gilt außerdem seit Februar 1963 ein Gesetz, das US-Bürgern bei Strafe verbietet, nach Kuba zu reisen.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 18. Oktober 2012


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