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Kubaner wählen neues Parlament

Fidel und Raúl Castro erneut als Kandidaten der Nationalversammlung nominiert

Von Volker Hermsdorf *

Am kommenden Sonntag sind in Kuba rund 8,5 Millionen Wahlberechtigte zur Abstimmung über die Zusammensetzung der nächsten Nationalversammlung (Asamblea Nacional) und der 16 Provinzparlamente (Asambleas Provinciales) aufgerufen. Wie die Vorsitzende der Nationalen Wahlkommission (CEN), Alina Balseiro, am letzten Sonntag vor der Presse in Havanna mitteilte, wird das Parlament auf Landesebene künftig aus 612 Abgeordneten bestehen, während in den Provinzen insgesamt 1269 Vertreter gewählt werden.

Das kubanische System der Volksmacht besteht aus Vertretungen auf kommunaler, provinzieller und nationaler Ebene. Die Parlamentarier der Nationalversammlung und der Provinzparlamente werden nach der Verfassung und dem Wahlgesetz aus dem Jahr 1992 für die Dauer von fünf Jahren direkt gewählt. Stimmberechtigt und wählbar sind alle im Land lebenden Kubanerinnen und Kubaner ab 16 Jahren. Wer für die Nationalversammlung kandidiert, muß mindestens 18 Jahre alt sein.

Die Abstimmungen sind frei, gleich und geheim. In den Wahllokalen stehen Kabinen und Urnen zur Verfügung, die symbolisch von Schülern bewacht werden. Eine Wahlpflicht gibt es in Kuba nicht, obwohl dies von europäischen und nordamerikanischen Medien oft behauptet wird. Auch die Rolle der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) wird meistens nicht korrekt dargestellt. Entgegen einer weit verbreiteten aber nicht zutreffenden Annahme sind viele Kandidaten nicht Mitglieder der PCC und werden auch nicht von ihr benannt.

Tatsächlich stehen auf allen Ebenen überhaupt keine Parteien, sondern nur Personen zur Abstimmung, die sich in Versammlungen präsentieren und direkt gewählt werden. Wer kandidieren will, braucht dazu weder eine Partei, noch Geld für teure Wahlkämpfe oder Medienkampagnen. Für alle Kandidaten gelten die gleichen Voraussetzungen. Im Gegensatz zu den politischen Systemen in Europa können Abgeordnete in Kuba auch wieder abgewählt werden. Es gibt weder »Einheitslisten«, wie oft behauptet wird, noch steht jeweils nur eine Person zur Wahl. Die Kandidaten für die nationale und die Provinzebene wurden im Dezember zur Hälfte von den Ende letzten Jahres neu gewählten Kommunalparlamenten aufgestellt. Die anderen 50 Prozent wurden von sozialen Organisationen wie Gewerkschaften, Frauen-, Bauern- und Studentenverbänden sowie den Nachbarschaftskomitees nominiert.

Die kubanische Nationalversammlung hat konstituierende und gesetzgeberische Macht. Die in direkter Wahl legitimierten Abgeordneten wählen in der ersten Parlamentssitzung aus ihren Reihen den Staatsrat, der die Aufgaben der Nationalversammlung zwischen deren in der Regel zweimal jährlich stattfindenden Vollversammlungen übernimmt. Auch der Vorsitzende des Staatsrats wird von den Parlamentariern in geheimer Abstimmung gewählt. Als höchster Repräsentant des kubanischen Staates ist der Staatsrat gegenüber der Nationalversammlung berichts- und rechenschaftspflichtig und wird vom Parlament kontrolliert. Nationalversammlung und Staatsrat berufen den Ministerrat. Vorsitzender des Staats- und des Ministerrats ist seit 2008 Raúl Castro.

Trotz eigener Skandale und Politikverdrossenheit der Bevölkerung diffamieren europäische und nordamerikanische Medien das auf allen Ebenen partizipative kubanische Wahlsystem regelmäßig als »Farce« und behaupten in überheblicher Kolonialmanier, daß das Parlament der Inselrepublik keinerlei Befugnisse habe. Tatsächlich sind Bedeutung und Einfluß der Nationalversammlung aber gerade in den letzten Jahren – im Prozeß der Aktualisierung des sozialistischen Gesellschaftsmodells – deutlich gestärkt worden.

Als Kandidaten für die kommende achte Legislaturperiode der Nationalversammlung wurden unter anderem der frühere kubanische Präsident, Revolutionsführer Fidel Castro, und dessen Nachfolger Raúl Castro nominiert. Der langjährige Parlamentspräsident, der 75jährige Politiker und Doktor der Philosophie Ricardo Alarcón de Quesada, will sich nicht erneut um ein Mandat bewerben.

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. Februar 2013


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