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Südamerika rückt enger zusammen

Energie-Gipfel beschließt Bildung einer "Union Südamerikanischer Nationen"

Von Benjamin Beutler, Santa Cruz de la Sierra *

Bei ihrem ersten Energie-Gipfel beschlossen die Staatschefs von zehn südamerikanischen Staaten die Einrichtung eines Energierats für die Region.

Die südamerikanische Integration kommt voran. Neben der Ausarbeitung eines Südamerikanischen Energievertrages wurde auf dem ersten gesamtsüdamerikanischen Energie-Gipfel auf der Isla Margarita in Venezuela die Bildung einer »Union der Südamerikanischen Nationen« (UNASUR) beschlossen. Die Entstehung dieser Organisation sei das Ergebnis eines 200 Jahre währenden Einigungsprozesses, sagte der venezolanische Präsident Hugo Chávez. An dem Treffennahmen neben Venezuela als Gastgeber Kolumbien, Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador und Paraguay sowie Peru und Uruguay teil.

Als Sitz der UNASUR wurde die ecuadorianische Hauptstadt Quito bestimmt. Die noch fehlende Organisationsstruktur werde in naher Zukunft genauer ausgearbeitet werden, ein Rat der Präsidentendelegierten zur besseren Koordination wurde eingerichtet. Dieser Rat löst die schon bestehende »Kommission hoher Funktionäre« ab, das bisher höchste regelmäßig tagende Gremium kontinentaler Integration. Der Rat der Präsidentendelegierten wird einen beschlussfähigen Gründungstext für die UNASUR verfassen, der Ende des Jahres auf dem 3. Südamerikanischen Gipfel im kolumbianischen Cartagena zur Verabschiedung vorgelegt werden soll.

»Auf den Gebieten Energie, Wirtschaft und Politik ist das die wahre Integration: UNASUR«, verlautbarte Chávez und wies auf die herausragende geopolitische und historische Bedeutung des Einigungsprozesses für Südamerika hin. Auf dem Gipfel wurde betont, dass die Verringerung von Armut einzig auf dem Wege regionaler Einigung erreicht werden kann. Ein wichtiger Schritt zur Einigung des Kontinentes führt über die Verhandlungen des Südamerikanischen Energievertrages. Das Vertragswerk soll als Instrument zur Bildung eines einheitlichen Produktions-, Verteilungs- und Belieferungssystems von Energie dienen, um die Energieversorgung aller beteiligten Staaten sicherzustellen.

Rafael Ramírez, Präsident des staatlichen Energieunternehmens Petróleos de Venezuela (Pdvsa) und Minister für Energie und Erdöl, zeigte sich äußerst zufrieden mit den Ergebnissen: »Viele Gipfel kommen nicht weiter als bis zur Diskussion. Ich glaube dieses Treffen war gekennzeichnet von sehr erfolgreicher Arbeit.« Mit Blick auf den gebildeten Südamerikanischen Energie-Rat, der die Energiepolitik der Staaten koordinieren soll, stellte er fest, dass dieser eine »herausragende Bedeutung habe, da wir nun nicht mehr eine undefinierte Struktur haben, sondern eine Institution, eine Festung.«

Eine Annäherung brachte der Gipfel auch beim Thema Biotreibstoff. Venezuelas Staatschef Hugo Chávez mäßigte seine Kritik an den Plänen Brasiliens und der USA, die Produktion von Biotreibstoff zu fördern. Venezuela sei nicht dagegen, solange die Herstellung von Autotreibstoff nicht auf Kosten der menschlichen Ernährung gehe, so dass Hunger in Kauf genommen werden müsste. Die USA stellen Äthanol aus Mais her, Brasilien hauptsächlich aus Zuckerrohr. USA-Präsident Bush hatte auf einer Rundreise Ende März für seine Energiepolitik geworben und in Brasilien einen Partner gefunden. Doch auch Venezuela ist an dem aus Mais und Zuckerrohr gewonnenen Äthanol zur Verbesserung seines einheimischen Treibstoffes interessiert. Man sei bereit 60, Prozent der brasilianischen Äthanolproduktion zu kaufen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. April 2007

Linke Montanunion

Nach südamerikanischem Gipfel: Weichen für gemeinsame Energiepolitik und politische Einigung gestellt

Von Harald Neuber, Caracas **


Nachdem in der vergangenen Woche acht Staats- und Regierungschefs der »Südamerikanischen Staatengemeinschaft« (CSN) zum ersten regionalen Energiegipfel zusammengekommen sind, zeigte sich vor allem ein Teilnehmer zufrieden: Gastgeber Hugo Chávez. Die südamerikanischen Staaten seien nach dem Treffen »stärker als je zuvor«, erklärte der venezolanische Präsident nach Abschluß des Gipfels auf der Insel Margarita vor der Südküste Venezuelas. Zwei Tage lang hatten die Länderchefs von Argentinien, Chile, Ecuador, Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Paraguay und Venezuela bis Mittwoch eine gemeinsame Energiestrategie beraten. »Für die Einheit des Südens«, lautete das Motto. Und tatsächlich zeigte man sich am Ende optimistisch. Trotz bestehender Differenzen wurde im Abschlußdokument die »energiepolitische Integration« bekräftigt.

