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Vier Monatsgehälter

Kuba läßt seine Bürger seit Januar ungehindert reisen. Doch die neue Freiheit endet oft schon an der Tür der deutschen Botschaft in Havanna

Von André Scheer *

Im Januar feierte Mario López in Havanna seinen 20. Geburtstag. Glückwünsche bekam er nicht nur von seinen Freunden in der kubanischen Hauptstadt, sondern auch aus dem fernen Jena. Hier lebt und studiert Marcel Kunzmann, der sich für Kuba engagiert und die Insel in der Karibik gern besucht. Die beiden jungen Männer hatten sich im vergangenen Jahr kennengelernt, halten seither über Internet Kontakt und diskutieren die jüngsten Entwicklungen Kubas. Doch bisher fehlte der Gegenbesuch in Deutschland. Der sollte nun über die Weihnachtstage stattfinden, am 16. Dezember wollte Mario mit einem weiteren Bekannten in Deutschland landen und einige Wochen mit Marcel und anderen Freunden verbringen.

Wenige Tage nach Marios Geburtstagsfeier im Januar hatte die kubanische Regierung bisher geltende Reisebeschränkungen für ihre Bürger aufgehoben. Bis dahin mußten Kubaner ein Ausreisevisum beantragen, nun jedoch stehen ihnen die Tore zur Welt offen. Theoretisch jedenfalls, denn die Erleichterung ist bislang einseitig. Oft genug steht einem Besuch in einem anderen Land das von dessen Behörden geforderte Einreisevisum entgegen.

Die deutsche Botschaft in Havanna zeigt sich dabei wenig gastfreundlich. Ohne Termin geht gar nichts, und dieser kann ausschließlich über die Internetseite der diplomatischen Vertretung gebucht werden, während »per Telefon, E-Mail, Post oder Fax an die Botschaft gerichtete Terminanfragen (...) nicht beantwortet werden«. Dabei dürfte den deutschen Diplomaten wohlbekannt sein, daß Kubaner normalerweise nicht einfach zu Hause ins Netz gehen können, sondern dazu Internetzentren aufsuchen müssen. Die Kosten für eine Stunde im WWW lagen im Sommer bei 4,50 Konvertiblen Pesos (CUC), was etwa 3,33 Euro entspricht.

Wenn eine Familie auf Reisen gehen möchte, wird es besonders haarig: »Für jeden Antragsteller muß ein eigener Termin gebucht werden. Achtung: Dies gilt auch für Minderjährige, gemeinsam reisende Familien und sonstige Reisegruppen«, heißt es in schönstem Bürokratendeutsch auf der Homepage der Konsularabteilung. Und weiter: »Sie müssen Ihre Daten unbedingt korrekt und fehlerfrei eingeben, da der Einlaß in die Visastelle nur bei genauer Namens- und Paßübereinstimmung erfolgt. Vorsicht: Selbst bei geringsten Abweichungen wird Ihnen der Einlaß verweigert.« Schließlich: »Um Terminmißbrauch zu verhindern, kann pro Person nur jeweils ein Termin gebucht werden. Erst nach Ablauf eines Monats dürfen Sie erneut Termine buchen. Bei Nicht-Wahrnehmung von Terminen behält sich die Botschaft vor, Antragsteller für einen Zeitraum von sechs Monaten zu sperren.«

Wer sich von all dem nicht abschrecken läßt, wird erstmal zur Kasse gebeten. 60 Euro beträgt die Visagebühr, die bei Antragstellung in CUC auf den Tisch gelegt werden muß. Das entspricht – nach Angaben der deutschen Botschaft selbst – mehr als vier Monatsgehältern eines durchschnittlichen Kubaners. Das Geld ist weg, auch wenn die Visaerteilung abgelehnt wird. Und das ist nicht selten der Fall. »Etwa 80 Prozent aller Anträge werden beim ersten Mal zurückgewiesen«, heißt es unter der Hand in Havanna. Die Botschaft wollte das gegenüber junge Welt auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren, Kontaktversuche blieben erfolglos. Auch das Auswärtige Amt in Berlin zeigte sich wenig auskunftsfreudig.

Doch die Erfahrungen von Mario López sprechen dafür, daß die Angaben stichhaltig sind. Gemeinsam mit seinem Kumpel Yoel Félix González schaffte er es am 8. November, den Antrag ordnungsgemäß einzureichen. Auch die geforderte Verpflichtungserklärung des Einladers, sämtliche in Deutschland anfallende Kosten der beiden Kubaner zu übernehmen, sowie die Bestätigung einer Auslandskrankenversicherung lagen bei. Nur vier Tage später hielt er jedoch den Ablehnungsbescheid in den Händen. Begründung: Man glaube ihm nicht, daß er tatsächlich einen Freund besuchen wolle. Und er habe nicht nachweisen können, daß er Deutschland vor Ablaufen des Visums wirklich wieder verlassen wolle.

Für Mario ein Schlag. In einem Brief an das Konsulat protestierte er gemeinsam mit Yoel gegen die Unterstellungen (siehe hier). Auch Marcel Kunzmann will die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen. Im Gespräch mit jW schloß er eine Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Berlin nicht aus.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. November 2013


»Sie erklären uns zu Betrügern«

Nach der Ablehnung ihrer Visaanträge durch die deutsche Botschaft wandten sich Mario José López Torres und Yoel Félix González Rodríguez am 12. November an die zuständige Mitarbeiterin des Konsulats der Bundesrepublik in Havanna. Wir dokumentieren ihren Brief in gekürzter Fassung.

