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Telefonsammelwut

Wie angebliche NGOs einen konterrevolutionären Umsturz in Kuba zu organisieren versuchen. Systemgegnerin Yoani Sánchez will "arabischen Frühling" in Havanna

Von Volker Hermsdorf *

Die Tageszeitung Nuevo Herald, das Sprachrohr der exilkubanischen Anti-Castro-Gruppen in Miami, veröffentlichte am Montag als Aufmacher ihrer Online-Ausgabe einen Spendenaufruf der Systemgegnerin Yoani Sánchez. Eine Organisation mit dem Namen »Roots of Hope« (Wurzeln der Hoffnung) habe eine Sammelstelle für Mobiltelefone, Notebooks und USB-Sticks eingerichtet, um diese dann auf Bitte Sánchez mit Reisenden nach Kuba zu schicken. Die am heutigen Mittwoch in Berlin im Instituto Cervantes auftretende Bloggerin, die für ihr Land einen »arabischen Frühling« fordert, möchte das in den USA eingesammelte Material unter kubanischen Jugendlichen verteilen.

Verabredet wurde die Spendenaktion laut Nuevo Herald beim Miami-Besuch der Systemgegnerin im April. Seit 2009 habe seine Organisation schon über 10000 Mobiltelefone erhalten, von denen aber nur 1 500 nach Kuba geschafft werden konnten, weil die meisten defekt seien, berichtete Felice Gorordo, der Gründer von »Roots of Hope«.

Der 30jährige Gorordo ist ein Geschäftsmann und ehemaliger Geheimdienstagent aus Miami mit kubanischen Vorfahren. Nach dem Studium bekleidete er einflußreiche Positionen in verschiedenen US-Ministerien, unter anderem in dem von George W. Bush 2002 gegründeten US-Department of Homeland Security (US-Ministerium für Staatssicherheit) mit engen Kontakten zur CIA. Heute leitet er verschiedene Unternehmen, die weiterhin Staatsaufträge in Millionenhöhe erhalten.

Nach einem Bericht der Online-Studentenzeitung seiner früheren Universität Georgetown kehrte er von einer Kubareise mit der Vision zurück, »der dortigen Jugend dabei zu helfen, die treibende Kraft für einen Systemwechsel zu werden«. Der Medienexperte nannte als Vorbild die »samtenen Revolutionen« und den »arabischen Frühling«. In Miami nahm er Verbindung zu dem bei den konterrevolutionären Exilgruppen einflußreichen Familienclan der Popsängerin Gloria Estefan und zu dem Ex-CIA-Agenten Carlos Alberto Montaner auf und begann damit, über die Organisation »Reporter ohne Grenzen« technische Ausrüstungsgegenstände unter Systemgegnern in Kuba zu verteilen, vertraute er der US-Journalistin Brett Graff in einem Interview an.

Im Jahr 2003 gründete Gorordo dann die Organisation »Roots of Hope«, die unter anderem vom Freedom House, dem NED und dem USAID unterstützt wird, angebliche NGOs, die weltweit die den USA nicht genehmen Regierungen zu destabilisieren versuchen. Zu den Förderern seiner NGO, die vorgibt, unpolitisch zu sein und lediglich den offenen Austausch zwischen Jugendlichen in den USA und Kuba anzustreben, gehören nicht nur exilkubanische Contraorganisationen, sondern vor allem auch multinationale Konzerne. Über die »Alliance of Youth Movements«, der Gorordo als Senior Fellow ebenfalls angehört, finanzieren global agierende Unternehmen wie Google, Facebook, YouTube, CBS, NBC, MTV, Pepsi und andere als Sponsoren einen Teil der Aktivitäten »für ein freies Kuba«.

Der Einsatz derartiger NGOs, der zunehmend die klassischen Interventionen von CIA und anderen Geheimdiensten ergänzt, ist durchaus erfolgreich. Über »Roots of Hope« haben Gorordo und seine Mitstreiter ein Netzwerk aufgebaut, dem in den USA zahlreiche Universitäten und einige tausend Jugendliche angehören, die mehrheitlich davon überzeugt sind, sich für eine friedliche Annäherung zwischen den USA und Kuba zu engagieren. Sogar ansonsten kritische Jugendliche, die sich selbst als linksliberal bezeichnen, werden so zu Verbündeten der Konzernstrategen. Das von haitianischen Emigranten, die humanitäre Hilfsaktionen US-amerikanischer NGOs aus leidvoller Erfahrung kennen, in New York herausgegebene Zweiwochen-Magazin Haiti Liberté merkte dazu an: »Wenn sie Kuba wirklich helfen wollen, warum schicken sie dann Handys und nicht Medikamente und medizinische Geräte wie die Pastors for Peace?«

Doch auch die auf Bitten Sánchez gespendeten Kommunikationsgeräte sollen in Kuba nicht einfach nur an Jugendliche verteilt werden. Der US-amerikanische Journalist Tracey Eaton hatte bereits Ende letzten Jahres in seinem Blog »Along the Malecón« enthüllt, daß der frühere CIA-Agent und Spezialist für mediale Kriegführung, Daniel Gabriel, über die Interessenvertretung der USA in Havanna (SINA) ein Team von einheimischen Spezialisten rekrutieren und ausbilden soll, um die Aktivitäten kubanischer Systemgegner zu koordinieren. Um nicht als Verschwörungstheoretiker abgetan zu werden hatte Eaton den ihm zugespielten Vertrag Gabriels im Internet veröffentlicht.

Yoani Sánchez, die sich nach ihren heftig kritisierten bisherigen Auftritten mit Vertretern der extremen Rechten, jetzt moderat gibt, ist – unbewußt oder wissentlich – ein wichtiger Bestandteil dieser US-Strategie für einen Umsturz in Kuba.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. Mai 2013


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