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Die Chinesen kommen

Laos: Der große Nachbar löst Vietnam als Hauptpartner ab

Von Michael Senberg, Vientiane *

Der Mann sitzt am Tisch des Kaffeehauses wie jeder andere Gast. Ein wenig abseits vielleicht, und ein wenig stiller als all die anderen hier. Schließlich wechselt er an einen gut besetzten Tisch, öffnet seine Umhängetasche und holt eine Uhr heraus. Wortlos legt er sie auf den Tisch. Omega steht auf dem Ziffernblatt. 200000 Kip, das sind rund 20 Euro, verlangt er in stark akzentbehaftetem Laotisch. Sofort ist klar, warum er nicht an der sonst so lebhaften Diskussion teilnimmt. Der Mann ist aus China. Einer der laotischen Gäste nimmt die Uhr in die Hand, wägt sie ab und legt sie zurück. Sofort liegen vier weitere daneben. Für die Hälfte des geforderten Preises wandert schließlich einer der Zeitmesser in die Tasche eines Gastes. Zwei Tage später ist der Chinese wieder da. Diesmal bietet er Ledergürtel und Brieftaschen an.

Der Mann, der hier regelmäßig die allmorgendliche Kaffeerunde aufsucht, ist nicht allein. Er ist einer von Zehn-, vielleicht Hunderttausenden chinesischen Händlern in Laos. Kaum ein Siedlungsflecken ist noch ohne chinesischen Kraut- und-Rüben-Shop. Vom billigsten Plastiktand bis zur kompletten Satellitenanlage gibt es nichts, was nicht aus dem Wirtschaftswunderland China bis ins entlegenste laotische Dorf gelangt. 2011 schoß der beiderseitige Handel über die Milliarden-Dollar-Grenze. Mit der Ware kommen die Händler, die sich offenbar für länger hier einrichten. Gab es vor drei Jahren pro Woche nicht mehr als zwei Busverbindungen zwischen der laotischen Hauptstadt Vientiane und China, so fährt heute täglich ein Bus nach Kunming und jeden zweiten Tag einer nach Meng La – neben zwei Flügen täglich zwischen Vientiane und Kunming, der Hauptstadt der chinesischen Südprovinz Yunnan.

Die laotische Regierung sieht dem Treiben weitgehend untätig zu, schließlich ist China einer der wenigen verbliebenen strategischen Verbündeten der Demokratischen Volksrepublik Laos. Nicht nur die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern sind so eng wie nie zuvor, auch wirtschaftlich ist der große Nachbar im Norden von immenser Bedeutung für das vergleichsweise kleine und dünnbesiedelte Laos. An der Spitze der offiziellen Rangliste ausländischer Investoren verdrängt China seit einigen Jahren den langjährigen Hauptpartner Vietnam. Insgesamt hat Peking bisher umgerechnet etwa 3,4 Milliarden Euro in 742 Projekte in der kleinen Volksrepublik investiert.

Chinesische Firmen, oft großzügig unterstützt von staatlichen Banken, investieren vor allem in Bergbau und Energie, zunehmend aber auch in Wohn- und Geschäftsimmobilien. Selbst Lane Xang Minerals, der ursprünglich in australischem Besitz geführte größte Gold- und Kupferproduzent von Laos, gehört seit der Finanzkrise der chinesischen Firma Minerals and Metals Group (MMG). Nicht nur die Rohstoffe von Bauxit bis zu seltenen Erden sind für die chinesische Industrie von wachsender Bedeutung. Laos verfügt zudem über einen Schatz, von dem vor allem der dicht besiedelte Osten Chinas nur noch träumen kann: verfügbares Land. Schon jetzt produzieren die grenznahen Regionen Obst und Gemüse für den chinesischen Markt, erhalten chinesische Verarbeitungsbetriebe in der südchinesischen Provinz Yunnan Rohstoffe aus Laos. Inzwischen hat auch der Anbau von Maniok und seine Verarbeitung zu Stärke für Abnehmer in China ganze Landstriche verwandelt.

Besonders kontrovers diskutiert werden aber die großflächigen Kautschukplantagen, die vor allem im Norden das Landschaftsbild mehr und mehr bestimmen. Von der laotischen Regierung lange Zeit als Beitrag zum nationalen Aufforstungsprogramm begrüßt, sehen Kritiker nicht nur in der Monokultur Gefahren für die Umwelt. Sie weisen auch auf den Arbeitskräftebedarf hin, der die Möglichkeiten der dünn besiedelten laotischen Provinzen überfordern wird, wenn es erst einmal ans Latexzapfen geht.

* Aus: junge Welt, 10. März 2012


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