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Vor dem Sprachgericht: In allen Punkten schuldig

Für die Richtigkeit der Ausfertigung: Erich Hackl

In einem Groschenroman hat Jürgen Schreiber die Biografie Monika Ertls geschrieben, die 1971 blutige Rache für Che Guevara nahm und in Hamburg den bolivianischen Konsul erschoss. Erich Hackls Urteil ist niederschmetternd - aus einem im Gerichtssaal vergessenen Protokoll.



a) Zur Sache

Der Journalist Jürgen Schreiber hat ein Buch geschrieben, aus dem man - zur Abschreckung und allgemeinen Läuterung, in einem Grundkurs über neudeutschen Tiefsinn - stundenlang zitieren könnte: «Killer stellen sich selten vor.» - «Tote reden nicht.» - «Der Rache ist kein Weg zu weit.» - «Bolivien liegt unvorstellbar weit weg.» - «Die Wahrheit eines herzlosen Landes ist schwer erträglich.» - «Die Liebe ist bekanntlich eine Utopie.» - «Ein Mann, eine Frau. Er dunkel, sie hell.» - «Sie hatten Durchfall, sie hatten keine Chance.» - «Schuldbeladen stürmt die Gezeichnete hinaus.» Und so weiter, und so fort.

b) Zur Person

Monika Ertl, um deren Schicksal es - dem Vernehmen nach - in Schreibers Buch geht, ist 1937 in München geboren. Ihr Vater Hans war Alpinist, Kameramann (unter anderem bei Leni Riefenstahl und Luis Trenker), Kriegsberichterstatter und Regisseur. 1953 wanderte die Familie Ertl nach Bolivien aus, wo sich Monika fünfzehn Jahre später der Nationalen Befreiungsarmee ELN anschloss. Im April 1971 tötete sie in deren Auftrag den bolivianischen Generalkonsul in Hamburg, Roberto Quintanilla Pereira. Zwei Jahre später wurde sie in La Paz von Sicherheitskräften erschossen, nachdem sie gemeinsam mit Régis Debray geplant hatte, Klaus Altmann alias Klaus Barbie (den «Schlächter von Lyon») nach Frankreich zu entführen. Da ihr Leichnam den Angehörigen nicht übergeben wurde, ist davon auszugehen, dass sie vor ihrem Tod noch gefoltert worden war. Quintanilla war seinerzeit leitender Beamter des Geheimdienstes gewesen und als solcher für zahlreiche Morde an Oppositionellen verantwortlich. Er hatte sich im Oktober 1967 mit dem toten Che Guevara fotografieren lassen und den Befehl erteilt, dessen Hände abzutrennen und als Jagdtrophäen aufzubewahren.

c) Im Rahmen der Beweiswürdigung

Jürgen Schreiber verrührt diese und andere Fakten zu einem Groschenroman mit dem Titel «Sie starb wie Che Guevara. Die Geschichte der Monika Ertl», an dem - neben den schon erwähnten Stilblüten sowie heftigen Attacken auf die deutsche Grammatik und die spanische Rechtschreibung - die Neigung auffällt, politisch motiviertes Handeln durch exzessives Psychologisieren zu begründen, und zwar nach Schema F, demzufolge auf einen Nazivater unweigerlich die Terroristentochter folgt: «In ihrer ideologischen Verbohrtheit war Monika ein Spiegelbild des störrischen Vaters.» Monika Ertls Kampf für soziale Gerechtigkeit nennt er ein «Agieren am Rande des Selbstmordes» und deutet an, dass dieses «auf einen verdeckten Liebestod» hinausgelaufen sei, womit er den LeserInnen weismachen will, dass revolutionäres Handeln aus Todessehnsucht und enttäuschter Liebe, aber auch aus Schuldkomplexen, Überkompensation und Haltlosigkeit erfolgt. Eine Freiheitskämpferin gehört, nach dieser Logik, in die Klapsmühle oder auf den Diwan.

Um Ertls Verhalten zu erklären, greift Schreiber auf weitere fragwürdige Erkenntnisse zurück, speziell aus der Aftermedizin - die «Art Jugendepilepsie», an der die Halbwüchsige gelitten hat, wird als erstes Anzeichen ihrer politischen Verwirrung interpretiert - und der Astrologie: «Mitte August geboren, mithin Löwe, gebot Monika über die dem Sternzeichen zugeschriebene Vitalität. Astrologen vertreten die Ansicht, von diesen Menschen gehe Bezwingendes aus. Er, der Löwe, könne zum ‹unversöhnlichen Gegner› werden, habe was von einer ‹grossen Raubkatze›, die man nicht gern zum Feind hat und die zu allem fähig ist.»

