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Neue Spielregeln

US-Antidrogenkrieg in Lateinamerika vor dem Aus? Die teilweise Legalisierung von Marihuana und ihre Folgen

Von Rainer Rupp *

In Europa weithin unbemerkt hat sich am Rande der jüngsten US-Wahlen eine für die weitere Entwicklung in Lateinamerika vielleicht entscheidende Wende abgezeichnet: In den US-Bundesstaaten Colorado und Washington ist nämlich durch einen Zusatz auf den Wahlzetteln der Genuß von Marihuana legalisiert und in Massachusetts weiter entkriminalisiert worden. Diese Entscheidungen öffnen für viele Regierungen Lateinamerikas, insbesondere für die zentralamerikanischen Staaten, die Tür, sich dem immensen Druck Washingtons zu widersetzen, das eine Intensivierung des Antidrogenkriegs fordert. Statt dessen können sich die Lateinamerikaner jetzt unter Verweis auf das Beispiel der US-Bundesstaaten daranmachen, ihre eigenen, von der Obama-Administration blockierten Pläne zur Legalisierung weiter Bereiche des Drogenmarktes durchzusetzen.

Davon versprechen sich die Lateinamerikaner die Trockenlegung des Korruptionssumpfs, der in alle gesellschaftlichen Schichten hineinreicht, die Untergrabung der ökonomischen Macht der Kartelle und infolgedessen eine markante Verringerung der Gewalt, die immer mehr Opfer fordert. Darüber hinaus kommt Washington durch die Wahlentscheidungen in den beiden US-Bundesstaaten der Vorwand »Antidrogenkrieg« für seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Region abhanden. Aus geostrategischer Sicht ist der »Krieg gegen den Terror« im arabisch-islamischen Raum mit dem »Antidrogenkrieg« in Lateinamerika vergleichbar. In beiden Fällen liefern sie den Vereinigten Staaten den Deckmantel für verdeckte oder offene politische, ökonomische oder militärische Interventionen.

Laut Luis Videgaray, Leiter des Übergangsteams des neuen mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto, sind die Wahlergebnisse in Colorado und Washington von großer politischer und symbolischer Bedeutung. Denn sie hätten »die Spielregeln in den Beziehungen mit den Vereinigten Staaten geändert«. Videgaray forderte eine umgehende »Überprüfung unserer gemeinsamen Politik in bezug auf den Drogenhandel und die Sicherheit im allgemeinen«. Alejandro Hope, ein ehemaliger leitender Beamter in Mexikos zivilem Nachrichtendienst, erklärte ebenfalls gegenüber McClatchy News, daß die Entscheidungen in Colorado und Washington etliche Länder in Lateinamerika »dazu animieren werden, ihre Bemühungen zur Legalisierung des Drogengebrauchs zu forcieren«. In Uruguay gibt es z.B. einen solchen Entwurf für Marihuana, das allerdings unter Staatsmonopol bleiben soll. Auch in Chile liegt dem Senat schon seit einiger Zeit ein entsprechendes Gesetz vor. Hope vermutet, daß Argentinien als nächstes Land folgt und daß die Bewegung bald den ganzen Subkontinent erfassen wird.

Bisher wurden mit dem Krieg gegen Drogen alle Arten von aggressiver US-Außenpolitik in der Region gerechtfertigt. Angefangen von der Militarisierung der regionalen Polizeieinheiten bis hin zur Unterstützung repressiver Regimes und ihrer die Menschenrechte verachtenden paramilitärischen Einheiten.

Exemplarisch dafür stehen die jüngsten Entwicklungen in Guatemala. Dort hat das korrupte, teils mit der Drogenmafia kooperierende Militär, das zu den brutalsten und gefürchtetsten in ganz Mittelamerika gehört, im sogenannten Antidrogenkrieg« engste Kontakte zu US-Streitkräften und Geheimdiensten. So war auch der Monat Oktober wieder von schweren Menschenrechtsverbrechen gekennzeichnet. Etliche Bürger wurden von Militär und Polizei bei friedlichen Demonstrationen erschossen. Und es mußte notgedrungen Anklage gegen acht Soldaten wegen außergerichtlicher Hinrichtungen erhoben werden. Das macht jedoch jedoch nur die Spitze des Eisbergs sichtbar.

Mit zunehmender Legalisierung der Drogen dürfte es für die Obama-Administration immer schwieriger werden, die Kosten der Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten der Länder der Region zu rechtfertigen. Und dies nicht zuletzt vor den eigenen Bürgern.

* Aus: junge Welt, Montag, 12. November 2012


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