Hiermit wenden wir uns an Sie, um zu erfahren, warum unser Visaantrag abgelehnt wurde. Dem uns am Nachmittag in den Büros der Botschaft in der Kabine Nr. 2 übergebenen Dokument zufolge haben folgende Gründe zur Ablehnung unseres Antrags geführt:
  • Die zur Begründung des Anliegens vorgelegten Informationen und die Umstände des vorgesehenen Aufenthalts seien nicht glaubwürdig.
  • Es habe nicht die Absicht belegt werden können, das Territorium der Mitgliedsstaaten (des Schengen-Raums, Anm. d. Übers.) vor Ablaufen des Visums zu verlassen.
Der erste Grund läßt durchblicken, daß die von uns eingereichten Angaben über die Gründe unserer Reise nicht wahr seien. Wir möchten wissen, wodurch oder in welchem Teil des Antragsprozesses wir Zweifel an unserer Glaubwürdigkeit verursacht haben.

Die in dem von der Botschaft ausgestellten und von Ihnen unterschriebenen Dokument angeführten Gründe erklären uns ebenso wie unseren Freund in Deutschland zu Betrügern und ziehen die Existenz einer vor geraumer Zeit entstandenen Freundschaft in Zweifel. In der Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben, waren unsere Freunde in der Lage, unsere Verbundenheit mit unserem Land und unserer Revolution schätzen zu lernen. Unserer Freund, der uns einlädt, sowie zwei weitere, die wir mit ihm zusammen hier in Havanna kennengelernt haben, interessieren sich für den revolutionären Prozeß Kubas und die sich in unserem Land vollziehenden Veränderungen. Wir gehören beide den Massenorganisationen unseres Landes an und sind Mitglieder der Union Junger Kommunisten. Die Zugehörigkeit zu dieser Organisation macht unsere revolutionären Überzeugungen sehr deutlich, denn sie ist Teil der politischen Organisationen, die die Jugend vereinen und durch die die Jugendlichen Einfluß auf für das Land wesentliche Entscheidungen nehmen können.

Wir sind keine Juristen, aber wir halten es für ein Recht, uns frei mit Freunden, die wir in Deutschland haben, auszutauschen. Wir sind in den deutschen Gesetzen nicht bewandert, aber es ist nicht unsere Absicht, Bestimmungen zu verletzen, welche die genehmigte Aufenthaltsdauer in Ihrem Land festlegen. Wie wir bereits erläutert haben, ist das Ziel unseres Besuchs, Ihr Land, seine Gebräuche, Menschen und Traditionen kennenlernen zu können.

Im zweiten Punkt, mit dem die Ablehnung des Visums begründet wird, werden wir erneut willkürlich kriminalisiert, da Sie unsere Absicht anzweifeln, in unser Land zurückzukehren. Es ist heute ziemlich schwer, das Vorurteil zu beseitigen, daß jeder Kubaner in jedem Land der Welt, in das er reisen möchte, ein potentieller Einwanderer ist. Wir würden gerne wissen, ob es überhaupt irgendeine Möglichkeit gibt, zu erkennen, wann eine Person ein möglicher Immigrant ist oder nicht, und wie man so etwas erkennen kann.

Wir haben, als wir die Visa beantragt haben, bestimmte Dokumente zu Eigentum, Bankkonten oder Kindern nicht vorgelegt, nach denen uns am Eingang der Botschaft ein sehr freundlicher Herr, der die vorzulegenden Papiere prüft, gefragt hat. Vielleicht werden diese Dokumente als Garantie oder Anker dafür angesehen, daß jemand die Zukunft in seinem Geburtsland verbringt. Werden diese Unterlagen in jedem Land der Welt gefordert, aus dem Personen nach Deutschland reisen möchten? Ich wage zu sagen: Nein. Aber unabhängig davon, in welcher Weise diese eine Garantie oder ein Vorteil bei der Entscheidung über die Visaerteilung sein können, dürfte klar sein, daß Personen, die sich zu einer Auswanderung entschlossen haben, nichts besitzen, das sie fest genug binden kann, und sie bereit sind, alles zu verlieren, um ihr Ziel zu erreichen.

Mit welchem Recht werden Jugendliche wie wir als mögliche Auswanderer katalogisiert, wenn zugleich die kubanische Regierung Vertrauen in ihr Volk und den Grad seiner Identifizierung mit der Revolution setzt. Wir sind die wirklichen Beweise für die Realität in Kuba, und wir können die falschen Ansichten widerlegen, die als Stereotype über die Kubaner kursieren.

Sie verstehen sicherlich unseren Ärger, weil die Ausgaben für die Anträge von einem durchschnittlichen Kubaner, also für uns, nicht leicht aufzubringen sind. Es ist hart, lange Zeit gespart und die Unterstützung unserer Eltern bekommen zu haben, um diese Reise durchführen zu können, doch statt dessen auf eine solche Demütigung zu stoßen.

[Übersetzung: André Scheer]




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