Der Urteilsfindung dienlich ist die Beobachtung, wie Schreiber, der das Objekt seiner Begierde «unverzeihlich attraktiv» findet, seine erregte Phantasie zur behaupteten Tatsache verkehrt: Einmal berichtet er, dass sich über die Beziehung zwischen Monika Ertl und dem Verleger Giangiacomo Feltrinelli nicht mehr sagen lässt, als dass der eine halt elf Jahre älter war. Dann zitiert er, aus Feltrinellis Biografie, dass sich die beiden nach Aussage eines wichtigen Zeugen kaum gekannt hätten, aber dass «andere dagegen behaupten, sie kannten sich sogar sehr gut». Aus dieser Formulierung hört der Autor das Gerücht heraus, «sie hätten was miteinander gehabt», und gibt die Vermutung als Faktum aus, um gleich darauf die Gründe der durch nichts bewiesenen Liebesbeziehung zu erläutern: «Sie erfuhr durch den Verleger die intellektuelle Bestätigung; er sah in ihr die Beseeltheit, nach der er sich sehnte.» Yin und Yang.

Ganz ähnlich verfährt Schreiber auch in Zusammenhang mit dem von Monika Ertl begangenen und in seinem Ablauf bis heute nicht restlos geklärten Anschlag im bolivianischen Generalkonsulat, indem er ohne Beweismittel den Verdacht schürt, dass Mitglieder von Wohngemeinschaften in der Schlüter- und Heilwigstrasse der jungen Frau dabei, oder bei ihrer Flucht, behilflich gewesen sein könnten. Das ist ihm willkommener Anlass, die Apo insgesamt als Haufen gemeingefährlicher IdiotInnen erscheinen zu lassen. Sich selbst hingegen schmeichelt er bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit, als einem Ermittler ersten Ranges, der keine Mühe scheut, das Geheimnis zu lüften. «Ich reiste hinter Monika her. An den Chiemsee, zum Internat nach Neubeuern. In der Heilwigstrasse laufe ich mir die Hacken ab.» Nur bis Bolivien, wo Ertl immerhin die meiste Zeit ihres Lebens zugebracht hat, hat es Schreiber offenbar nicht geschafft - wahrscheinlich, weil die Andenrepublik «in Wahrheit noch ein herzloses Land» ist, in dem es von geschmolzenen Zeltheringen, schwirrenden Hautflüglern und rasselnden Klapperschlangen nur so wimmelt.

d) Urteil

Jürgen Schreiber ist schuldig des Vergehens der Effekthascherei, des saloppen Umgangs mit Quellen und Informanten, des inflationären Gebrauchs von Gemeinplätzen, Stereotypen und Klischees, der skrupellosen Anbiederung an den vermeintlichen Publikumsgeschmack («Drei Treffer bohren sich in seine Brust, stanzen ein ‹V› wie Victory in die Haut, als wolle ihn die Frau brandmarken.») und an sein wehrloses, weil totes Opfer (das er mit den Kosenamen «Moni» und «Mocklchen» traktiert). Als mildernder Umstand wird ihm der hohe Unterhaltungswert seiner Prosa angerechnet, als erschwerend, dass dieser nicht seinem Können, sondern seinem Unvermögen entsprungen ist.

Schreiber wird deshalb dazu verurteilt, den vom Hamburger Zeitungsherausgeber Hermann L. Gremliza gestifteten Karl-Kraus-Preis anzunehmen, der den solcherart Gewürdigten verpflichtet, keine Zeile mehr zu veröffentlichen. Sollte Herr Gremliza jedoch unwillens sein, den Verfasser der Ertl-Biografie mit dem Preis auszuzeichnen, wird das Urteil dahin gehend revidiert, dass Jürgen Schreiber auf die Dauer von 15 (fünfzehn) Jahren das Tageshoroskop für die «Bild»-Zeitung zu erstellen und als Ghostwriter folgende Biografien zu verfassen hat: Ferfried von Hohenzollern, «Was macht eigentlich Ferfried von Hohenzollern»; Cornelia von Wülfling, «Sie kleidete sich wie Kwame Nkrumah»; DJ Ötzi, «Jetzt kann ich Mama endlich verzeihen».

Die Mitangeklagte Maria Koettnitz, unter deren «Regie» dem Verfasser zufolge das inkriminierte Werk entstanden ist (was heisst, dass sie es im Verlag Artemis & Winkler zum Druck befördert hat), wird wegen unterlassener Sorgfaltspflicht angehalten, an der Volkshochschule Düsseldorf folgende Kurse zu belegen: Spanisch für Anfänger; Besser Deutsch schreiben I; Deutsche Grammatik unter besonderer Berücksichtigung der satzwertigen Partizipialkonstruktionen.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel zulässig.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 18. Juni 2009

Mit freundlicher Genehmigung durch WOZ und den Autor.



Und von diesem Buch ist die Rede:
Jürgen Schreiber: «Sie starb wie Che Guevara. Die Geschichte der Monika Ertl»
Artemis & Winkler. Düsseldorf 2009; 287 Seiten. Fr. 36.90


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