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Nobelschlitten als Statussymbol

Laos: Armutsbekämpfung bleibt ein großes Problem, aber nicht wenige waren persönlich dabei erfolgreich

Von Michael Senberg, Vientiane *

Im JoMa-Café im Stadtteil Phonthong in Vientiane, der Hauptstadt von Laos, einem der ärmsten Länder der Erde, ist noch Platz. Auf dem Parkplatz davor nicht mehr. Es scheint, als sei jeder der Gäste mit gleich zwei Autos gekommen. Die Fahrzeuge der YUBPies, der young urban business people, sind Lexus, BMW X6, Land Cruiser. Der Cafe Latte kostet 2,30 Euro.

Hinten beim Kinderspielzimmer sitzen ein paar ausländische Frauen von Nichtregierungsorganisationen (NGO). Sie sind mit Fahrrädern gekommen oder Autos, die schon in der dritten Generation der Entwicklungshelfer weitergereicht werden. Sie sind hier, um Armut überwinden zu helfen.

Das haben die jungen Männer an den Tischen draußen auf der Terrasse schon geschafft. An ihren Nobelschlitten prangen Nummern, die nur gegen saftige Zahlungen zu erhalten sind. Viermal die Neun, ein Renner unter den Glücksbringern, so berichten glaubhaft Insider, soll teurer sein als ein Kleinwagen.

Irgendetwas scheint aus dem Ruder zu laufen bei der Armutsbekämpfung. Offiziell kommt die Volksrepublik damit gut voran. Nur noch 22 Prozent der Bevölkerung, jeder fünfte Laote, sind der Definition nach arm. Vor zehn Jahren zählte noch jeder dritte Einwohner dazu. Definiert ist Armut bei einem Einkommen von weniger als einem Euro pro Tag. Jüngere Studien belegen, daß auch die absolute Zahl der Armen leicht zurückgeht, doch dafür deren Verelendung zunimmt. Zwar benennt die seit 1975 herrschende Laotische Revolutionäre Volkspartei, die sich weiter zum Marxismus-Leninismus bekennt, die wachsende Kluft als ein Problem, doch hat sie in der Praxis wenig zu bieten, was dem entgegenwirkt. Noch immer leben mehr als 70 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft, wobei es das Ziel der meisten jungen Leute ist, der Mittellosigkeit auf dem Land zu entrinnen. Es zieht sie in die Städte oder ins benachbarte Thailand, wo sie ihrer geringen Qualifizierung wegen meist nur als schlecht bezahlte Hilfsarbeiter unterkommen. Immerhin gibt es keine ausgeprägte städtische Armut. Noch nicht.

Dafür macht sich Reichtum breit, der in seiner Gier nach öffentlicher Zuschaustellung schon schamlos erscheint. Die immer protzigeren Karossen sind nur ein Teil davon. Kaum ein Exot, der sich nicht auf laotischen Straßen findet. Bugatti oder Bentley, Lamborghini oder Ferrari, Daimler oder Rolls Royce. Bei einem Autohändler an der Ecke stehen die Porsche Cayenne gleich reihenweise. Der Diesel kostet 112000 Euro, für den Wagen mit Benzinmotor will der Händler 108000 Euro haben. Als der neue ­Range Rover Evoque in den Laden kam, war der erste der um die 200000 Euro teuren Nobelschlitten schon nach zwei Tagen verkauft. Die einzige Frage des Kunden: »Wie viele von dieser Farbe gibt es im Land?« Häuser palastartiger Ausmaße komplettieren das Bild ebenso wie der neueste Flachbildschirm wandfüllenden Ausmaßes.

Mit nun schon seit zehn Jahren anhaltenden Zuwachsraten zwischen sieben und acht Prozent im Jahr brummt der Wirtschaftsmotor, werden auch die Investitionsprojekte immer größer. Inzwischen ist auch Laos in der Größenordnung der Milliarden-Euro-Vorhaben angelangt, sei es für Wasserkraftwerke, Bergwerke, Eisenbahnlinien oder Immobilien im Umfang ganzer Stadtviertel. So boomt vor allem die Baubranche. Gebaut wird an allen Ecken und Enden, finanziert durch die öffentliche Hand, meist mit Geldern der Entwicklungshilfe, durch ausländische Investoren oder von Privatleuten. Kein Zweifel, daß sich letztere vor allem aus den ersten beiden Kategorien speisen. Da ist Laos so asiatisch wie die großen Nachbarn Vietnam, Thailand oder China. Die Familien sind groß, weitverzweigt und auf vielen Feldern aktiv. Wenn ein Familienmitglied in der Politik reüssiert, nutzt das auch der wirtschaftlich aktiven Verwandtschaft.

Die Führung des Landes ist geradezu besessen vom Wirtschaftswachstum und hat eine Zahl zum neuen heiligen Gral ausgerufen: achteinhalb Prozent Zuwachs pro Jahr und Laos kann 2020 die Gruppe der ärmsten Länder der Welt verlassen. Aber selbst wenn das Ziel des siebenten Fünfjahrplanes erfüllt wird, es ist Wachstum auf Pump. Die größten Wasserkraftwerke gehören weitgehend ausländischen Investoren, große Infrastrukturprojekte sollen durch Kredite realisiert werden, die Laos für die nächsten Jahrzehnte massiv verschulden. Selbst kleinere Vorhaben basieren auf Vorschuß und Spekulation. Will der Staat etwa in der Hauptstadt dringend benötigte Straßen bauen, wird der Auftrag wie in vielen Ländern ausgeschrieben. Doch in Laos muß die siegreiche Firma das Geld selbst mitbringen und baut dann in der Hoffnung, in den kommenden Jahren ihren Vorschuß zurückzuerhalten. Zwar hat die Regierung diese Art der Projektfinanzierung kürzlich untersagt. Allerdings ohne Wirkung, denn die Gewinne sind so verlockend, daß diese Praxis trotz Verbots munter weiterläuft.

In anderen Fällen darf der Investor sich aus der Wertsteigerung von Grundstücken neben den neuen Trassen refinanzieren. Pech für diejenigen, die entlang der neuen Verkehrsadern schon Land besitzen. Sie werden gegen spärliche Abfindungen im wahrsten Sinne des Wortes vom Acker gejagt. »Umwandlung von Vermögen in Kapital« nennt die Regierung diese aktiv betriebene Politik. Ursprüngliche Akkumulation des Kapitals hieß es bei Marx. Klar, daß sich da die Spreu vom Weizen trennt. Daß es von den großen Gebern von Weltbank bis Europäische Kommission Beifall gibt, liegt in der Natur der Dinge. Es ist nichts anderes als derzeit überall: Privatisierung der Gewinne und Vergesellschaftung der Schulden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 28. Mai 2013


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