In der Kälte fehlt der Strom
Lateinamerikas Energieversorgung durch Eis und Schnee gefährdet
Von Benjamin Beutler *
In Lateinamerika leiden nicht nur die Einwohner unter der ungewohnt
strengen Kältewelle: Auch die Energieversorgung wird langsam zum
Problem. Argentinien muss jetzt schon viel Geld für zusätzliche Gas- und
Stromankäufe zuschießen.
Geschlossene Häfen und Flughäfen in Uruguay, Stromausfälle in Chile,
verlängerte Winterferien in Paraguay, Gasknappheit in Argentinien - die
anhaltende Kältewelle in Südamerika hat auch die Wirtschaft im Cono Sur
fest im Griff.
Besonders in Argentinien stellt der kälteste Winter seit über 30 Jahren
die von chronischer Energieknappheit geplagte Volkswirtschaft vor
massive Schwierigkeiten. Aktuell, so schätzte das Energieministerium am
Rio de la Plata jüngst, verbrauchen die 40 Millionen Argentinier und
Wirtschaft täglich 150 Millionen Kubikmeter Gas, das Versorgungssystem
ist jedoch nur auf 120 Millionen ausgelegt. »Zur Sicherstellung der
elektrischen Energieversorgung«, so verlautete es aus dem Bulletin des
Finanzministeriums, sah sich die Regierung in Buenos Aires zu
Wochenbeginn gezwungen, 1,5 Milliarden Pesos (rund 300 Millionen Euro)
an zwei öffentlich-private Energieunternehmen auszuzahlen.
Eine Million Peso gehen mit sofortiger Wirkung an die Energiefirma
Cammesa. Das Mischunternehmen regelt die Verteilung von Energie und die
Preise für Strom und befindet sich zu 80 Prozent in privater Hand, zu 20
Prozent unter staatlicher Kontrolle. Die restliche Summe geht an das zu
100 Prozent staatliche Energieunternehmen Enarsa. Die Steuergelder
sollen nun für zusätzliche Gas- und Stromankäufe durch Cammesa und
Enarsa verwendet werden, nachdem am vergangenen Montag die
Energieversorgung von rund 300 Fabriken (davon 135 in der Hauptstadt)
eingeschränkt werden musste. Auch die Belieferung von Tankstellen mit
Flüssiggas für Autos musste in sechs Provinzen auf unbestimmte Zeit
heruntergefahren werden.
Der gestiegene Energiehunger kommt Argentiniens Staatskasse teuer zu
stehen: Rund 1,8 Milliarden Euro gibt Buenos Aires im Jahr 2010 für
importierten Strom, Gas und Öl aus. 630 Millionen Euro kosten
Brennstoffe für Elektrizitätskraftwerke, 390 Millionen Euro das
Flüssiggas (LPG), das mit 14 unter Vertrag genommenen Tankschiffen aus
Puerto Príncipe auf Haiti geliefert wird. Für 310 Millionen Euro kauft
Argentinien Strom von Brasilien und Paraguay.
Bolivien profitiert vom Engpass seiner Nachbarn. Der wichtigste
Gaslieferant Argentiniens und Brasiliens musste seine Kapazitäten auf
Nachfrage Argentiniens erhöhen und liefert per Pipeline Gas für 470
Millionen Euro. In Brasilien führt das zu Nervosität, Sorgen um die
Energiesicherheit werden laut. Federico Cezar de Araujo, brasilianischer
Botschafter in La Paz, fordert in Sachen Anhebung der Liefermenge
Gleichbehandlung. »Diesen Winter brauchen wir mehr Gas, vor allem im
Süden unseres Landes«, so der Diplomat.
Denn der ungewöhnliche Temperaturabfall führt nicht nur am Rio de la
Plata bei Privathaushalten zu einer gesteigerten Nachfrage nach Strom
und Gas: Neben Brasilien wird auch in Uruguay und Paraguay das Gas für
Herd, Heizung und Autos, das wie überall in Lateinamerika größtenteils
in Gasflaschen verkauft wird, langsam knapp. Die höheren Preise
beeinträchtigen vor allem jene Haushalte am meisten, die nicht auf
alternative Brennstoffe wie Holz und Kohle zurückgreifen können.
Paraguay hat mittlerweile die Rationierung von Gasflaschen dekretiert.
Uruguays Regierung kaufte kurzerhand 5000 Tonnen Gas aus den USA ein,
nachdem es zuletzt auch in der Industrie zu Engpässen gekommen war.
* Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2010
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