Zugleich beschlossen die Teilnehmer auf Antrag Venezuelas die Umbenennung der im Dezember 2004 gegründeten CSN. Das lockere Regionalbündnis soll demnach in eine zu gründende »Südamerikanische Staatenunion« (UNASUR) aufgehen. Die Außenminister der zwölf Mitgliedsstaaten wurden beauftragt, eine Grundcharta für das neue Bündnis auszuarbeiten. Das ständige Sekretariat der UNASUR wird voraussichtlich in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito eingerichtet. Als Generalsekretäre wurden Marco Aurelio García, der außenpolitische Berater des brasilianischen Präsidenten, der Vizeminister im brasilianischen Außenministerium, Samuel Pinheira, sowie der ehemalige ecuadorianische Präsident Rodrigo Borja vorgeschlagen.

Die politische und energiepolitische Annäherung der südamerikanischen Staaten hat eine Vorgeschichte. Schon bei den Gipfeltreffen der CSN im September 2005 in Caracas und bei einem Folgetreffen im September 2006 wurde eine engere Zusammenarbeit auf dem Energiemarkt beschlossen. Konsens ist dabei, daß die reichen Erdöl- und Erdgasressourcen der Region in erster Linie für die Entwicklung der Regionalstaaten sowie für die Bekämpfung der in Südamerika allseitigen Armut eingesetzt werden.

Die Ergebnisse des Gipfels habe »Darstellungen aus dem Ausland Lügen gestraft«, nach denen die Differenzen in der südamerikanischen Energiepolitik überwiegen, sagte Chávez am Mittwoch (18. April). Tatsächlich hatte vor allem die rechte Tagespresse in Venezuela und Chile zuvor quergeschossen und über eine vermeintliche Absage der chilenischen Präsidentin Michele Bachelet berichtet. Die Kampagne ging vom rechten Flügel des chilenischen Regierungsbündnisses »Concertación« aus. Und schließlich berichtete die spanische Nachrichtenagentur EFE noch am Abschlußtag, die Teilnehmer seien sich über die Abschlußerklärung »nicht einig« – wenige Stunden, bevor das Dokument veröffentlicht wurde.

Das Interesse, die bekannten Differenzen »hochzuschreiben«, war offensichtlich. Dabei war schon vor dem Treffen klar, daß es eine Debatte um die Produktion des Biotreibstoffs Äthanol geben wird. Während Brasilien und Chile diese Branche verteidigen, wenden sich vor allem Venezuela, Kuba und Bolivien dagegen. In einem Zeitungsbeitrag hatte der kubanische Präsident Fidel Castro die Äthanolproduktion unlängst strikt abgelehnt, weil Lebensmittel wie Zuckerrohr, Mais oder Soja zu Treibstoff verarbeitet würden. Ähnlich argumentierte Chávez: »Niemand will mehr Bohnen anpflanzen, sondern nur noch Mais. Aber nicht für Tortillas, sondern um ihn in die USA zu verkaufen, wo er in Treibstoff verarbeitet wird. Das ist Wahnsinn!« Vor dem Gipfel hatte der Brasilianer Marco Aurelio García Castro und Chávez ein »gewisses Unverständnis« für das Thema »und für die internationale Lage« vorgeworfen. Ob er damit das jüngst geschlossene Äthanolabkommen zwischen seinem Land und den USA meinte, ließ der Politiker offen.

Auf dem Gipfel waren diese Differenzen tatsächlich hinderlich. Den wirtschaftlichen und politischen Einigungsprozeß der Regionalstaaten konnten sie aber nicht aufhalten. Neben energiepolitischen Zielen vereinbarten die Teilnehmer eine gemeinsame Gasförderung im Nordosten Venezuelas. In das Gasfeld sollen 3,4 Milliarden US-Dollar investiert werden. Das Projekt könnte damit zur wirtschaftlichen Triebkraft der UNASUR werden. Die Parallele zur europäischen Einigung liegt dabei nahe. Die 1951 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Montanunion, war schließlich der Ausgangspunkt für die sechs Jahre später ins Leben gerufene Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die EWG heißt heute schlicht EU – Europäische Union. Der Unterschied ist freilich, daß weder die Montanunion, noch EWG oder EU von Staaten forciert wurden, die eine sozialistische Politik anstreben und sich gegen neoliberale Mechanismen wenden.

** Aus: junge Welt, 23. April 2007




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