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"Die Welt ist nicht mehr unipolar"

66 Staaten Afrikas und Südamerikas fordern UNO-Reform

Von Harald Neuber *

Beim zweiten Afrika-Südamerika-Gipfel in Venezuela wurden am Wochenende »Süd-Süd- Kooperation« ausgebaut und eine langfristige Zusammenarbeit der Staaten besprochen.

Eine Bank des Südens, eine NATO des Südens, eine gemeinsame Wirtschafts- und Handelspolitik - das sind nur einige der Punkte, die am Samstag und Sonntag im Zentrum des zweiten Gipfeltreffens der Staaten Südamerikas und Afrikas standen. Delegationen aus 66 Ländern beider Regionen, darunter 30 Staats- und Regierungschefs, waren auf der Ferieninsel Margarita vor der venezolanischen Karibikküste zusammengekommen, um eine gemeinsame Kooperationsagenda bis zum Jahr 2010 zu besprechen. Unter den Gästen befanden sich unter anderem die Präsidentin des Niger, Tandja Mamadou, Südafrikas Staatschef Jacob Zuma sowie die Präsidenten von Simbabwe und Libyen, Robert Mugabe und Muammar al-Gaddafi.

»Die Welt ist nicht mehr unipolar«, sagte der venezolanische Präsident und Gastgeber Hugo Chávez in einer ungewohnt kurzen Eröffnungsrede am Samstag. Neue Machtpole seien im Entstehen begriffen. »Die Einheit unserer Kontinente sollte deswegen eines unserer Ziele sein«, so Chávez weiter, um an die gemeinsame Kolonialgeschichte zu erinnern. Afrika und Lateinamerika seien »im Schmerz vereint«, so der Gastgeber, der den Sklavenhandel als ein Beispiel der Kolonialgewalt anführte. Diese Vorgeschichte verbindet beide Regionen bis heute eng. In Brasilien etwa findet sich die größte Gruppe Schwarzer außerhalb Afrikas. Politisch setzten sich die teilnehmenden Staaten maßgeblich für eine Reform des UNO-Systems ein.

In der Abschlusserklärung werde erneut eine Reform des UNO-Sicherheitsrates gefordert, erklärte Venezuelas Vizeaußenminister Reinaldo Bolíver bereits am Samstag (26. Sept.). Libyens Revolutionsführer Gaddafi brachte eine Idee in die Debatte ein, die auch in Südamerika in den vergangenen Jahren diskutiert worden war: Gemeinsam solle man eine »NATO des Südens« schaffen, um der Bedrohung durch die Staaten des Nordatlantikpaktes etwas entgegensetzen zu können.

Große Beachtung fand bei dem zweiten Gipfeltreffen Südamerikas und Afrikas die Position des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der die Handelspolitik in den Vordergrund seiner Intervention stellte. Bereits im Jahr 2004 hatte sich der ehemalige Gewerkschafter auf dem UNO-Handelsgipfel in São Paulo für eine stärkere Vernetzung der Märkte des Südens eingesetzt.

Es waren keine leeren Worte: Inzwischen ist China knapp hinter den USA einer der wichtigsten Handelspartner Brasiliens. Lula reiste zudem gut zehn Mal nach Afrika. Die Exporte des südamerikanischen Riesen in die afrikanischen Staaten südlich der Sahara haben sich in den vergangenen Jahren fast verzehnfacht und erreichen zehn Milliarden US-Dollar - Tendenz steigend. Die Bedeutung der Marktintegration ist den beteiligten Staaten klar. Gastgeber Hugo Chávez erinnerte daran, dass sowohl Afrika als auch Südamerika reich an Bodenschätzen - Energieträgern, Mineralien, Edelmetallen und Wasser - sind. Ziel müsse sein, die Kontrolle über diese Reichtümer aufrechtzuerhalten.

Auch die lateinamerikanische Integration kam auf der Isla Margarita einen großen Schritt voran: Am Rande des Afrika-Südamerika-Gipfels unterzeichneten die Staatschefs von sieben lateinamerikanischen Ländern die Gründungsurkunde der »Bank des Südens«, eines gemeinsamen Kreditinstitutes, das die Entwicklung der Region fördern soll. Zwei Jahre nach Beginn der Verhandlungen ist die Süd-Bank damit arbeitsfähig, das Startkapital beträgt 20 Milliarden US-Dollar.

* Aus: Neues Deutschland, 28. September 2009


Droht eine zweite NATO?

Von René Heilig **

Libyens Staatschef Gaddafi erledigt manches wie im Rausch. Schwer einzuschätzen, was bei nüchterner Betrachtung abklingt und was davon Politik mit strategischer Orientierung werden kann. Die Weltmächte, so sagt er jetzt, haben »uns wie Tiere behandelt, unser Land zerstört. Jetzt müssen wir kämpfen, um unsere eigene Macht zu errichten.« So viel Wahres in diesen Sätzen ist, so wahnwitzig scheint die Schlussfolgerung: Afrika und Lateinamerika müssten als Gegengewicht zur bestehenden NATO eine »NATO des Südens« gründen, sagte der Libyen-Oberst. 2011 sei als Jahr der Gründung dieses Gegenpaktes realistisch.

Als Gaddafi jetzt diese Vision verkündete, stand neben ihm Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Und lächelte. Nur so? Oder weil er sich von dieser Idee etwas verspricht? Auch Hugo Chávez verlangt - sehr berechtigt - nach einer neuen Weltordnung. Mit aller Kraft versucht er seiner Nation und dem »Rest« der traditionell unterdrückten Welt ein neues, vom Westen unabhängiges Selbstbewusstsein zu geben. Dankbar gibt er Milliarden Volksvermögen her - für Waffen, zumeist aus Russland, das von der bestehenden NATO auch in die Enge getrieben worden ist.

Chávez - man erinnert sich - hat auch mit Irans Führer Ahmadinedschad angebandelt. Auch dabei war entscheidend: Wer gegen die USA sein Haupt erhebt, ist Bundesgenosse. Derartiges Weltverständnis greift um Jahrzehnte zu kurz, wenn man den Gang der Welt verändern will. So wie die Idee einer zweiten NATO. Wenn man schon eine Anleihe in der Geschichte nehmen will, wäre die Bewegung der Nichtpaktgebundenen angeraten. Die allerdings verlangt mehr als Rausch und Lächeln.

** Aus: Neues Deutschland, 28. September 2009 (Kommentar)


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